Bernd Kaufholz - Der Todesengel mit den roten Haaren

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"Das habe er jeden Morgen gemacht, um sicher zu sein, dass in der Nacht nichts passiert ist. Ob er ein Tischtuch über den Toten deckte, ob er zuvor dem Toten die Geldbörse klaute, kann er vor der Schwurgerichtskammer nicht sagen. Diese Dinge, die er nach seiner Festnahme im polizeilichen Vernehmungsprotokoll mit seiner Unterschrift bestätigt hatte, habe er zugegeben, weil doch nur er und das Opfer in der Wohnung gewesen sind. »Es kann ja nur so gewesen sein«, sagt er. Wohnungsinhaber Peter Herr war mit Tritten traktiert und mit einem zehn bis zwölf Zentimeter langen Messer neunmal kräftig in den Rücken gestochen worden. Er war verblutet." Bernd Kaufholz schreibt seit Jahren erfolgreiche Kriminalreportagen, die in der Reihe »Spektakuläre Kriminalfälle « mehre Auflagen erreichten. Mit dem Band »Der Todesengel mit den roten Haaren« wendet er sich zum ersten Mal dem Medium Gerichtsreportagen zu und hat hier wiederum Aufsehen erregende Fälle gefunden, die den Leser mitreißen – egal ob es um Betrug, Raub oder gar um Mord geht.

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Bernd Kaufholz

Der Todesengel mit den roten Haaren

Authentische Gerichtsfälle

Illustrationen von Björn Raupach

Mitteldeutscher Verlag

Zum Geleit

Kriminalfälle sind spannend, oft grausam, bisweilen mysteriös. Ihre Aufklärung fesselt die Öffentlichkeit vor allem dann, wenn der Tatort vor der Tür liegt. Bernd Kaufholz nimmt seine Leserschaft mit in die Gerichtssäle Sachsen-Anhalts und schildert die oft so knifflige Suche nach der Wahrheit.

Mord, Totschlag, Raub – jedem Kapitel geht ein Verbrechen voraus, bevor es im Gerichtssaal verhandelt wird. Mit großer Hingabe lässt uns der Autor teilhaben an dem schwierigen Puzzlespiel der Beweisführung. Kein Zeuge, kein Indiz darf im Prozess unberücksichtigt bleiben, um über Schuld oder Unschuld der Angeklagten zu urteilen. Viele Einzelheiten hat er zusammengetragen. Er erzählt eindringliche Geschichten, deren Schlagzeilen wir alle in den letzten Jahren gelesen haben.

Richter und Staatsanwälte werden aus der Anonymität herausgeholt. Damit ist ein spannendes Stück Justizgeschichte Sachsen-Anhalts entstanden – keine Fiktion, sondern eine Dokumentation.

Mit der geübten Feder eines Journalisten holt uns der Autor auf die Zuschauerbank, von der aus manche juristische Entscheidung nicht immer einfach zu verstehen ist. Er führt uns aber auch an die Orte des Geschehens, zu Nachbarn, Opfern und Tätern. Fundiertes Rechtswissen und gute Hintergrundrecherche verhelfen die Sicht der Justiz zu begreifen. Auf diesem Weg trägt das Buch zum größeren Verständnis für unsere Strafverfahren bei.

Gerade deshalb empfehle ich diese spannende Lektüre, mit der uns der gerichtserfahrene Autor wiederholt mitten hinein in das wirkliche Leben und die Gerichtssäle holt.

Curt Becker, Minister der Justiz Sachsen-Anhalt

Vorwort

Es gibt nur eine Sache, die spannender ist als authentische Kriminalfälle – Gerichtsberichte.

Das sagte mir eine treue Leserin meiner „Spektakulären Kriminalfälle“ nach einer Buchlesung. Und dann fügte sie noch an: „Wollen Sie nicht mal so etwas schreiben? So wie der Hirsch damals in der ,Wochenpost‘. Das interessiert doch.“

Dieses Gespräch brachte mich auf eine Idee. Allerdings nicht auf die, jetzt Stift und Block zu schnappen und in Sachsen-Anhalt auf die Suche nach spannenden Justizfällen zu gehen – denn während meiner dreizehn Jahre als Chefreporter der Volksstimme hatte ich schon über viele ungewöhnliche Prozesse für die Zeitung berichtet –, vielmehr dachte ich daran, die Gerichtsreportagen durchzusehen, zu überarbeiten und zusammenzustellen. Sozusagen als logische Fortsetzung der authentischen Kriminalfälle, die seit 1999 in vier Bänden beim Mitteldeutschen Verlag Halle erschienen sind.

Ohne lange nachzudenken, fiel mir sofort ein halbes Dutzend von Prozessen ein, die sich von der großen Masse der jährlich über 2.000 Strafsachen (Erste Instanz und Berufungssachen) an den vier Landgerichten Sachsen-Anhalts abhoben.

Darunter die schier unendliche Geschichte um Magdeburgs korrupten Vize-Regierungspräsidenten, selbst ein mit allen Wassern gewaschener Jurist, der sich mehrere Prozesse und Jahre lang wahre Duelle mit der Staatsanwaltschaft lieferte und obwohl er alle Register zu seiner Verteidigung zog, letztlich doch hinter Gitter musste.

