● Für meine Patienten habe ich einen bequemen Sessel mit verstellbarer Rückenlehne und Fußteil angeschafft, auf dem sie die ihnen angenehmste Position wählen können. Natürlich lässt sich das Stress Release auch auf einer Liege durchführen (oder notfalls im Sitzen, wie bei der Selbsthilfe vorgeschlagen). Aber der „Stress-Release-Stuhl“ war eine lohnende Investition, weil sich die Patienten jederzeit, auch während des „Gesprächs auf Augenhöhe“, gut aufgehoben fühlen und bei Bedarf in eine fast liegende Position gleiten können.
● Ich informiere die Patienten über die ungefähre Dauer des Stress Release, damit sie sich auf diesen Zeitrahmen einstellen können.
● Dann bitte ich sie, während der Dauer des Stress Release all das, was in unserer Sitzung angesprochen wurde, und alles, was ihnen dazu einfällt oder in ihnen aufsteigt, ohne Bewertung wirken zu lassen. Das können Gefühle sein, Gedanken, Erinnerungen, Bilder – oder auch Leere. Ich betone, dass man dabei nichts falsch machen kann, weil das Gehirn durch unsere Vorarbeit schon alle entsprechenden Zonen aktiviert hat.
● Ich empfehle, währenddessen die Augen zu schließen, damit man besser „bei sich“ ist. Wenn jemand sich dadurch geängstigt fühlen sollte, funktioniert es grundsätzlich auch mit offenen Augen.
● Schon während meiner einleitenden Worte lege ich Daumen und Zeige- / Mittelfinger meiner Hand ohne Druck auf die Zonen der Stirnbeinhöcker und belasse sie ruhig in dieser Berührung – bis zum Schluss.
● Während des Stress Release wird in der Regel nicht gesprochen, weil das Reden ein tieferes Eintauchen in die inneren Prozesse verhindert, und es finden auch keine sonstigen parallelen Interventionen statt.
● Mit dem einhändigen Selbsttest der freien Hand (siehe „Essentials zum Muskeltest“ im Anhang) teste ich wiederholt, ob das Stress Release noch fortgesetzt oder beendet werden soll. (Alternativen hierzu spreche ich weiter unten an.)
● Das Stress Release beende ich, indem ich vor dem Lösen der Hand von der Stirn kurz die Schulter des Patienten berühre, um darauf aufmerksam zu machen, dass sich jetzt etwas ändert. (Für manche fühlt es sich etwas unangenehm an, wenn das Berühren der Stirn ohne Vorankündigung plötzlich aufhört.)
● Abschließend frage ich nach dem Befinden und gebe, wenn es gewünscht wird, kurz Gelegenheit, etwas zu dem Erlebten zu sagen (zwei bis drei Minuten). Um den Eindruck des Stress Release nachwirken zu lassen, gehen wir aber nicht noch einmal ins Gespräch, sondern fassen die Verabschiedung kurz.
Die Dauer der Stress-Release-Anwendung
Bei der Selbsthilfeanwendung des Stress Release habe ich bereits erwähnt, dass sich in meiner Praxis und in unseren Seminaren eine Maximalzeit von etwa zehn Minuten herauskristallisiert hat. In meiner Anfangszeit der Anwendung der psychologischen Kinesiologie kamen allerdings auch deutlich längere Zeitspannen vor, bis zu zwanzig Minuten. Wenn ich die Situationen rückblickend vergleiche, fällt mir als wesentlicher Unterschied auf, dass ich anfangs noch „breiter“ gefächert gearbeitet habe. Ich versuchte damals, alles mögliche, was für meinen Patienten als Stress infrage kommen könnte, innerhalb einer Sitzung ins Lot zu bringen. Das kostet natürlich auch das Gehirn eine längere Zeit des Ordnens. Die Ergebnisse waren jedoch nicht so befriedigend, wie ich es erhofft hatte; sowohl die Patienten wie auch ich selbst gingen aus einer solchen Begegnung oft eher angestrengt oder sogar verwirrt hervor.
Schließlich reduzierte ich die Themen unserer Sitzungen. Entweder erkannten wir hinter mehreren „Baustellen“ ein verbindendes Thema – was sehr häufig der Fall ist –, gingen dem nach und bearbeiteten diesen zentralen Knotenpunkt (– für das Gehirn übersichtlich und beim Stress Release weniger zeitintensiv). Oder wir beschränkten uns auf einen Themenbereich, der gerade besonders „pressierte“ – womit der Verarbeitungsvorgang für das Gehirn auch wiederum handlich wurde. Im Gesamtergebnis waren solche Sitzungen weitaus effektiver als meine frühere komplexe Herangehensweise, wir waren nach der Sitzung nicht erschöpft, sondern geklärt und erfrischt, und die weitere Entwicklung konnte viel konkreter anhand des umrissenen Themas beurteilt werden.
