Im Satiricum, also im Greizer Sommerpalais, war Micha auch immer ein gerngesehener Gast, wenn er auch nicht bei jeder Vernissage oder Veranstaltung dabei war. Bei F. W. Bernstein, Sebastian Krüger oder Rudi Hurzlmeier war er auf jeden Fall da. Immer wieder unterhielten wir uns dabei auch über seine Bücher, die – wie das Bierlexikon – so manchen Rechtsstreit heraufbeschworen oder – wie Die Thüringer pauschal – wieder die Kritiker auf den Plan riefen.
Während der Vernissage von Rudi Hurzlmeier im Sommer 2005 hat er mir zum erstenmal von seinen Depressionen und seiner Krankschreibung wegen des Burnout-Syndroms erzählt. Es war eigentlich das erstemal, daß er schnell und offen über seine Probleme gesprochen hat. Und es hat mich tief erschreckt. Ich hatte ihn stets als stark und sicher empfunden, wenngleich ich immer wußte, daß er sich nach außen anders gibt. Nicht mehr schreiben zu können und seinen eigenen Ansprüchen nicht zu genügen, das war für ihn unglaublich schlimm. Ich hätte ihm so gern geholfen.
Und so war ich richtig froh, als wir uns im Oktober 2006, es war nach der Ausstellungseröffnung »Von Kindern und anderen Riesen« von Manfred Bofinger, noch abends beim Griechen in der Altstadtgalerie trafen. Ina und Eva waren auch dabei, Fritz Weigle war da, Luise, die Tochter von Manfred Bofinger, und Gabriele Bofinger und einige Mitarbeiter des Satiricums. Michael wirkte so fröhlich, er warf sich mit Eva die Gesprächsbälle zu, daß es eine wahre Freude war zuzuhören. Wenn er sich mit ihr über die Simpsons , die für beide zum täglichen Ritual zählten, unterhielt oder über Walter Moers oder überhaupt. Auch von seiner kleinen Brauerei im Keller seines Hauses erzählte er mit leuchtenden Augen. Das war nicht gespielt, soweit kannte ich ihn dann doch. An diesem Abend ging es ihm gut, und ich wollte so gern glauben, daß dies ein dauerhafter Zustand sei.
Klassenabend, 1976.
Erweiterte Oberschule (EOS) »Dr. Theodor Neubauer«, 1977.
Klassentreffen, 1979.
EOS »Dr. Theodor Neubauer«, 1979.
Greiz, Lessingschule, bis 1990 Polytechnische Oberschule (POS).
Gymnasium Greiz, vormals EOS.
Haus der Großeltern, Rudolf-Breitscheid-Straße 15, Greiz.
ZWEI FINGER FÜR EIN HALLELUJA
Michael Ringel
Die zweite Beerdigung des Jahres war sogar noch komischer als die erste im März. Irgendwann während des Leichenschmauses war das Niveau da, wo es hingehörte: unterirdisch. Die Hinterbliebenen erzählten sich Kinderwitze aus der Wortspielhölle. Mein Favorit: Findet ein Junge im Zug einen Hut. Im Inneren des Hutes ist ein Name eingestickt: Reinsch. Geht der Junge mit dem Hut durch den Zug und fragt: »Irgend jemand, der hier Reinsch heißt?«
Gibt es im journalistischen Gewerbe eigentlich die Sparte des Beerdigungskritikers? Ich melde mich freiwillig, und da der Tod in letzter Zeit immer näher kommt, bringe ich inzwischen einige Erfahrung mit. Innerlich gewöhne ich mich schon an die Berufsbe-zeichnung und sehe auch die entsprechende Zeile auf meiner Visitenkarte vor mir: »Beisetzungskritiker«. Das klingt doch nach etwas! Auch wenn es ein noch viel zu unterbewerteter Berufszweig ist. Etwa so unterschätzt wie der des Bestatters. Warum kennt man nur so wenige Bestattungsunternehmer? Wahrscheinlich gibt es in diesem Metier höchst luzide Persönlichkeiten. Wie zum Beispiel jene Bestattungsfachkraft, der ich vor der Friedhofskapelle am vergangenen Freitag die Hand gab.