Oder der tragikomische Fall des „selbst ernannten Rechtsanwalts“, der seine Mandanten schröpfte und bis vor den Bundesgerichtshof zog. Den Schlusspunkt unter fünf Prozesse zwischen 1996 und 2003 setzte ein Freispruch vor dem Amtsgericht Magdeburg. Der „Rechtsanwalt von der traurigen Gestalt“ hatte sich zwar keine Sozialhilfe erschlichen, war damals jedoch schon wegen mehrfachen Betrugs verurteilt.

Unerwartet endete der Prozess gegen einen Kubaner, einst Schwergewichtsboxer in Magdeburg. Der Plan seiner Ehefrau, ihn in eine Falle tapsen zu lassen, ging vor Gericht schief.

Die Gerichtsreportage über den Prozess gegen sieben NVA-Obristen vor dem Stendaler Landgericht wegen der Toten und Verletzten an der innerdeutschen Grenze macht deutlich, wie schwer sich das vereinte Deutschland mit der juristischen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit tat.

Mordprozesse wie gegen den 14 Jahre alten Tobias oder gegen einen Hallenser, der erst sieben Jahre nach der Tat angeklagt wurde und selbst drei Jahre später noch nicht rechtskräftig verurteilt war, oder die Hauptverhandlung gegen den Bundeswehrsoldaten, der einen Kameraden während eines Auslandseinsatzes erschoss, zeigen, wie kompliziert der Weg zur Wahrheitsfindung oft ist.

Die Gerichtsberichte werfen Streiflichter auf die verantwortungsvolle Arbeit von Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern. Sie zeigen aber auch Reaktionen von Opfern und Angeklagten.

Ich möchte mich an dieser Stelle besonders bei meiner Kollegin Karin Werner bedanken, die viele Jahre lang für die Volksstimme die Prozesse am Magdeburger Landgericht besuchte und zum Gelingen des vorliegenden Buches beitrug.

Bernd Kaufholz

Magdeburg, August 2005

Der Obristen-Prozess

Der Saal 218 des Stendaler Landgerichts platzt am 28. September 1999 aus allen Nähten. Über 100 Zuhörer wollen den Auftakt des bisher größten Grenzerprozesses in Sachsen-Anhalt nicht versäumen. Die Mehrzahl der Anwesenden – zumeist selbst Ex-Offiziere – ist gekommen, um ihren ehemaligen NVA-Kameraden auf der Anklagebank den Rücken zu stärken.

Gerangel um die Plätze. „Wir lassen unsere Genossen doch nicht allein“, formuliert ein NVA-Major a. D. den „Tagesbefehl“. Wo sonst fast gähnende Leere herrscht, müssen Justizbeamte nachrüsten. Selbst im Richterzimmer werden Sitzgelegenheiten requiriert und in den Saal 218 getragen. „Das hat doch Methode“, vermutet ein ehemaliger DDR-Offizier, der wie viele seiner einstigen Mitkämpfer im Gang steht. Die Stimmung ist gereizt. „Was haben denn die Schüler hier zu suchen“, beschwert sich eine Offiziersgattin, die ebenfalls noch keinen Platz gefunden hat. „Wir weichen und wanken nicht“, droht ein Grauhaariger. „Dann bleiben wir eben im Flur stehen.“

Doch dazu kommt es nicht. Kurz vor 13 Uhr haben alle einen Platz gefunden. Und die Magdeburger Staatsanwältin Antje Walter kann die Anklage gegen sieben Ex-Obristen des Grenzkommandos Nord verlesen. Lantfried Kaltofen (70), Alfred Hamberger (70), Horst Gäbler (71), Werner Heinig (66), Siegfried Schumacher (59), Frank Boraschke (53) und Frithjof Banisch (52) wird in unterschiedlicher Beteiligung Beihilfe zum Todschlag, Beihilfe zum versuchten Todschlag, gefährliche Körperverletzung bzw. Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung vorgeworfen.

„Die Angeklagten haben maßgeblich mit an der jährlichen Erarbeitung und Durchsetzung des ‚Befehls 40‘ mitgewirkt“, sagte die Staatsanwältin. Die Stellvertreter des Grenzkommando-Kommandeurs seien somit federführend an der Sicherung der innerdeutschen Grenze durch Minen, Selbstschussanlagen und Einsatz der Schusswaffe beteiligt gewesen und hätten somit auch „den Tod von Flüchtlingen billigend in Kauf genommen“.

Die Anklägerin bezieht sich auf vier Todesfälle und sieben versuchte Tötungen während der Dienstzeit der sieben Offiziere a. D. So hatten am 17. April 1972 drei Jugendliche bei Oebisfelde die Flucht in den Westen versucht. Dabei war die 15-jährige Heidi Schapitz von Schüssen eines Grenzers getötet worden, als sie bereits mit dem Oberkörper über dem Zaunrand lag. Hans Franck (26) wurde am 16. Januar 1973 die Selbstschussanlage bei Blütlingen in der Altmark zum Verhängnis. Er konnte sich zwar noch in die BRD schleppen, starb dort jedoch einen Tag später im Krankenhaus von Dannenberg. Wolfgang Vogler (25) versuchte am 14. Juli 1974 bei Hohegeiß im Harz zu flüchten. Zwei SM70-Splitterminen verletzten ihn schwer. Er starb am 15. Juli in einer Magdeburger Klinik. Auch Wolfgang Bothe (28) überlebte die Detonation einer Splittermine nicht. Bei seinem Versuch am 7. April 1980 bei Veltheim (Kreis Halberstadt) die Grenzanlagen zu überwinden, wurde er schwer verletzt. Er starb vier Tage später.

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