»Geil, Alder!«, meinte er neidlos, nachdem wir die Aufnahmen durchgehört hatten, und knallte mir seinen Gipsarm ins Kreuz. »Hätt’ i net besser mache’ könne’. Wuscht’ i’s doch, dess du die richt’ge Verdredung bischt.« Hansi machte große Augen und schmale Lippen, Paul grinste bestätigend, Selmer baute einen.
» Chottverdickie!«, schrie der Schrat und machte mir ein Bier auf, was Billa nicht mal mit einem Wimpernzucken kommentierte. Ich hielt es mit Elvis und mich bescheiden zurück.
»Hätt’s net nur net besser mache’ könne’«, erklärte Raimund der erstaunten Versammlung, nachdem der Joint seine letzte Runde gedreht und wir uns das Ganze noch einmal angehört hatten. »Am liebschte würd’ i jetscht die andere Nummere noch emol trommele.« Das war in der Tat ein Kompliment. Elvis zwinkerte mir zu, und ich prostete zurück. Sie würden allerdings beim Mischen ein bisschen Mühe haben, mit ihren Kompressoren und Equalizern so zu tun, als hätte Raimund meinen Bums.
Auf jeden Fall war das Ergebnis so ausgefallen, dass ich sie beruhigt meinen Namen aufs Cover schreiben lassen konnte, und ich würde auch nicht rot werden müssen, wenn mich jemand auf die Platte ansprach.
Okay, meine Kollegen Veedelnoh und Eiermann würden ein paar Wochen lästern, aber damit konnte ich leben.
Nachdem ich mir ein paar Fuhren kaltes Wasser ins Gesicht geschmissen hatte, konnte ich auch mein Spiegelbild wieder halbwegs als meins erkennen. Aber ich kam mir vor wie ein verwackeltes Foto, die Sorte, die nicht im Album landet, sondern in einem Schuhkarton oben auf dem Schrank. Zu schade zum Wegschmeißen – konnte man ja gelegentlich eines feucht-fröhlichen Abends noch mal rauskramen: Guck ma’, der Büb bei der Dingens-Feier – sieht doch echt komisch aus, oder?
Zurück in Köln, für ein paar Wochen meine Geldsorgen los, musste ich dann erfahren, dass die hiesige Kripo im Zusammenhang mit dem Fall Kathrinchen drei österreichische Zuhälter festgenommen hatte. Und nach zweitägiger U-Haft wieder laufen lassen – Tatverdacht nicht bestätigt, Fluchtgefahr nicht gegeben. Also ging ich erst mal zu Ferdi und ließ mich von ihm ein bisschen abfüllen, während ich mich was umhörte, bevor wir auf eine Runde um die Häuser zogen, die Donnerstag Abend begonnen und irgendwann vorletzte Nacht geendet hatte. Knirschend kramte ich in meinem Gedächtnis herum, kam auf vielleicht sieben oder acht Kneipen, aber dem Geschmack meiner Rülpser und dem Geruch meines Urins nach mussten es ein paar mehr gewesen sein – Bier natürlich, jede Menge, Apfelkorn, Ouzo, Gin, veredelt von einem Hauch von Magenbitterkräutern.
Kein Wunder, dass der Büb echt komisch aussah. Fragt erst mal, wie er sich fühlt …!
Nein. Fragt nicht.
***
5 Tote in Bonn!, blökte der Express mich an, als ich endlich so weit war, dass ich am Küchentisch sitzen, ein Glas frische Milch bei mir behalten und vorsichtig an einer Rollmopsstulle kauen konnte. Ich konnte sogar die Buchstaben entziffern, ohne dass meine Augen mir immer wieder nach links innen oder rechts außen wegrutschten.
Aus Verzweiflung darüber, dass seine Ehe völlig zerrüttet war, hatte ein 45-jähriger Familienvater seine Frau, seine 16-jährige Tochter, seine Schwiegereltern und anschließend sich selbst mit Kopfschüssen ins Jenseits befördert. Ob er an ein besseres Leben nach dem Tod glaubte? Das würde sich wohl auch den Rest seines Lebens sein jetzt 14-jähriger Sohn fragen – den hatte Papi nicht richtig getroffen, der war jetzt bloß blind.
Noch mehr Schüsse waren an der Schweizer Grenze gefallen – dort hatte ein vorbestrafter deutscher Rechtsradikaler einen Grenzer erschossen, bevor er im darauf folgenden Feuergefecht tödlich getroffen wurde. Das BKA vermutete, dass er in der Schweiz Waffen für eine unserer einheimischen Wehrsportgruppen besorgen sollte. Einfach nur Kreuzchen bei NPD zu machen, reichte denen nicht.
