Syndrome: Chronische Müdigkeit und Burn-out
Diese beiden Syndrome sind in ihrer Symptomatik mit der im Vordergrund stehenden völligen Erschöpfung und Ermüdung sehr ähnlich, obwohl sie unterschiedliche Auslösefaktoren haben. Ihre Leitsymptome sind die folgenden (vgl. Fukuda u.a. 1994):
• Müdigkeit und Erschöpfung
• Schlafstörungen und fehlende Erholung im Schlaf
• Merkfähigkeit- und Konzentrationsstörungen
• Angst/Panik, den Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein
• Stimmungsschwankungen, Depressionen, Sorgen
• Sozialer Rückzug
• Ablenkung durch Rauchen oder Essen oder Alkohol oder Internet
• Chronische aktive oder wiederkehrende Infekte
• Chronische Schmerzen an Muskeln und Gelenken
• Körperliche Beschwerden: Rückenschmerzen, Verspannungen, Verdauungsprobleme, Magenschmerzen, Sodbrennen, Herz-Kreislauf-Probleme
• Kopf-Genick-Unfälle mit Kopf-Nacken-Schmerzen und Schwindel
• Unterzuckerung mit Heißhungerattacken
• Störungen des Hormonhaushalts
Während das chronische Müdigkeitssyndrom relativ abrupt durch kurzfristig einwirkende Stressoren ausgelöst werden kann (vgl. Royal Colleges of Physicians PaGP 1997), entsteht das Burn-out-Syndrom in langjähriger Entwicklung vor allem durch eine Überforderung des Einzelnen vor dem Hintergrund spezifischer Persönlichkeitsmerkmale. (Skapinakis u.a. 2004) Den Boden dafür bietet eine Gesellschaft, in der die Hälfte der Beschäftigten unter permanentem Zeit- und Leistungsdruck steht, viele davon sogar an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Das chronische Müdigkeits-Syndrom ist mittlerweile als Krankheit bestätigt, doch das Burn-out-Syndrom gilt im ICD-10 (= Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) immer noch als Problem der Lebensbewältigung und wird nicht als Krankheit anerkannt. (AWMF-Register 2011)
Viele sehen Burn-out als Modekrankheit, die mittlerweile jeder für sich in Anspruch nimmt, der stressige Phasen zu überstehen hat. Immerhin gilt Burn-out in gewisser Weise als „gehobener Defekt“, denn wer ausgebrannt ist, muss zuvor mit Ehrgeiz, Idealismus und Perfektionismus in Flammen gestanden haben. Dabei handelt es sich um eine schwerwiegende chronische Erkrankung, die seit Jahren von der Medizin unterschätzt wird.
Es ist tatsächlich nicht einfach, eine Krankheit zu verstehen, die sich chronisch-schleichend entwickelt und so viele unterschiedliche Ausprägungen zeigen kann. Erste Symptome werden von den Betroffenen lange Zeit nicht wahrgenommen oder sogar verdrängt, Erschöpfung wird ignoriert oder heruntergespielt. Es ist ein sehr komplexes und facettenreiches Leidensbild, das die gesamten eigenen Kraftreserven aufbraucht, bis nichts mehr geht, bis es zu einer totalen Erschöpfung auf körperlicher Ebene mit gleichzeitig bestehenden psychischen Problemen kommt. (AWMF-Register 2011)
Gefährdet sind Menschen, die mit hohem Engagement ihre Aufgaben bewältigen, denen aber Erfolg und Anerkennung auf längere Zeit hin versagt bleiben. Oder Menschen in sozialen Berufen wie Krankenschwestern, Altenpfleger, Ärzte, Lehrer, Seelsorger und pflegende Angehörige, die sich für andere über Jahre hinweg aufopfern. Auch Schüler, Hausfrauen, Arbeitslose oder Rentner können betroffen sein. Auffällig ist, dass immer mehr Jugendliche an Erschöpfungssymptomen leiden. Junge Menschen im allerbesten Alter leben – statt sich des blühenden Lebens zu erfreuen – immer eingeschränkter, schaffen durch den andauernden Stress in der Schule und im Studium ihre Alltagsaufgaben nicht mehr, werden mutlos, bekommen depressive Züge und die Freunde distanzieren sich. Falsche, stark kohlenhydratlastige Ernährung, ihre Pubertät, mangelnde Anerkennung, Konkurrenzdenken, Mobbing und private Probleme führen zusätzlich zu Müdigkeit, Leistungsabfall und Gereiztheit, bis irgendwann Seele und Körper streiken und nichts mehr geht. Gefährdet sind aber auch Menschen mit immer wiederkehrenden oder chronischen Infekten, Gift- oder Kopf-Genick-Gelenks-Belastungen, autoaggressiven Erkrankungen (wie Rheuma) oder Tumorerkrankungen. (AWMF-Register 2011)
H. Freudenberger definiert Burn-out als Energieverschleiß, als Erschöpfung aufgrund von Überforderung, die von innen oder von außen – durch Familie, Arbeit, Freunde, Liebhaber, Wertesysteme oder die Gesellschaft – kommen kann und einer Person Energie, Bewältigungsmechanismen und innere Kraft raubt. Burn-out ist ein Gefühlszustand, der begleitet ist von übermäßigem Stress und der schließlich persönliche Motivationen, Einstellungen und Verhalten beeinträchtigt. (Freudenberger 1994, S. 24) Warum lässt ein gesunder Körper das zu? Weil überschießende Stresshormone zu Fehlfunktionen in den Energiekraftwerken der Zellen, den Mitochondrien, führen, wie wir später noch ausführen werden.
