War’n wir halt quitt.
Aber so what – er war doch nur der Manager, Baggermanns Mädchen für alles – Tourbegleiter, Ombudsmann, Drogenbeauftragter, Finanzverwalter. Und als einer der ersten in unserem Geschäft von Amateuren und Luftikussen hatte er erkannt, dass es durchaus nicht verkehrt war, sich ein paar kaufmännische und juristische Kenntnisse draufzuschaffen und als Band, die all ihr Material selbst schrieb, einen eigenen Musikverlag zu gründen. Das war ihm als BWL studierendem Spross einer alten Hamburger Kaufmannsdynastie auch nicht sonderlich schwergefallen. Also leitete er seit zwei, drei Jahren die IronmakerPublishing GmbH – alle Ausgaben wurden aus der Baggermann-Kasse gezahlt, und von allen Einnahmen sackte er einundfünfzig Prozent ein, schließlich war er entsprechender Mehrheitsinhaber und Geschäftsführer und hatte »die ganze Arbeit am Hals«. Dieses Arrangement war meinen Kollegen möglicherweise noch gar nicht so richtig aufgegangen, vielleicht war’s ihnen aber auch schnurz – von ihrem Anteil der GEMA-Tantiemen konnte man sich einen ziemlichen Klumpen Afghanen leisten. Dass manche in der Branche Eisenmacher »den Jud’« nannten, fanden sie jedenfalls genau so wenig angebracht wie ich.
Natürlich ließ er sich nur zu einem Sprudel überreden, an dem er spitzmundig nippte, während ich erst mein Bier austrank, dann noch das, was Schneider mir schon angezapft hatte, und meinen Deckel bezahlte. Mit Ach und Krach, aber für’s erste hütete ich mich, Eisenmacher um einen Vorschuss zu bitten – um Kohle würde ich noch früh genug mit ihm feilschen müssen.
Also schleppte ich mein Gepäck raus zu seinem BMW (erst drei Schritte vor dem Kofferraum bot er mir an, mir ein Stück abzunehmen) und ließ mich auf den schnieken Beifahrersitz fallen. Und natürlich musste er sich aufspielen und ausgerechnet Emerson, Lake & Palmer aufdrehen – aber was hatte ich erwartet? – und halsbrecherisch einen Waldweg voll frischem Schnee entlang schlittern – ein leichtsinniges Reh, und ich könnte mich gleich zu Raimund ins Bett legen. Ich überlegte noch, ob ich ihm zum Spaß auf seine schicken Lederarmaturen reihern sollte, aber da rutschten wir schon zwischen zwei riesigen Totempfählen hindurch und kamen drei Zentimeter vor der Heckklappe des Baggermann-Tourbusses zum Stehen. Natürlich ein fetter Mercedes 608, keine zwei Jahre alt. Ein kleines bisschen neidisch dachte ich an unseren Opel Blitz. Der war schon volljährig. Aber dafür stand auf dem auch nicht so was wie Baggermann – FREAKPOWER OVER GERMANY!
Das erste Stück Freakpower, das ich zu spüren bekam, war Elvis – knappe zwei Zentner Neufundländer schmissen mich begeistert in den Schnee, leckten mir durchs Gesicht und niesten mich voll, nachdem sie meine Bier-und-Korn-Fahne in die Nase gekriegt hatten. Immer noch besser als das zweite Stück – in der Haustür tat Sibylle, als würde sie sich freuen, mich wiederzusehen, fiel mir jauchzend um den Hals und rammte mir ihre knochige Hüfte in die Weichteile. Aber auch ihrer langen Nase blieb die Fahne nicht verborgen. Natürlich nicht.
»Wie deine Fahrt war, brauch’ ich ja wohl nicht zu fragen«, schnupperte sie ostentativ geräuschvoll, »aber jetzt hast du sicher Hunger, oder? Wir wollen gerade essen.« Spitze Betonung auf essen . Klar hatte ich Kohldampf. Und Gentleman, der ich bin, verkniff ich mir, sie auf den Geruch von Schimmel und Haschisch hinzuweisen, der aus ihren Klamotten und ihren roten Locken stieg.