Kurz darauf saß ich in der Kapelle und fixierte das mittlere der drei bunten Kirchenfenster. Reflexartig war ich in das alte Konfirmandensyndrom verfallen: Sitzt du in einer Kirche, dann suche dir einen markanten Punkt, fixiere ihn unentwegt und lasse deine Gedanken schweifen, bis dir etwas Komisches in den Kopf kommt. Dann denke an nichts anderes mehr. Das hilft, wenn es auf der Kanzel zu pathetisch wird oder der Schmerz dich überwältigt oder dich die Wut überkommt wegen der Abwesenden, die zu feige waren, zu erscheinen, um dem ehemals eng Befreundeten die letzte Ehre zu erweisen. Unehrenhafte Leute sind das, die Angst haben, auf Trauernde zu treffen, mit denen sie verfeindet sind. Als ob das im Angesicht des Todes zählen würde.
An genau dem Punkt war das Beiseitedenken sehr nützlich, ausnahmsweise aber berechnete ich einmal nicht die Entfernung zwischen mir und dem Kirchenfenster und wie lange ein Stein bräuchte, um im Fensterkreuz einzuschlagen. Meine Gedanken umkreisten vielmehr den Bestatter, genauer: seine Hand, die ich eben noch gedrückt hatte. An der Rechten, wie ich gleich bemerkte, fehlten ihm der Ring- und der Mittelfinger. War ihm ein Sargdeckel draufgefallen? Oder war er beim Zersägen abgerutscht? Oder wollte er absichtlich ein Teufelshorn haben? Oder hatte er eines Tages, verzweifelt über sein ewiges Ringen mit dem Tod, dem Sensenmann den Stinkefinger gezeigt, der ihm zur Strafe gleich zwei Finger absäbelte? Und bestellt er heute in seiner Stammkneipe zu fortgeschrittener Stunde auch schon mal fünf Bier für die Männer vom Sägewerk und hält dann dem Wirt drei Finger hin? Haben Bestatter überhaupt Humor?
Eine letzte Frage: Hat man keinen Respekt vor den Toten, wenn man bei einer Trauerfeier Komisches denkt? Im Gegenteil! Sonst hätte der Tod ja gewonnen. Humor ist das einzige Mittel, den Tod zu besiegen. Man sollte mal mit einem Bestatter ein Bier trinken gehen. Vielleicht kennt er noch eine andere Methode.
taz, 17. August 2007
EIN STÄDTEBAULICHES DESASTER FÜR GREIZ
Michael Rudolf
Greiz. Wenn erst einmal in einer thüringischen Kleinstadt mit reichlich 30000 Einwohnern der marktwirtschaftliche Groschen gefallen ist, dann gibt es kein Halten mehr. Was derzeit heiße Köpfe bei engagierten Bürgern erzeugt, ist eine geplante fünfspurige Entlastungsbrücke über die Weiße Elster, um die Greizer Innenstadt vom Verkehr der Bundesstraßen 92 und 94 freizuhalten. Die Blechlawine beschert der Stadt nicht erst seit 1990 morgens von sieben bis elf und nachmittags von 14 bis 18 Uhr den Kollaps mit mehr stop als go. Die ungünstige Tallage fördert zudem eine nicht nur den Einwohnern hart zusetzende Dunstglocke.
Das Ganze ist eigentlich hausgemacht, denn die neuen Westautos wollen ausgefahren sein, der öffentliche Nahverkehr erscheint unattraktiv. Daß freilich der Individualverkehr in der Stadt problematisch ist, war bereits zu SED-Zeiten bekannt, Projekte für eine Art Entlastungshochstraße geisterten durch die Bauämter, aber eben nur dort. Mit der Wende und den seit jüngst zur Verfügung stehenden Mitteln aus Bonn wurden vergilbte Pläne wieder ausgerollt.
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