Hat der Dorn erst einmal den Dorn entfernt, so werden beide weggeworfen.
Um zu verstehen, dass Meditation keine Aktivität ist, verwenden wir das Beispiel einer geballten Faust. Nehmen wir unsere offene Hand, schließen wir sie langsam und drücken sie zusammen, dann bedeuten sowohl das Zusammendrücken als auch das Aufrechterhalten dieser kontrahierten Position eine gewisse Anstrengung.
Halten wir die Hand einige Zeit in dieser kontrahierten Stellung, so gewöhnen sich die Muskeln an die neue Position. Bald werden wir nicht mehr bemerken, dass ständig eine gewisse Anstrengung nötig ist, um sie beizubehalten.
Würde uns nun jemand dazu auffordern, die Hand zu öffnen, wäre unser Eindruck der, dass das Öffnen der Hand eine Anstrengung (Aktivität) erfordert. Irgendwann, während wir die Hand öffnen, werden wir der Tatsache gewahr, dass wir nicht eine neue Anstrengung leisten, um die Hand zu öffnen, sondern eine vorherige Anstrengung loslassen , beenden , deren wir schon gar nicht mehr gewahr waren.
Die scheinbare Anstrengung, die Hand zu öffnen , stellt sich als Loslassen oder Beenden der ursprünglichen Anstrengung heraus, die Hand zu kontrahieren. Was der Beginn einer Anstrengung zu sein schien, erweist sich als das Beenden einer Anstrengung.
Bei Meditation ist das ganz ähnlich. Unsere wahre Natur ist offen, unbegrenzt, frei, bewusst, selbstleuchtend und selbstverständlich. Dies ist unsere Erfahrung, von Moment zu Moment, auch wenn wir dessen vielleicht nicht gewahr sind.
Dieses offene, freie, unbegrenzte BEWUSSTSEIN hat von selbst kontrahiert. Es hat sich scheinbar in den engen Rahmen eines Körpers und eines Geistes geschrumpft und sich selbst auf einen winzigen Ort in einem riesigen Raum und auf einen kurzen Moment in einer unendlichen Zeitspanne begrenzt.
Dies ist die primäre „Selbst-Kontraktion“, die das offene, freie, unbegrenzte BEWUSSTSEIN von Moment zu Moment aus freiem Willen wählt.
Es zieht in dem nahtlosen Ganzen seiner Erfahrung eine Linie und sagt zu sich selbst: „Dies bin ich, das bin ich nicht.“ – „Ich bin hier, nicht dort.“ – „Ich bin ich und nichts anderes.“
Es fühlt sich isoliert und somit verletzlich und verängstigt. Daher beginnt das offene, freie, unbegrenzte BEWUSSTSEIN nun, seine neue, sich selbst auferlegte Identität als Fragment zu unterstützen und zu beschützen.
Dafür verstärkt es seine Grenzen durch viele Schichten von Kontraktionen. Auf der Ebene des Geistes sind diese Kontraktionen auf der einen Seite aus Wünschen und Abhängigkeiten gemacht, auf der anderen Seite aus Ängsten, Widerständen und Ablehnungen. Alle zusammen bilden die vielen Gesichter unserer Vorlieben und Abneigungen, unser „Ich möchte …“ und „Ich will nicht…“.
Auf der Ebene des Körpers sind diese Kontraktionen aus körperlichen Empfindungen gemacht, mit denen das BEWUSSTSEIN sich identifiziert. Sie bilden den scheinbaren Ort des ‚Ich‘ im Körper.
Mit jeder neuen Schicht von Kontraktionen vergisst das freie, unbegrenzte BEWUSSTSEIN seine eigene unbegrenzte Natur immer mehr. Und verhüllt sich so selbst. Es versteckt sich selbst vor sich selbst.
Trotzdem durchdringt häufig etwas, was das BEWUSSTSEIN an seine wahre Natur erinnert, die selbst erzeugte Isolation, etwa das Lächeln eines Fremden, das Weinen eines Kindes, ein unerträglicher Kummer, ein kurzer Moment der Wunschlosigkeit nach der Erfüllung eines Wunsches, ein Moment des Humors, der Friede des Tiefschlafs, eine Pause im Denkprozess, eine Erinnerung an die Kindheit, der Übergang zwischen Schlafen und Aufwachen, das Erkennen von Schönheit, die Liebe eines Freundes, ein flüchtiges Verstehen …
Dies sind Momente, die der mittlerweile verschleierten Präsenz des BEWUSSTSEINS dargeboten werden, unzählige Geschmacksnuancen seiner eigenen FREIHEIT und seiner eigenen FREUDE. Sie erinnern BEWUSSTSEIN kurz an sich selbst, bevor es wieder durch die Effizienz der Verteidigungen verdunkelt wird, durch die es sich scheinbar eingeengt hat.
