Seine berühmten Sechzehntel waren so akkurat wie Millimeterpapier – allerdings erst zerknüllt und dann wieder aus dem Papierkorb gefischt und notdürftig geglättet. Wenn du als Schlagzeuger auch mal probiertest, welche zu spielen, klang das mit seinen zusammen wie eine Häckselmaschine. Raimund schien das nicht weiter zu jucken, aber mir rollte es die Zehennägel auf. Dass Hansi seine Riffs häufig und unmotiviert unisono ins Mikrophon schnatterte, machte die Sache auch nicht gerade besser. Häddäggähäddäggäddäggä …! Worüber wir uns auch prompt immer wieder in die Haare gerieten, erst recht in dieser Woche, wo es um diese wichtigen Aufnahmen ging.
Ihr Publikum liebte es, wenn bei Auftritten die Baggermann-Kompositionen in kilometerlange Improvisationen mündeten. Beziehungsweise ausuferten. Na ja, kein Wunder – ihre Fans waren noch simpler gestrickt als unsere, und man konnte förmlich hören, wie in jedem einzelnen von ihren leeren Schädeln die Tischtennisbälle herumklackerten. Aber bei mir waren Sessions mit den Baggermännern so beliebt wie ein Aushilfsjob bei den Flippers . Fehlte nur noch, dass Paul anfinge, Weine nicht, kleine Eva zu singen.
Völlig ausgeschissen hatte ich bei Hansi am dritten Tag, als ich ihn nach einer heftigen und ermüdend ergebnislosen Diskussion über Präzision und Timing zum Spaß mal ein paar Takte die Sechzehntel eines Drumcomputers mitrattern ließ, sogar noch bei seinem Lieblingstempo. Dasselbe tat ich auf einer anderen Spur, dann ließ ich das Band mit halber Geschwindigkeit wieder ablaufen. Während meine Snare-Schläge zusammen mit denen des Japaners klangen wie Axthiebe in eine Porsche-Tür, war sein Bass so synchron wie ein Trupp Bundeswehrsoldaten auf dem Hauptbahnhof am Freitagabend. Dass Paul sich nicht hatte verkneifen können, bei der Bandgeschwindigkeit klänge der verdammte Kramer endlich mal wie ein richtiger Bass, hob Hansis Stimmung auch nicht gerade.
Na ja, hatte auch sein Gutes – an dem Abend wurden frustriert ein paar Flaschen Rum aufgemacht, und zu der unvermeidlichen pseudo-basisdemokratischen Grundsatzdiskussion gab es Grog bis zum Abwinken.
Das eigentlich voraussehbare Ergebnis des Gesprächs war, dass ich als Mietmucker gefälligst meine eigenen Kanaldeckels-Ansprüche zurückzuschrauben und mich auf den Baggermann-Stil einzustellen hätte. Nach dem siebten oder achten Grog konnte ich das auch locker abnicken.
Weniger voraussehbares Ergebnis des Besäufnisses war, dass Sibylle mich zuuufällig um vier Uhr morgens im Bad traf – genau wie vor zwei Jahren, bei meinem ersten Besuch in Hinderup. Damals waren wir nach einem ausgiebigen Test von ein paar Kisten Rotwein, die Hansi aus Portugal mitgebracht hatte, auch im Halbdunkeln in der Badezimmertür zusammengestoßen, beide schon bettfertig gekleidet, also gerade mal ein T-Shirt an. Und als hätten uns der Portugiese und der Fado, den wir passenderweise dazu gehört hatten, inspiriert, hatten wir plötzlich knutschend auf dem Badewannenrand gesessen. Ein Stündchen später, wir lagen inzwischen quer auf ihrem Bett und versuchten gerade, mich zu einer Zugabe hochzupäppeln, war sie mit einem Mal wieder nüchtern geworden.
»Was …? Mensch, wie kommst du denn …?«, stotterte sie mit großen Augen, erschrocken keuchend.
»Das hast du doch eben offensichtlich gemerkt«, versuchte ich ihre Stimmung zu lockern. »Und von dir weiß ich’s jetzt auch. Sehr angenehm, übrigens«, versuchte ich, ihr das zu beweisen. Aber entsetzt stieß sie meine Hand weg.
»Du musst sofort in dein Zimmer!«, haspelte sie. »Ich habe hier nie …! Nie …!«
»Nie Besuch? Nie Gesellschaft?«, fragte ich ungläubig. Sie guckte weg, wühlte nach ihrem T-Shirt und zog es über. »Ah, ein neuer Fan«, machte ich sie freundlich frotzelnd darauf aufmerksam, dass sie mein Penner’s-T-Shirt erwischt hatte, eins von denen mit den zahnlos lachenden tanzenden Berbern. »Steht dir aber auch gut.« Sie riss es sich so hastig wieder vom Leib, als hinge es voller Spinnen.