»Ach, komm, Bill – du weißt doch, dass ich weiß, dass ihr immer einen Kasten Bier im Keller habt. Und ich wette, der steht schon wieder so lange da, dass das Verfallsdatum –«
»Leider Pech gehabt, Büb!«, schnurrte sie so triumphierend, dass sie vergaß, sich das verhasste Bill zu verbitten. »Den haben die Jungs gestern Abend leergemacht – du bist schließlich zum Arbeiten hier, oder?«
»Klar. Aber ob das was wird – mit so ’nem trockenen Hals?«
»Lass dich nich’ verarschen, Mann. ’türlich ha’m wir dir ’ne Flasche übrig gelassen.« Paul hielt uns die Küchentür auf, hieb mir in die Lebergegend und klatschte Sibylle auf den mageren Hintern. Zur Strafe nahm sie ihm den halbgerauchten Joint aus dem Mund und stolzierte paffend in die Küche. Hier roch es besser – Knoblauch, Weißwein, Oliven und Kräuter übertönten den Modergeruch, ohne den eine Landwohngemeinschaft nicht auszukommen schien. Und Shit natürlich.
»Aah«, machte ich begeistert, »wieder Boeuf Niçoise – ohne Fleisch, wie?« Solange die Kollegen daheim unter Sibylles Fuchtel standen, waren sie alle Vegetarier. Aber sobald es auf Tour ging, saßen sie in der ersten Raststätte, die auf ihrem Weg lag, und hauten sich Bockwurst, Schnitzel und Gulasch rein. Bis auf Selmer natürlich, den Saxophonisten – der schmierte sich nicht mal Butter aufs Brot, weil man dafür eine Kuh vergewaltigt hatte. Dass irgendwelche Maserati fahrenden Arschlöcher sich den Arsch ab verdienten, indem sie mit Kräutern handelten, die achtjährige Kurdenjungs bei dreißig Grad im Schatten ernten und bei zwölf Grad minus für eine Handvoll Reisnudeln zentnerweise über mörderische Gebirgspfade schmuggeln mussten, schien seinem Gewissen nicht so viel auszumachen – er hatte ein Rohr in der Hand, für das er mindestens fünf Blättchen gebraucht hatte. Und es war offensichtlich nicht sein erstes – seine nur noch halb offenen Augen schwammen in einer rosigen Flüssigkeit, und er grinste, als habe er einen kleinen Mann im Ohr, der ihm einen Ostfriesen-Witz nach dem anderen erzählte.
»Ey, Mann«, brachte er heraus. »Cool, ey. Der – ääh – der Büb, ey.« Der kleine Mann in meinem Ohr bedauerte fast, dass Eisenmacher auf seinem Weg zu Schneiders Dorfkrug kein Reh getroffen hatte.
Do es ene Kääl en mingem Kopp / Määt mich langsam, ävver beklopp’ * klimperte Paul auf einer akustischen Zwölfsaitigen, zwar meiner Ankunft zu Ehren, aber durchaus passend, einen von Penner’s Radios vielen heimlichen Hits (eigentlich hatten wir ja nur Hits – und irgendwann würde das auch mal jemand merken …). Die große Überraschung war das Mädel, das neben ihm auf einem der Sofas saß und plötzlich lachend den Text mitsang – in akzentfreiem Kölsch! Die würde ich mir später noch genauer angucken müssen.
Aber erst mal galt es natürlich den Chef zu begrüßen. Der saß am Kopfende eines Esstisches für zwanzig Personen in seinem Thron, einem hohen Eichenlehnstuhl mit wilden Schnitzereien, und blickte abwesend von einem winzigen Steckschach auf, als sei er überrascht, mich zu sehen.
»Hansi!«, lautete meine wohlgesetzte Begrüßungsrede. Es ist zum Kotzen – ich kann arrogante Menschen nicht ausstehen, sie können mich eigentlich nicht im geringsten beeindrucken, und ich durchschaue sie meistens bis zu den Pickeln auf ihrem selbstherrlichen Hintern, aber trotzdem tue ich mich schwer damit, mich nicht von ihnen verunsichern zu lassen. Kommt vielleicht davon, dass man als Arbeiterkind auf eine Herde »richtiger« Gymnasiasten losgelassen wird. Bzw. umgekehrt. Ich wanderte zu ihm hinüber und blieb zur Kompensation einen Meter vor ihm stehen, mit ausgebreiteten Armen, so dass er sich genötigt sehen musste, höflich zu sein, aufzustehen und mir einen Schritt entgegen zu kommen.
Küche könnte im Fall Hinderup ein etwas irreführender Begriff sein. Die Kirche von Espelkamp war nicht viel kleiner als Baggermanns Gemeinschaftszimmer, und bei einer anständigen Fete würden hier mindestens achtzig Leute Platz finden, ohne sich gegenseitig auf die Füße zu treten. Vom Kühlschrank zum Herd konnte man Rollschuh fahren, zu einer Klettertour auf ihren Küchenschrank nahm man besser eine Leuchtpistole mit, und zwischen den mächtigen Esstisch und den Billardtisch im hinteren Teil hätten bequem noch ein paar Kicker und ein Hundezwinger gepasst.
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