holen kann. So einem ist die äußere Schönheit
nicht so wichtig.
Er: Irgendwann wacht er auf und sieht eine alte Schachtel neben sich im Bett.
Sie: Jede Frau ist schön, man muss nur richtig hinschauen.
Er: Da musst du dir aber einen suchen, der auf beiden
Augen blind ist.
Sie:Jetzt reicht es wieder, leg endlich die Zeitung weg.
Er:Ich habe gedacht, wenn ich Rentner bin, kann ich morgens ganz in Ruhe meine Zeitung lesen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Seit ich daheim bin, fängt es gleich nach dem Frühstück an: „Du könntest den
Mülleimer leeren, könntest den Hof kehren,
könntest Einkäufe machen. Der Keller müsste auch mal wieder aufgeräumt werden, das Auto in die Inspektion gebracht, das Schlafzimmer frisch gestrichen und die Schrauben am Küchentisch angezogen werden.“ Ich frage mich, wer das früher alles gemacht hat.
Sie: Wahrscheinlich hatte ich einen Liebhaber, der das
alles aus Dankbarkeit erledigt hat.
Er:Ich glaube eher, du machst ab und zu heimlich
etwas kaputt, damit es mir nicht langweilig wird.
Sie: Genauso wird es sein.
Er: Kann ich jetzt weiterlesen?
Sie: Nein, das kommt nicht in Frage. Wenn ich jetzt
ins Bad gehe, verkrümelst du dich und ich sehe dich erst wieder zum Mittagessen.
Er:A propos Bad, ich weiß auch nicht, was du da immer
so lange zu tun hast. Von den vielen Salben wirst
du auch nicht schöner.
Sie: Womit wir wieder mal beim Thema wären. Wenn
ich dir nicht mehr gefalle, such dir halt eine andere.
Er:Jetzt reg dich wieder ab, ich weiß doch, dass ich so
eine wie dich nicht mehr finde. Wer kann heute noch Schnorrgickel, Grießknöpf’ und Dampfnudel kochen? Und dein Hefezopf, der ist einmalig.
Sie: Klar, bei den alten Männern muss man sich damit abfinden, dass die Liebe nur noch durch den Magen geht. Aber könnten wir jetzt mal vom Wochenende reden?
Er: Warum, ist da etwas Besonderes?
Sie: Du hast schon wieder alles vergessen. Tanja kommt doch mit den Kindern.
Er: Und unser Schwiegersohn hat mal wieder keine Zeit?
Sie:Habe ich das gesagt?
Er:Drück dich halt präzise aus. Immer muss ich mir die Hälfte von dem, was du sagen willst, selbst ausdenken.
Sie:Mein Gott, muss ich so blöde Diskussionen mein
restliches Leben aushalten?
Er: Nein, da bin ich mir ganz sicher. Hier steht in der
Zeitung, „die Lebenserwartung der Frauen liegt sechs Jahre höher als die der Männer.“ Und das ist bloß der Durchschnitt, das heißt, wenn die Frau so plagt wie du, geht’s noch schneller. Also, richt’ dich darauf ein, bald bist du mich los. – Gerade hat’s geläutet.
Sie: Na und, das wird eh für dich sein.
Er: Deswegen kannst du trotzdem die Türe aufmachen.
Sie:Warum immer ich? Hast du schon bemerkt, dass wir im
Zeitalter der Gleichberechtigung leben?
Er:Aber du sitzt doch viel näher dran. Jetzt geh schon,
es hat schon wieder geläutet.
Sie:Ich sehe nicht ein, dass immer ich die Dumme bin.
Er: Du wolltest doch da sitzen damit du nicht so weit zum Herd hast.
Sie: Ab morgen darfst du kochen. So oft, wie du den Köchen
im Fernsehen zuschaust, musst du es langsam können.
Er:Jetzt ist er weg.
Sie: Wer?
Er: Das weiß ich doch nicht.
Sie:Du gehst mir auf den Wecker mit der Diskutiererei.
War das schön, als du noch arbeiten gegangen bist.
Er: Da muss ich dir ausnahmsweise recht geben. Was
meinst du, warum ich morgens so lange Zeitung lese?
Sie: Weil du nichts zu tun hast.
Er:Das ist mal wieder typisch. Nein, ich such’ mir
einen Job.
Sie: Und, hast du schon was gefunden?
Er: Du wirst lachen, ich bin Dozent an der Volkshochschule.
Sie: Ausgerechnet du, du kannst doch niemand was beibringen.
Er:Täusch dich da mal nicht. Der Andrang ist so groß,
dass ich den Kurs zweimal halten muss.
Sie:Also, ehrlich, das kann ich mir nicht vorstellen.
Er:Da kann man sehen, dass du meine wahren Fähigkeiten noch gar nicht erkannt hast.
Sie: Und was soll das für ein Kurs sein?