Mittels dieser vielen Schichten von Kontraktionen hat BEWUSSTSEIN sich so auf ein wehrhaftes, separates und verletzliches Wesen reduziert.
Dies ist keine Aktivität, die irgendwann in der Vergangenheit stattgefunden hat und nun unwiderruflich in Stein gemeißelt ist. Es ist eine Aktivität die nun, in diesem Moment, stattfindet.
Dieses offene, freie, unbegrenzte BEWUSSTSEIN vollzieht , ohne es zu wissen, diese Aktivität der Trennung. Diese Aktivität definiert die ‚Person‘, das ‚separate Wesen‘.
Das separate Wesen ist etwas, was wir, als BEWUSSTSEIN, herbeiführen. Es ist nicht etwas, was wir sind .
BEWUSSTSEIN kontrahiert und sieht sich selbst als ein Fragment. Als Folge davon projiziert es alles, was nicht innerhalb der Grenzen dieser selbst auferlegten und begrenzten Identität ist, nach außen. Nun erscheint die Welt als ‚außen‘ und als ‚anderes‘. Sie wird zu all dem, was ‚BEWUSSTSEIN-als-ein-Fragment‘ nicht ist.
Diese Welt, die jetzt getrennt und außerhalb von BEWUSSTSEIN zu sein scheint, wirkt so, als ob sie die neue Sichtweise des BEWUSSTSEINS, die Sicht von sich selbst als begrenztem Fragment, perfekt bestätigte. Die Welt wird zu dem riesigen und potenziell gefährlichen Behältnis für dieses ‚BEWUSSTSEIN-als-ein-Fragment‘.
Ironischerweise ist es gerade deshalb, weil die Welt in Wirklichkeit eine Erscheinung im BEWUSSTSEIN und ein Ausdruck von BEWUSSTSEIN ist, so, dass diese Welt sehr genau den Vorstellungen entspricht, die BEWUSSTSEIN über sie hat.
Sieht BEWUSSTSEIN sich selbst als ein Fragment, als begrenzt, als gefangen und als Teil von Raum und Zeit, so wird die Welt als passendes Gegenstück zu dieser Vorstellung erscheinen.
Nachdem BEWUSSTSEIN sich selbst die eigenen Geburtsrechte, seinen ewigen, alles durchdringenden Status, abgesprochen hat, weist es genau diesen Status der Welt der Erscheinungen zu. Es überträgt seine eigene REALITÄT auf die Welt der Erscheinungen und übernimmt für sich selbst im Tausch dafür die flüchtige Fragilität dieser Welt.
Es verzichtet auf seine eigene REALITÄT als Grundlage und Natur jeglicher Erfahrung und projiziert diese stattdessen auf die eigene Schöpfung, auf die Welt der Erscheinungen.
BEWUSSTSEIN tauscht seine Natur mit der Welt der Erscheinungen. Es hat keine Alternative dazu.
Tatsächlich hört BEWUSSTSEIN nie auf, sich selbst zu erfahren. Eingebettet in jeder Erfahrung ist der Geschmack seiner eigenen Ewigkeit.
Allerdings muss es, nachdem es sich selbst als ein begrenztes und separates Wesen definiert hat, die eigene vertraute Erfahrung von PRÄSENZ, von SEIN, anderweitig zuordnen und überträgt sie daher auf die ‚Welt‘, auf ‚anderes‘.
So scheinen Raum und Zeit zur Grundlage und Substanz von REALITÄT zu werden, zum ‚sine qua non‘ unserer Erfahrung. BEWUSSTSEIN wiederum scheint die lückenhaften, begrenzten, veränderlichen Eigenschaften zu zeigen, die in Wirklichkeit zur Welt der Erscheinungen gehören.
BEWUSSTSEIN vergisst, dass es dies getan hat und dass es dies tut, und als Ergebnis scheint die Welt die Charakteristika von BEWUSSTSEIN zu erben. Die Welt scheint so zu werden wie BEWUSSTSEIN, solide, wirklich, permanent, substanziell.
Und dann scheint BEWUSSTSEIN seine eigenen, ihm innewohnenden Eigenschaften aufzugeben und stattdessen anzunehmen, dass diese zu Recht zur Welt der Erscheinungen gehören. So wird BEWUSSTSEIN scheinbar flüchtig, vergänglich, zerbrechlich und substanzlos.
Kurz gesagt, BEWUSSTSEIN erschafft sich eine Erscheinung, die mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmt.
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