Die neuesten Ergebnisse aus der Hirnstressforschung und der mitochondrialen Medizin (Natelson u.a. 2005) geben Aufschluss darüber, dass Burn-out und chronisches Müdigkeitssyndrom ernst zu nehmende, chronische Erkrankungen des Körpers sind, die die „neuro-endokrino-immuno-molekulare Achse“ in uns erheblich verändern. Zur Erklärung:
– neuro = das Gehirn und seinen Stoffwechsel betreffend
– endokrino = den Hormonstoffwechsel betreffend
– immuno = das Immunsystem betreffend
– molekular = die Zellen und Mitochondrien betreffend
Diese Achse kann durch externe Faktoren beeinflusst werden:
• Dauerhafter psychischer Stress und körperliche Überlastung
• Umweltgifte (Metalle, Pestizide, Lösungsmittel)
• Chemische Zusatzstoffe in Lebensmitteln
• Künstliche Strahlung (insbesondere Funkstrahlung)
• Entzündliche Belastung durch Viren, Pilze oder Bakterien
• Falsche Ernährung (Fastfood mit hohem Kohlehydratanteil)
• Körperliche Überlastung (Leistungssport)
• Verletzungen und Instabilitäten im Kopf-Genick-Gelenk
Warum unser Lebensstil uns fertigmacht
Chronische Müdigkeit und Erschöpfung gilt derzeit als eine Zivilisationskrankheit, die wir als negatives Resultat der modernen Lebensformen vor allem in den westlichen Industrienationen auffassen. Unsere Umwelt und unser „Lifestyle“ haben sich drastisch verändert: Terminstress im Privaten wie im Beruf; Ernährung ist Nebensache, nur noch Fastfood – keine gesunde Ernährung mehr; Vorrang für Medienkonsum und soziale Medien, in der Freizeit lieber „chillen“ (entspannen, faul sein) – keine Bewegung, kein Sport; Leben in Ballungsgebieten mit massiver Umweltbelastung durch Toxine und Strahlungen (Smartphone, WLAN etc.). Die Hauptklage solcher Menschen: chronische Erschöpfung. Diese fundamental veränderte Lebensweise bedeutet extremen Stress für den Organismus.
Viele Patienten haben uns ihre Belastungen geschildert – wir könnten die gravierenden Probleme selbst nicht besser darstellen:
„Ich erlebte massive Konkurrenz in Unternehmen, beschleunigte Arbeitsabläufe und permanente Veränderungsprozesse waren die Regel in meinem beruflichen Leben: Das überforderte mich und meine Mitarbeiter gleichermaßen und setzte uns immens unter Stress.“
Dieser Stress führte zu einer permanenten Ausschüttung aller Stresshormone. Welche Auswirkungen das auf unsere Zellen hat, lesen Sie im nächsten Kapitel.
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„Wachsende schulische und später auch berufliche Belastung sowie permanenter Freizeitstress waren meine täglichen Begleiter.“
Viele sind heute der Meinung, dass Stress „in“ sei, denn alle haben ständig ihre Zeit verplant und werden an ihren Leistungen gemessen. In der Freizeit wird auf dem gleichen Level weitergemacht wie im Job, ein Termin hetzt den anderen, jede Minute ist verplant.
„So konnte ich nicht mehr abschalten oder mich erholen. Auch bei meiner Schwester (6 Jahre) erlebte ich immer mehr Freizeitstress, unter dem sie zu leiden begann. Sie lernte bereits im Kindergarten Fremdsprachen, ging in ihrer Freizeit Hobbys nach, lernte verschiedene Musikinstrumente oder machte täglich Sport. Ihr Leistungspensum in der Schule stieg, nach den Hausaufgaben stand sie unter Zeitdruck, da jede freie Minute ausgefüllt sein musste. Zeit für Erholung und Entspannung hatte sie genauso wenig wie ich.“
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