Genau an diesen drei „Unschärfen“ setzen die Instrumente Stress Release und Muskeltest an: Das Stress Release scheint im Gehirn tatsächlich neurophysiologische Funktionen zu unterstützen, wie ich sie im dritten Punkt angesprochen habe. Und der Muskeltest fördert in der psychotherapeutischen Begleitung das Verstehen innerseelischer Zusammenhänge, indem er unterbewusste Informationen zu einem bestimmten Thema ins Bewusstsein hebt. Darüber hinaus dient er der Klärung, inwieweit überhaupt psychische Einflüsse für ein Krankheitsgeschehen ausschlaggebend sind.
Der rote Faden dieses Buches
So lassen sich beide Elemente, Stress Release und Muskeltest, zwar auch zu einem methodischen Verfahren kombinieren (was einige kinesiologische Richtungen praktizieren und was ich auch ansatzweise in diesem Buch anspreche), aber ebenso bringt jedes für sich im Kontext verschiedener Therapieformen einen im wahrsten Sinne des Wortes entscheidenden Gewinn. Um Sie in diesen Anwendungen nun möglichst gewinnbringend anzuleiten, habe ich dieses Buch folgendermaßen aufgebaut:
Gleich zu Beginn lade ich Sie ein, die neuroreflektorische Technik Stress Release kennenzulernen. Ihre Handhabung ist so einfach, dass Sie sie sozusagen von jetzt auf gleich in jede therapeutische Praxis integrieren können. Ganz ohne Aufwand dürften Sie und Ihre Patienten damit erste Erfahrungen machen, die Sie vermutlich nicht mehr missen möchten.
Da das Stress Release in seiner Tiefenwirkung umso nachhaltiger ist, je prägnanter darauf zugearbeitet wird, spreche ich einige Möglichkeiten an, im Gespräch mit Patienten leichter „auf den Punkt zu kommen“.
Mit diesen Elementen ist ein breites Feld psychotherapeutischer Begleitung gut bedient und ermöglicht heilsame Unterstützung. In manchen Situationen jedoch, bei vielen Patienten besonders zu Beginn ihrer Veränderungsschritte, fällt es schwer, allein durch das Gespräch typische störende Reaktionsmuster zu definieren und in ihrem Ursprung nachzuvollziehen. An dieser Stelle kommt der Muskeltest zum Zuge, indem er als direkter Übersetzer des Unterbewusstseins innerseelische Zusammenhänge zu verdeutlichen hilft.
Das Instrument Muskeltest ist vermutlich etlichen Lesern vertraut, anderen noch völlig unbekannt. Da der Lesefluss dieses Buches durch die Anleitung zum Testen zu sehr unterbrochen würde, habe ich das Kapitel „Grundlagen des Muskeltests“ in den Anhang ausgelagert. So können Sie sich entweder auf die psychisch begleitende Arbeit konzentrieren oder Sie widmen sich unabhängig davon vorübergehend dem Muskeltest, um ihn sich in Ihrem eigenen Tempo anzueignen.
Den Muskeltest stelle ich Ihnen dann als das Instrument vor, mit dem wir aus Arbeitslisten mit vorgegebenen Triggerbegriffen diejenigen herausfiltern, die den Patienten in ein tieferes Verständnis seiner Reaktionsmuster hineinführen. Diese emotionalen Reaktionsweisen auf den Punkt zu bringen fördert ein entsprechendes „Umschalten“ beim nachfolgenden Stress Release.
In einem umfangreichen Kapitel betrachte ich schließlich verschiedene Indikationen zur psychischen Begleitung (wie Psychosomatik, Ängste, Depressionen, Lebenskrisen, Sucht), immer mit Blick auf den Stellenwert von Stress Release und Muskeltest. Veranschaulicht wird deren Einsatz durch zahlreiche Beispiele aus der Praxis, mal in detaillierten Szenen, mal in weiträumigen Verlaufsbeschreibungen oder auszugsweise in Stichworten.
Auch ein „Beipackzettel mit Risiken und Nebenwirkungen“ darf nicht fehlen … Seine kurze Betrachtung leitet uns über zum abrundenden Blick auf tiefere Grundlagen im Rahmen psychischer Begleitung.
Alles in allem richtet sich dieses Buch an Menschen, die andere in seelischen Prozessen begleiten. In erster Linie spreche ich Therapeuten und Berater an, doch selbst wer „nur“ freundschaftlich einem Mitmenschen zur Seite steht, wird von dem einen oder anderen Element Nutzen haben – die jeweiligen Grenzen zu einer professionellen Therapie, die es dann zu beachten gilt, sollten sich aus dem laufenden Text erschließen.