Sobald Sie den Muskeltest beherrschen, können Sie mit seiner Hilfe natürlich die individuellen Empfehlungen zur Dauer des Stress Release vom Patienten selbst einholen (siehe Anhang, „Dialogtest“). Oder Sie nutzen (wie ich selbst) den Selbsttest. Solange Sie nicht mit dem Muskeltesten vertraut sind, sind Sie mit pauschal zehn Minuten im Prinzip auf der sicheren Seite.
Und was ist mit der Alternative, dasselbe Entscheidungskriterium anzuwenden, das ich beim Selbsthilfe-Stress-Release empfohlen habe?: Sie könnten Ihren Patienten bitten, die Augen von sich aus zu öffnen, wenn sich der Eindruck festigt, dass es „gut“ ist oder dass die anfänglichen Bilder und Gedanken zurücktreten.
In der praktischen Umsetzung habe ich damit keine positiven Erfahrungen gemacht: Viele Menschen waren mehr damit beschäftigt, darüber nachzudenken, ob dieser Zeitpunkt denn nun schon gekommen sei, als dass sie sich noch auf ihr Thema einlassen konnten. Andere wollten aus Rücksicht auf mich „nichts falsch machen“ und öffneten die Augen viel zu früh – oder gar nicht.
Empfehlung:
Eine zeitliche Richtschnur entspannt Patient und Therapeut. Und diese kann entweder mit dem Muskeltest individuell festgelegt werden oder aber mit der pauschalen Vorgabe von zehn Minuten.
Risiken? Unerwünschte Wirkungen?
Ich kann aus den Erfahrungen der 25 Jahre, in denen ich das Stress Release in der Praxis anwende (davon mehr als 20 Jahre in der hier beschriebenen Weise), und aus den Rückmeldungen der von mir ausgebildeten Therapeuten keine Situation ableiten, in der das Stress Release kontraindiziert wäre oder damit ein Risiko eingegangen würde. Die einzige Frage, zu der ich nicht über genügend Erfahrung verfüge, ist die, wie es sich mit einem solchen „synchronisierenden“ Einfluss auf das Gehirn bei Patienten mit Anfallsleiden verhält. Bei den wenigen, die ich in meiner Praxis entsprechend behandelt habe, ist nie ein Anfall ausgelöst worden, aber das genügt nicht für eine Verallgemeinerung.
Hinsichtlich psychischer Reaktionen gehe ich davon aus, dass ein Stress Release als solches niemals die Befindlichkeit verschlimmern kann, mit der ein Patient gekommen ist. Dies erscheint mir wichtig zu erwähnen, weil es auch Neurofeedback-Verfahren wie das EMDR gibt (Eye Movement Desensitization and Reprocessing – zu Deutsch etwa: Augenbewegungs-Desensibilisierung und Wiederaufarbeitung), bei denen zum Beispiel über Augenrotation bestimmte Erinnerungen geweckt und sogar forciert werden sollen – was durchaus unangenehm sein kann. Das Stress Release, wie ich es praktiziere, greift jedoch immer nur das auf, was zuvor schon aktiv ist. Dies ist allerdings eine rein empirische Schlussfolgerung; ich möchte anregen, sie auch neurophysiologisch zu untermauern!
Damit kann das Stress Release ohne Bedenken einem großen Kreis von Patienten zugutekommen, einerseits in der wiederholten Akut- und Selbsthilfe, andererseits und hauptsächlich aber in seiner nachhaltigen Wirkung, tatsächlich „Knoten zu lösen“, die von den Fesseln alter emotionaler Verarbeitungsweisen befreien. Diesen Knoten auf die Spur zu kommen macht somit die wesentliche Vorarbeit für eine tiefgreifende Wirkung des Stress Release aus.
Da wir beim Stress Release eine neurophysiologische Wirkung erreichen wollen, stellt sich die Frage, wie es gut gelingen kann, die dafür erforderlichen Zentren in Aktion zu bringen. Dieser „Zuarbeit“, die im Stress Release ihre physiologische Krönung findet, wenden wir uns nun zu.
Читать дальше