Auf dem linken Flügel randalierten Jugendliche in Berlin und Zürich. Die Berliner versuchten mit Brandsätzen auf Sparkassen und Banken inhaftierte Hausbesetzer freizupressen, während Jung-Zürich protestierte, weil sein berühmtes AJZ geschlossen werden sollte, das Autonome Jugendzentrum. Geschieht euch recht, fand ich – was beschmeißt Ihr auch harmlose deutsche Rockbands auf Benefiz-Konzerten mit Milchtüten? Vollen Milchtüten! »Weil Ihr hier doch bloß Werbung für eure Platten machen wollt!«, kreischen sie empört zurück. Da kann ich mir bessere Methoden vorstellen, entgegne ich ungerührt, nehmt euch ein Beispiel an den Punks im AJZ Hannover – die haben uns wenigstens mit Bier beschüttet! Oder an den militanten Mädels in Frankfurt, die unseren gelben Bandbus über und über mit Schokolade beschriftet haben! Mit diesem süßen Werbeträger für deren gerechte Sache (»SCHWANZ AB, DUMPF-CHAUVIS!« Aber dann doch: »NEUE MÄNNER BRAUCHT DAS LAND!« – ohne Schwanz, Mädels? ) waren wir dann fünf Wochen – bis zum nächsten kräftigen Regen nämlich – landauf und landab gefahren. Und fragten uns heute noch, ob das nicht den Feminismus in der BRD ein gutes Stück vorwärts gebracht hatte – immerhin hatten wir nach diesen fünf Wochen siebzehn Auftritte und sechstausenddreihundert Kilometer mehr auf dem Tacho. Und unser Opel Blitz hieß nur noch »die Bussin«.
In Teheran wurde laut Express noch nicht geballert, da drohte man nur mal wieder, den seit dem vierten November festgehaltenen zweiundfünfzig amerikanischen Geiseln den Spionageprozess zu machen. Noch-Präsident Jimmy Carter fand das »beleidigend«, während der künftige, Ronald Reagan, die Iraner als »kriminelle Kidnapper« beschimpfte.
Verstorbener des Tages war Großadmiral Karl Dönitz, mit neunundachtzig Jahren in Hamburg einem Herzversagen erlegen. Nach Hitlers Selbstmord war er dreiundzwanzig Tage lang Reichspräsident gewesen, hatte dann, weil Hitler ja nicht auf ihn gehört und die U-Boot-Flotte ausgebaut hatte, die Kapitulation genehmigt. Ein Jahr später noch verkündete er den Richtern des Nürnberger Prozesses, man »habe den Eid halten müssen, solange immer anständig war, dem die Loyalität galt. Dass der Führer nicht anständig war, das habe ich nicht erkannt.« Deswegen auch: Nicht über Los, zehn Jahre Haft.
Von toten Frauen in Kühlkellern stand nirgends etwas, auch nichts von einem schlichten schwarzen Grabstein auf dem Nordfriedhof, auf den in zierlichen goldenen Lettern Katharina Maria Löhr graviert war, 12. 11. 1952 – 4. 12. 1980 . Lieber ein Augenblick mit einem Engel als ein Leben mit einer Heiligen stand nicht darauf, obwohl das der Epitaph war, den Kathrinchen sich gewünscht hatte. Aber vielleicht war ich der einzige Mensch gewesen, der das wusste. Und mich hatte niemand gefragt.
Mich hatte niemand fragen können, selbst wenn sie es gewollt hätten – am Tag ihrer Beerdigung hatte ich schließlich auf einer Bühne von der Größe einer Tischtennisplatte in einer Kellergalerie in einem Kaff bei Karlsruhe gesessen, um mal wieder ein paar Mark für die Miete nach Hause zu bringen. Also hockte ich mit meinem Schlagzeug in eine Ecke gepfercht, als hätte ich Angst vor unserem Publikum, eingekesselt von zwei Verstärkern, vor mir Tom Sack mit seiner 50er-Jahre- Guild und in der anderen Ecke unser Bassist Eiermann, der auf seiner Box saß, weit vornüber gebeugt, damit man erstens nicht sein permanentes Kichern sah und er zweitens hören konnte, was aus seiner Box überhaupt raus kam – eigentlich spielte er eher nach Gefühl als nach Gehör, nach den Schwingungswellen, die er unterm Hintern spürte, während ich meine Besen so locker gespannt hatte, dass ich genauso gut mit halbgaren Makkaroni hätte trommeln können. Toms Slide klang, als käme sie aus einem handlichen Diktiergerät; sein Mikrophon war quasi ausgeschaltet, und er bellte seinen Mississippi-Blues fast unverstärkt über die weißgedeckten Tische, an denen unser Publikum in Vernissage-Klamotten Schildkrötensuppe schlürfte, mit Kennermiene auf französischem Chateau de la Vachequirit herumkaute und sich in kultiviert-gedämpftem Ton an einem gelungenen Abgang freute, etwas, das uns dreien heute wahrhaftig nicht vergönnt war.
Читать дальше