Den Startschuss für erzählerisch-journalistische Beiträge, die mit wissenschaftlichen Fakten unterfüttert waren, setzte bereits die Eröffnungsausgabe. Das zweite Heft erschien sieben Monate später, im April von 1889, und machte einen zweiten Grundsatz der Beiträge deutlich: Der Leser sollte an faszinierende, weit entfernte Orte mitgenommen werden und zu einem besseren Verständnis seiner Umwelt und anderer Kulturen gelangen. Der von Hubbard geschriebene Hauptartikel befasste sich mit der Zukunft und Vergangenheit Afrikas und thematisierte neben der Geografie des Kontinents auch in bemerkenswerter Weise den Sklavenhandel als „großen Fluch Afrikas“. 32Das Magazin war nicht nur Vorreiter für Reportagen, die den Leser in weit entfernte Regionen des Planeten entführten und ihn am Leben anderer Menschen teilhaben ließen, es bediente sich mitunter auch rassistischer Äußerungen. Im selben Beitrag relativierte Hubbard seine Erkenntnis durch die Aussage, dass eines Negers Gemüt ihn zu einem sehr effektiven Sklaven mache. Er könne lange und hart arbeiten, von wenig leben, habe eine fröhliche Natur und wende sich selten gegen seinen Herrn. 33Hubbards Überzeugungen waren für einen weißen Bewohner der oberen Bevölkerungsschicht der Vereinigten Staaten von Amerika in damaliger Zeit nicht ungewöhnlich. Durch die konstitutionell verankerte Abschaffung der Sklaverei verzeichneten die Bürgerkriegsbemühungen zwar einen humanitären Erfolg, doch die ehemaligen Sklaven waren von einer tatsächlichen Gleichstellung weit entfernt. Elf Jahre nach dem militärischen Konflikt wurden 1876 in mehreren US-amerikanischen Bundesstaaten die sogenannten Jim-Crow-Gesetze verabschiedet, die die Rechte der befreiten Sklaven drastisch beschnitten. 34Die Gesetze bewirkten bis 1964 eine Rassentrennung vor allem zwischen Afroamerikanern und Menschen weißer Hautfarbe. Vor diesem Hintergrund sind Hubbards Aussagen mit Bedacht zu bewerten – auch wenn sie aus moderner Perspektive höchst befremdlich wirken. Dies zeigt in gleicher Weise sein Aufsatz aus dem Jahre 1894 zum Thema „Geographic Process in Civilization“. Darin behauptete er, die Menschen der gemäßigten Zone der Nordhalbkugel seien Völkern anderer Herkunft kulturell weit überlegen:
„Wenn man Vergleiche der Breitengrade rund um die Welt zieht, ungefähr 15 Grad nördlich und 15 Grad südlich von Washington, würden diese Breitengrade alle Länder der Erde beinhalten, die hoch zivilisiert sind und sich durch Kunst und Wissenschaft hervorheben. Keine großen Männer lebten jemals, keine großen Gedichte wurden jemals geschrieben, keine literarische oder wissenschaftliche Arbeit produzierte man jemals in anderen Teilen der Erde.“ 35
Die Gründe suchte er im Falle Afrikas beim tropischen Klima, da die Erde dort Nahrung auf natürliche Weise zur Verfügung stelle und die Menschen nur eine spärliche Bekleidung benötigten, blieben „alle Anreize entweder mentaler oder handwerklicher Anstrengung mangelhaft.“ 36Hubbards Bemerkungen reihten sich nahtlos in die Riege fragwürdiger Aussagen anderer Autoren des National Geographic Magazines ein und scheinen keineswegs seiner als „großherzig“ bezeichneten Person geschuldet. 37Die Zeit war noch nicht reif für einen durchweg sensiblen Umgang mit verschiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen der Welt.