»Geh jetzt!«, drängte sie und zog ihr eigenes über.
»Nie?«, beharrte ich. »Mit keinem von deinen Jungs?« Sibylle, die kaltschnäuzige Herrin von Hinderup, errötete tatsächlich.
»Das geht dich nichts an.« Nachdrücklich schob sie mich von ihrem Bett und drückte mir meine Berber in die Hand. Nebenan aus Hansis Zimmerflucht ertönte eine Serie schneller spitzer Schreie. Er hatte sich ein bisschen Fan-Besuch mitgebracht. Sibylle erstarrte, und eine Sekunde lang dachte ich, sie würde mich wieder festhalten wollen. Ihre Augen glitzerten, als wolle sie anfangen zu weinen. Aber vielleicht war’s auch nur das Kerzenlicht.
»Ach so«, sagte ich, stand auf und zog mich an. »Na ja, wenn er so pimpert, wie er Bass spielt, würd’ ich auch nicht mit ihm angeben wollen.« Einen Moment sah es aus, als wolle sie mir eine scheuern, aber dann hauchte sie mir einen Kuss auf die Wange und umfasste kurz mein verschrumpeltes Bübchen.
»Schlaf gut«, flüsterte sie, schob mich von sich, ließ sich wieder auf das Bett fallen und wickelte sich in ein Laken, das Gesicht zur Wand gedreht.
»Du auch«, wünschte ich ihrem Rücken und ging mal nachsehen, ob der Rest des Portugiesen schon dekantiert war. Die restlichen Tage meines Besuches – wir nahmen gerade im Baggermann-Studio für kleine Mark ein paar Penner’s-Demos auf – hatte sie mich kaum noch angesehen und kein einziges Wort mehr mit mir gesprochen.
Weiber.
Und dann diesmal das. Ich komme zwischen zwei Grogs vom Pinkeln zurück und habe meine Hose noch nicht ganz zugeknöpft, da steht sie wieder in der Badezimmertür und lässt mich nicht vorbei. Als ich sie vorsichtig um die Hüften fasse, um sie verlegen grinsend zur Seite zu schieben, wirft sie mir beide Arme um den Hals und ein Bein um den Hintern, schiebt mir ihre scharfe Zunge zwischen die Zähne und spült mir einen Schluck lauwarmen, puren Rum in den Mund. Das Zeug fährt mir in alle Körperenden, als hätte ich an einen elektrischen Weidezaun gepinkelt, und da erst merke ich auch, dass sie wieder nur ein Hemd anhat. Ein verwaschenes Herrenhemd, nicht zugeknöpft. Sie ist noch dünner als vor zwei Jahren; mit ihren Beckenknochen hätte ich mir die Reste des Abendessens aus den Zähnen pulen können. Mit einer Hand öffnet sie meine halb geschlossene Hose wieder und massiert eine beginnende Erektion, so heftig, als wolle sie mich dafür bestrafen, dass ich schon wieder im Stehen gepinkelt hatte.
»He!«, sage ich, als sie irgendwann Luft holt. Nie um ein schlagfertiges Witzchen verlegen, der Büb.
»Sei still«, legt sie mir kurz die andere Hand über den Mund, »wollt’ dir nur sagen, dass ich das nicht vergessen habe, damals.« Lässt mich los, dreht sich um und verschwindet in ihrem Zimmer.
Da stehe ich, weder bestellt noch abgeholt, der Rum pocht von hinten gegen meine Augäpfel wie der Sekundenzeiger einer Bahnhofsuhr, während mein kleiner Zeiger vorwitzig auf ihre Zimmertür deutet. Und frage mich, wie ich das nun wieder interpretieren soll.
Nö, doch keine Einladung , sagt das Klacken, mit dem von innen ein Schlüssel herumgedreht wird. Ich ziehe mich wieder komplett an und wanke in die Küche, wo der Schrat ungerührt schon fünfzehn Kugeln in ein Dreieck sortiert hat.
Weiber , grunzte auch Mr. Pitiful, drehte sich ebenfalls um und verschwand aus meinem Spiegel und aus meinem Badezimmer. Sind eben nicht immer nur die Frauen, die merkwürdige, undurchschaubare Dinge tun.
Und ich schnitt mir doch noch ins Kinn.
Na, wenigstens hatte ich zum guten Schluss meinen Job noch zufriedenstellend hinter mich gebracht. Hing zwar immer noch eine Weile auf der Kippe, aber am fünften Tag hatte sich dann auch Raimund endlich mal blicken lassen – er ließ sich im heimischen Tübingen von Muttern pflegen, und mit seiner unverletzten Hand wälzte er den ganzen Tag Motorradkataloge.
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