Angesichts der Bestrebungen in den alten Bundesländern, die Straßen »zurückzubauen«, nehmen sich die Aktivitäten in Greiz eher grotesk aus. Der aus dem Westen importierte Bürgermeister Leonhardt (CDU) drückt bei den Stadtverordneten kräftig auf die Tube, man solle schnell entscheiden, da die Mittel nicht unbegrenzt lang bereitstünden. Da ganz im Sinne von Bundesverkehrsminister Krause alles so schnell wie möglich gehen soll, blieb die generell in solchen Fällen übliche Ausschreibung eines Architektenwettbewerbs unberücksichtigt. Einer öffentlichen und ausführlichen Diskussion zu diesem Thema wurde schlicht das Wort abgeschnitten. Die Modelle und Baupläne wurden zwar in der Stadtinformation ausgestellt, doch sind diese nach Meinung des Greizer Architekten Matthias Hamann falsch in Perspektive und Dimensionierung und vermitteln dem Betrachter eher ein abgemildertes Bild vom eigentlichen Ausmaß des drohenden städtebaulichen Desasters.
Sturheit der regierenden CDU wird offenbar: Einwände von SPD und Bürgerbewegungen wurden in alter Manier abgeschmettert. Wenn Einwände, dann von Fachleuten, heißt es. Die selbsternannten Spezialisten der Stadtverwaltung sehen jedenfalls keine Veranlassung, auf die ökologischen wie denkmalpflegerischen Bedenken einzugehen, und bezeichnen die Kritik als überzogen und nicht gerechtfertigt.
Das Projekt ist so ausgelegt, daß eine vierspurige Betonbrückenkonstruktion über die Weiße Elster in zwei Ausfallstraßen münden soll, in Richtung Plauen und in Richtung Gera. Hierbei ist eine konkrete Trassenführung für die Straße nach Plauen noch gar nicht festgelegt, jedoch kommt ein vierspuriger Ausbau aufgrund der Gelände- und Bebauungsvoraussetzungen nur schwerlich in Frage. Gleiches trifft für die Straße nach Gera zu, für deren Ausbau bis zur Ortslage Gommla würde nicht nur der komplette Grünzug der Straße, sondern auch eine Grünanlage sowie das ehemalige Hauptquartier des NKWD in Greiz, welches von den einst Verfolgten als Mahn- und Gedenkstätte vorgesehen war, plattgemacht. Für die Anbindung der Straße nach Plauen an die Brücke ist noch eine Linksabbiegerspur vorgesehen, so daß sich mit dem obendrein geplanten, aber völlig unnötigen betonierten Mittelstreifen eine Gesamtbreite von zirka 27 Metern ergibt – breiter als der Greizer Marktplatz.
Viele besorgte Bürger sind der Auffassung, daß ein solcher Brückenkoloß, der im gesamten Stadtbild keine Entsprechung hat, den sensiblen Bereich der Südfront der charakteristischen Silhouette von Unterem Schloß, Stadtkirche und Gymnasium zerstören würde und eine nicht wieder gutzumachende Entstellung dieses städtebaulichen Ensembles darstelle.
Mit Sicherheit erscheint der großzügige Ausbau fraglich, da, wie erwähnt, die angemessene Dimensionierung der Zubringer nahezu unmöglich ist. Hinzu kommt, daß die Mitarbeiter des Stadtbauamtes selbst einräumen, daß es sich in erster Linie wirklich nicht um Durchgangsverkehr handelt. An dieser Stelle muß doch die Frage erlaubt sein danach, ob es nicht auch eine zweispurige Brücke tun würde.
Der Bürger bringt Argumente à la: »Pkws und Lkws beleben deutsche Straßen« und hat »ehrlich gesagt ganz andere Sorgen«. Gewiß, mit neun Prozent Arbeitslosenrate ist der Landkreis Greiz Spitze auf dem Gebiet des ehemaligen Bezirkes Gera. Das betuliche Treiben der Stadtoberen mutet so an, als wolle man partout ein Symbol dafür schaffen, daß in der Region doch etwas passiert. Außer gutem Zuspruch und ABM ist den Beschäftigten der bankrotten Textilindustrie nichts beschert worden, Einkaufsstraßen verwaisen angesichts ungeklärter Eigentumsverhältnisse an den Gebäuden mehr, als daß sie sich beleben.
Der zuständige Rechtsträger für den Straßenbau, das BDS Thüringen mit Sitz in Gera, hat jedenfalls den Darmstädter Architekten Jux mit der Projektierung der Brücke beauftragt, nachdem die Stadtverordnetenversammlung am 14. Mai den Antrag des Bürgermeisters abgesegnet hatte. Baubeginn soll Oktober 1991 sein, die Fertigstellung in voraussichtlich zwei Jahren. Und in fünf Jahren, inzwischen klüger geworden, bräuchte man das gleiche Finanzvolumen, um den angerichteten Schaden zu beheben.
taz Ost, 9. Juli 1991
Greizer Park, März 2008.