Ich freue mich, dass Sie mir bis hierher lesend gefolgt sind – nun denn, gehen wir an die Arbeit!
Die Stress-Release-Technik –
Lösung von emotionalem Stress
Zum Einstieg schlage ich Ihnen eine erste Selbsterfahrung mit Stress Release vor. Lernen Sie seine Wirkung in Situationen des Alltags kennen, die mit Unannehmlichkeiten, mit Anspannung, Ärger oder Ängsten einhergehen! Gelegenheiten für einen Selbstversuch mit Stress Release könnten beispielsweise sein: ein Streit mit Nachbarn, Ärger mit dem Chef, unangenehme Post, kreisende sorgenvolle Gedanken, ein aktueller Konflikt mit dem Partner, Angst vor einem schwierigen Gespräch oder Ähnliches. Diese Art der Selbsthilfe beschränkt sich auf Bagatellanlässe – tiefgehende seelische Nöte oder auch eingeschliffene emotionale Reaktionsmuster lassen sich hingegen nicht „mal eben“ im Alleingang heilen.
Stress Release als Selbsthilfe im Alltag
● Suchen Sie sich einen bequemen Sitzplatz, auf den Sie sich für einige Minuten ungestört zurückziehen können. (Es geht auch im Liegen.) Dann berühren Sie Ihre beiden Stirnbeinhöcker, wie gleich beschrieben. Das sind die leicht angedeuteten „Hügel“ der Stirn, mittig oberhalb der Augenbrauen gelegen, etwa zwei Querfinger oberhalb des Brauenbogens. Berühren Sie diese Zonen entweder mit Daumen und Zeigefinger (eventuell plus Mittelfinger derselben Hand, wobei sich die Hand wie ein Bogen über die Stirn wölbt. Oder stützen Sie Ihre Ellenbogen im Sitzen auf die Knie und halten jede der Zonen mit Zeige- (plus Mittelfinger) jeweils einer Hand. Dabei ist es nicht von Bedeutung, welche Finger Sie benutzen – für die Meisten ist diese Kombination anatomisch einfach die angenehmste Haltung. Wer es lieber mag, kann auch die gesamte Handfläche quer über die Stirn legen – Hauptsache ist, dass die beiden genannten Zonen symmetrisch berührt werden.
● Nun lassen Sie in dieser Haltung bei geschlossenen Augen die belastende Situation auf sich wirken. Rufen Sie sich die erlebten Szenen in Erinnerung, wiederholen Sie in Gedanken die verletzenden Worte oder malen Sie sich das befürchtete Ereignis aus. Versuchen Sie nicht, absichtlich etwas beiseite zu drängen oder zu beschönigen, reden Sie sich keinesfalls etwas ein, sondern nehmen Sie nur wahr, was geschieht, wenn Sie das Unangenehme eine Weile auf sich wirken lassen. Wenn möglich, spüren Sie auch der emotionalen Stimmung nach, die mit Ihrem Thema verbunden ist.
● Nach einigen Minuten könnte Ihnen auffallen, dass diese Bilder, Gedanken und Gefühle anfangen zu verblassen oder dass sich die Kreisbewegungen Ihrer Gedanken auflösen oder dass sich dunkle Bilder vielleicht aufgehellt haben. Es kann sein, dass das belastende Thema hinter sonstigen Eindrücken des Tages zurücktritt und „nicht mehr so wichtig“ ist. Es kann sein, dass Ihnen eine Lösung einfällt oder dass sich ein ungeahnter Aspekt auftut. Es kann sein, dass Sie sich ruhiger oder zumindest nicht mehr so aufgewühlt fühlen. Es kann sein, dass Sie im Kopf klarer geworden sind. Zumindest wird allgemein beobachtet, dass sich nach einigen Minuten die anfangs gedachte oder gefühlte Negativität nicht mehr aufrecht erhalten lässt. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Selbsthilfe mit Stress Release abgeschlossen ist: Sie lösen die Finger wieder von der Stirn und kehren in den Alltag zurück.
Stress Release: Die Lage der Punkte und die Platzierung der Finger
Meist dauert solch ein situationsbezogenes Stress Release zwischen drei und zehn Minuten. Wenn sich allerdings innerhalb von maximal zehn Minuten keinerlei positive Wandlung einstellt (Sie könnten sich zur Erinnerung einen Kurzzeitwecker stellen), haben Sie vermutlich doch ein tiefer liegendes psychisches Problem berührt, das über die „Alltagsbagatellen“ hinausgeht. Das ist nicht falsch und schadet auch nicht, denn dann wissen Sie, dass es da noch etwas zu tun gibt, was nicht durch vorübergehendes Halten der Stresspunkte zu „erledigen“ ist.
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