In der Ausgabe vom April 1891 griff die Gesellschaft ein für die nächsten Jahre bestimmendes Thema auf: In Zeiten, in denen einzig die Pole als weiße Flecken auf der Landkarte verblieben, berichtete das National Geographic Magazine über die Arbeit eines zehnköpfigen Expeditionsteams am Mount St. Elias und rückte die Erforschung der Polargebiete in den Fokus. 38Auf dieser ersten von der Gesellschaft finanziell unterstützten Forschungsreise kartierte das Team unter der Direktion des Geologen Israel C. Russel von 1890 bis 1891 das Gebiet rund um den zweithöchsten Berg Kanadas und der Vereinigten Staaten. Nebenbei entdeckten sie den höchsten Punkt Kanadas, den Mount St. Logan, und gaben einem gigantischen Gletscher den Namen Hubbards. 39Russels Artikel war für spätere Forschungsreportagen des Magazins wegweisend, da er erstmalig die Ich-Erzählperspektive wählte – wie seine Schilderung eines Unwetters zeigt, das ihn und sein Gefolge während der Expedition überraschte:
„Als ich hinausschaute, sah ich menschenkopfgroße Felsbrocken ein paar Meter von unserem Zelt entfernt herabstürzen. Einer traf die Zeltstange, an der die Firstleine befestigt war. Unsere Zeltbahn wurde hochgeschlagen und es regnete herein. [ … ] Wir zogen uns dann an das Ende des Gletschers zurück und bauten unser Zelt nochmals auf. Durchnässt und frierend sehnten wir das Ende der Nacht herbei. Zu schlafen war unmöglich.“ 40
Das Festhalten persönlicher Erfahrungen im Unterschied zur Verwendung bloßer Fakten sollte den besonderen Stil des Journals in späteren Zeiten bestimmen. Der Leser konnte durch die Augen solch herausragender Globetrotter wie Russel auf der ganzen Welt Abenteuer erleben – auch wenn er selbst keine Möglichkeiten hatte einen Gletscher zu besteigen:
„Der einsame Förster, der Büroangestellte an seinem Schreibtisch, der Klempner, der Lehrer, der achtjährige Junge oder der Achtzigjährige kann nicht wie ein Carnegie, Rockefeller, Ford oder Guggenheim seine eigenen Expeditionen aussenden. Aber als Mitglied der National Geographic Society kann er es genießen, einen Anteil an der Unterstützung von Erforschungen durch seine eigene Organisation zu haben und die Berichte aus erster Hand in seinem eigenen Magazin zu lesen.“ 41
In den Folgejahren wurde das National Geographic Magazine unbeständig oft herausgegeben. Eine neue Ausgabe wurde nur veröffentlicht, wenn genügend Material das Drucken lohnte.
Erst ab 1896 wurde es in monatlicher Regelmäßigkeit publiziert. Der Umschlag war nun beigefarben und das Heft für 25 Cents an den Kiosken der USA erhältlich. 42

Abb 5: Das National Geographic Magazine wurde ab 1896 als „Illustrated Monthly“ für 25 Cents in den USA verkauft.
Die Gesellschaft hoffte, die bislang schleppenden Verkaufszahlen so in die Höhe treiben zu können. Als erster Hersausgeber und Schriftleiter wurde John Hyde, Chef-Statistiker des Landwirtschaftsministeriums der Vereinigten Staaten, eingesetzt. 43Bezahlt wurde er für seine Dienste ebenso wenig wie die Autoren. Unter seiner Herausgeberschaft behandelte das Magazin viele faszinierende Themen wie weltweit auftretende Naturphänomene, aber an einer professionellen Umsetzung, die eine breite Leserschaft mitreißt, mangelte es noch weitgehend.
Dennoch erschienen vereinzelt bemerkenswerte Artikel im Antrittsjahr von Hyde. Einer von ihnen widmete sich einer großen Naturkatastrophe dieser Zeit: dem Tsunami, der 1896 vor der japanischen Küste nordöstlich von Honshu wütete. Fast 27.000 Menschen wurden damals dahingerafft. Reporterin war die Geografin Eliza Ruhamah Scidmore. Sie war das einzige aktive weibliche Mitglied der Gesellschaft, Mitherausgeberin des Magazins und späteres Vorstandsmitglied. Im Verlauf ihrer 17-jährigen Verbindung 44zur National Geographic Society verfasste sie noch viele weitere dieser sprachlich und stilistisch innovativen Reports:
„Der Regen hatte sie wieder nach drinnen in die Dunkelheit getrieben, und beinahe alle waren um acht Uhr in ihren Häusern, als mit ( … ) Getöse und unter Krachen und Knacken von Balken plötzlich alle von wirbelnden Wassermassen verschlungen wurden. Nur wenige Überlebende entlang der ganzen Küste hatten die Flutwelle herannahen sehen.“ 45
Der Autorin gelang mit wenigen Worten, ihrer Leserschaft die zerstörerische Wucht eines Tsunamis vor Augen zu führen, auch wenn sie eine neutrale Erzählperspektive wählte. Dabei vergaß sie die grausamen Fakten nicht, die einen seriösen Anspruch wahrten und den Augenblick erneut zum Leben erweckten:
Читать дальше