Er: „Streitkultur im Rentnerleben.“ Untertitel: „Erfahrener Rentner verrät rhetorische Tricks und Tipps.“
Sie:Ah, jetzt weiß ich, warum du die letzten Wochen wegen
jedem Mist mit mir rumgestritten hast.
Er: Ja, da hab’ ich Erfahrungen für meinen Kurs gesammelt.
Sie:Eigentlich sollte ich mich darüber aufregen. Aber wenn ich auf diese Weise öfter mal meine Ruhe habe, soll es mir gerade recht sein.
Ein badischer Elsässer
(1945)
Rudolf Holzwarth stand wie jeden Morgen erschöpft und hungrig in der Reihe. Irgendwann würden sie ihn in die Krankenbaracke tragen, und von da waren bisher die wenigsten zurückgekommen. In diesem Moment riss ihn das Wort „Elsass“ aus seiner Lethargie – „Alle Elsässer raustreten!“
Später hätte Rudolf nicht mehr genau sagen können, warum er spontan die drei Schritte nach vorne gemacht hatte. Der Kommandant kam auf ihn zu: „Du kennen de Gaulle?“
Rudolf nickte: „Französischer General.“
„Weiter“, der Kommandant bohrte ihm den Zeigefinger in die Brust.
Rudolf wurde es warm. Was war de Gaulle noch? „Chef der Exilregierung.“
Der Druck des Fingers wurde stärker. „Falsch, de Gaulle ist Regierungschef von legitimer Regierung. Du mitkommen“, er drehte sich auf dem Absatz um.
„Dawei“, ein Wachsoldat stieß ihn vorwärts.
In der Schreibstube blätterte der russische Offizier in seiner Akte. „Du bist in Breisach geboren, das ist doch in Deutschland?“ Er schaute fragend hoch.
„Nein, in Breisach im Elsass, auf der anderen Seite des Rheins. Das war vor dem Krieg französisch.“
„Warum du deutscher Soldat, Nazi?“
Rudolf stöhnte innerlich. „Der kapiert überhaupt nichts.“
„Ich bin in Breisach in Frankreich geboren“, versuchte er es noch einmal. „Wir wurden besetzt. Die Deutschen sagen, das Elsass ist deutsch, deshalb wurden wir zur deutschen Armee eingezogen.“ Er nahm ein leeres Blatt und einen Bleistift vom Schreibtisch und malte eine lange Linie von oben nach unten, „das ist der Rhein.“ Dann einen Kreis am unteren Ende. „Das ist Basel in der Schweiz, linke Seite Elsass, rechte Seite Deutschland.“ Mittendrin zeichnete er noch einen großen und einen kleinen Kreis: „Das ist Breisach in Deutschland und das ist Breisach in Frankreich.“ Außerdem zeichnete er Straßburg, Colmar und die Vogesen ein und machte einen großen Bogen um das Ganze. „Das ist das Elsass, wir sprechen deutsch und französisch. Die Deutschen sagen, wir sind deutsch, die Franzosen, wir sind französisch.“ Er fasste mit der Hand ans Herz, „hier sind wir Franzosen.“
Der Kommandant rief nach seiner Sekretärin, die ihm ein Formular auf den Schreibtisch legte. „Ministerium suchen für de Gaulle Elsässer.“ Der Kommandant unterschrieb, knallte einen Stempel drauf und grinste Rudolf breit an. „Du frei.“
Nun ging alles sehr schnell. Unter den wachsamen Augen eines russischen Aufsehers räumte er seine Habseligkeiten zusammen. Auf dem Hof wartete ein Lkw mit laufendem Motor. Die Fahrt endete am Bahnhof einer Kleinstadt. Dort führte ihn ein Unteroffizier an das Ende des Bahnsteigs zu etwa zwanzig weiteren Gefangenen, die verschmutzt, krank und verlaust herumstanden oder dösend dahockten. Links und rechts hörte Rudolf den ihm so bekannten Dialekt, manche sprachen auch französisch. „Das sind alles Elsässer! Was passiert, wenn die merken, dass ich keiner von ihnen bin?“ Er setzte sich etwas abseits auf seinen Rucksack und drückte die Mütze ins Gesicht.
Gegen Abend erschien ein Offizier und ließ sie antreten, Rudolf hoffte inständig, dass ihn keiner ansprach. In gebrochenem Deutsch wurde ihnen erklärt, dass sie mit dem Zug zunächst nach Tambow in ein Sammellager kämen, bevor man sie weiter nach Frankreich schickte. Dann wurden Zigaretten ausgeteilt. Rudolf steckte seine ein. Er rauchte nicht, würde sie aber zum Tauschen einsetzen. Eine Stunde später kamen zwei Frauen mit einem Kessel wässriger Suppe und einer Scheibe Brot für jeden.
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