IN GEDANKEN AN MICHAEL RUDOLF – REMINISZENZEN AUS GREIZ
Gotthard Brandler
Als die Nachricht von Michaels spurlosem Verschwinden durch die Presse ging und schließlich Gewißheit über seinen selbstgewählten Abschied aus dem Leben bestand, waren die letzten Wochen meiner Tätigkeit im Museum Sommerpalais Greiz angebrochen, und viele zu regelnde Angelegenheiten hatten mich gefangengenommen. Lange Zeit wollte ich auch nicht an sein tragisches Ende glauben. Erst später, zur Ruhe gekommen, ist mir die volle Tragweite des Schicksals von Michael bewußt geworden.
Wie hatten wir uns kennengelernt? Zeitpunkt und Anlaß kann ich nicht mehr nennen. Im Oktober 1990 war ich nach Greiz gekommen, und in der kleinen Stadt mußte man auch irgendwann mit Michael zusammentreffen, war und bleibt er doch hierorts eine Ausnahmeerscheinung. Er begegnete mir damals als ein agiler, geistig aufgeschlossener und kluger junger Mann von dreißig Jahren, ehrlich im Charakter und in seinem äußeren Wesen eher zurückhaltend, aber streitbar in der ständigen Auseinandersetzung mit seiner Umwelt. Vorgefundene Engstirnigkeit und Kompromißlertum waren nicht seine Sache, sondern boten ihm vielfach Anlaß zu deftigen Pamphleten, die mit den damals oft genug an Schilda und Krähwinkel gemahnenden Gepflogenheiten hart ins Gericht gingen. Das Wort vom »Nestbeschmutzer« war dann in der öffentlichen Meinung schnell bei der Hand. So war es auch nach seinem im Satiremagazin Titanic abgedruckten Bericht »Aus den Kolonien«, wobei es besonders um Greiz und die Greizer ging. Auch konnte man sich nur wundern, daß die eifrigen Leser des früheren Bezirksorgans Volkswacht auf recht seltsame Weise nun anscheinend zu ebenso eifrigen Titanic -Lesern geworden waren. Die Empörung schlug höchste Wellen, wobei sich die allgemeine Entrüstung sogar zu der ernsthaft vorgetragenen Aufforderung steigerte, seine Publikationen sofort aus den Buchhandlungen zu entfernen. Michael mußte zu dieser Zeit in Greiz geradezu Spießruten laufen.
Als ich die Greizer Bücher- und Kupferstichsammlung mit ihrer Karikaturenabteilung Satiricum übernahm, war hier gerade die VI. und letzte Karikaturenbiennale der DDR zu Ende gegangen, um anschließend in mehreren, nunmehr altbundesdeutschen Städten gezeigt zu werden. Noch zu Zeiten des realen Sozialismus langfristig geplant und schon recht aufmüpfig in den Karikaturen, wurde diese Schau durch die sich überstürzenden politischen Veränderungen kalt getroffen und bedurfte nun auf Reisen einer ständigen Aktualisierung. Gerade in Sachen der Karikatur doch ein einmaliges und denkwürdiges Ereignis! Und nicht wenige der Karikaturisten hieben nun um so kräftiger auf das ein, dem sie noch unlängst ein Gran Komik abzugewinnen versuchten.
Im Greizer Heimatboten erschien damals ein gehöriger Verriß dieser Ausstellung, und ich kann mich noch an die Formulierung »verschnarchte DDR-Karikatur« erinnern. Dies war wohl meine erste Bekanntschaft, zumindest auf dem Papier, mit dem jungen Greizer Autor namens Michael Rudolf.
Unsere sich über die Jahre entwickelnde Freundschaft hatte nichts Kumpelhaftes an sich, und wir saßen auch nicht ständig zusammen. Aber man begegnete sich öfters aus verschiedenen Anlässen, und jeder war mit der Arbeit und mit den Problemen des anderen vertraut. Engere Beziehungen ergaben sich dann insbesondere auf beruflicher Ebene, seien es Fragen zur Regionalgeschichte, zur Karikatur und Satire oder auch nur zur Bildbeschaffung – Fragen, die mit der Arbeit seines, in Partnerschaft mit Gerd Elmar König so hoffnungsvoll begonnenen kleinen Verlages Weisser Stein in Zusammenhang standen. Und unsere gemeinsame Liebe zum gutgemachten Buch ließ bald eine geistig-praktische Verwandtschaft entstehen.
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