Die Band nahm How Could Hell Be Any Worse? An einem einzigen Wochenende auf. Das Artwork war fertig. Da auch die Frage des Vertriebs bereits geklärt war, konnte die Band ihre Platte nun pressen und ausliefern lassen. Zu diesem Zeitpunkt belegte gerade der Song „Centerfold“ der J. Geils Band die Spitze der Charts. Am goldenden See war der meistgesehene Film. Ronald Reagan befand sich im zweiten Jahr seiner ersten Amtszeit als Präsident der USA. Und Bad Religion hatten gerade ihre erste LP veröffentlicht. Doch würde das irgendjemanden auch interessieren?
Anfang 1982 pfiff die Punk-Szene von L.A. aus dem letzten Loch. Nur die treuesten Anhänger der einstmals so vitalen Bewegung hätten abgestritten, dass sie sich kopfüber in die Obskurität verabschiedet hatte. Das Starwood hatte geschlossen, die Kids kehrten der Szene den Rücken und Musiker ließen sich ihre Haare wieder wachsen. Der Sunset Strip war nun vermehrt die Heimat von Metal-Bands, die sich bei der Punk-Mode und Glam-Theatralik bedienten. Doch die erste Scheibe von Bad Religion How Could Hell Be Any Worse? bewies, dass Punk sehr wohl noch über einen Puls verfügte.
Einen Monat nach dem Erscheinen der Debüt-LP von Bad Religion veröffentlichten die Circle Jerks mit Wild in the Streets ihren Nachfolger von Group Sex. In Orange County brachten die Goth-Rocker von Christian Death mit ihrem Gitarristen Rikk Agnew, einem ehemaligen Mitglied von Social Distortion und der Adolescents, das Album Only Theatre of Pain heraus. Punk erschloss interessante neue Richtungen: Während die Hardcore-Fraktion immer härter und schneller zur Sache ging, experimentierten andere Gruppen mit langsameren Tempos und Synthesizern, um so ihre Unzufriedenheit atmosphärisch zum Ausdruck zu bringen. Oder, um es anders zu formulieren: Hardcore schlug um sich („Fuck you!“), wohingegen Goth, Death Rock und Post Punk introspektiver klangen („We’re fucked!“).
Bad Religion konnten auf einen enthusiastischen Rückhalt innerhalb der Hardcore-Gemeinde zählen. Doch obwohl sich die Band bei Fans und Veranstaltern immer größerer Beliebtheit erfreute, sahen andere Bands auf sie herab, was wieder einmal mit ihrem Alter und ihrer Herkunft zu tun hatte. „Wir hatten einen gewissen Stellenwert, aber noch nichts erreicht“, erklärt Jay. „Wir waren einfach ein paar Sackgesichter aus dem Valley. So konnten uns die Leute leicht abstempeln. Ihr seid doch aus dem Valley. Als ob der einzig wahre Punk aus Hollywood stammen musste. Vermutlich ließ man uns alles nur deshalb durchgehen, weil wir noch so jung waren.“
Auch das Klassendenken spielte in der Hierarchie des Punk eine gewisse Rolle. Die jungen Leute aus Hollywood nahmen an, dass Gleichaltrige aus dem Valley wohlhabend sein müssten. Hollywood galt als chaotisch und gefährlich – das Valley hingegen stand für Stabilität und Sicherheit. Für die Bandmitglieder von Bad Religion lag die Wahrheit irgendwo dazwischen. Greg lebte über weite Strecken der Middle School und High School als Schlüsselkind in einem Alleinerzieher-Haushalt. Nach der Scheidung seiner Eltern pendelte Jay zwischen dem Valley und dem Strand. Bretts Vater arbeitete in Bretts Kindheit von der heimischen Garage aus, schaffte es aber, seiner Familie eine komfortable Mittelklasse-Existenz zu ermöglichen. „Soziale Klasse war schon ein Thema“, so Brett. „Valley-Kids versus City-Kids. In der Welt des Punk galten wir als Bürger zweiter Klasse, obwohl wir sicher keine reichen weißen Jugendlichen waren.“
Obwohl die Bandmitglieder von Bad Religion keinesfalls im Geld schwammen, unterstützten ihre Familien ihre Bemühungen und finanzierten ihnen ihre Instrumente, stellten Proberäume zur Verfügung und ermöglichten ihnen, ihre Leidenschaft auszuleben – Privilegien, die andere Jugendliche nicht hatten. Bretts Familie beschäftigte zum Beispiel auch eine Haushälterin aus El Salvador, die mehrmals pro Woche nach dem Rechten sah. Immer wenn Greg oder Jay bei Brett anriefen und die Haushälterin abhob, schrie sie nach „Mr. Brett“, der doch bitte das Gespräch entgegennehmen sollte. Bretts Bandkollegen hänselten ihn damit, doch anstatt sich von seinem Spitznamen zu distanzieren, akzeptierte Brett ihn einfach. „Das wurde eine Art Künstlername von mir“, erklärt Brett. „Dass mir das nichts ausmachte, lag zum Teil daran, dass in der Szene ein gewisser Antisemitismus herrschte, weshalb ich nicht meinen jüdisch klingenden Nachnamen verwenden wollte. Anfangs bestand die Szene nur aus ein paar Freaks. Es wurde viel experimentiert und es herrschte blanker Irrsinn, was sich grenzüberschreitend und revolutionär anfühlte. Damals scherte sich die Gesellschaft nicht um Gender- und Identitätsfragen, wie das heute der Fall ist. In den frühen Achtzigerjahren waren es die Punks, die gesellschaftliche Normen hinterfragten, und darauf bin ich schon sehr stolz. Trotzdem verwandelte sich nun diese Bewegung, die als revolutionäre und radikale Ausdrucksform begonnen hatte, in etwas, das von Uniformität und Dogmen geprägt war. Als Homophobie und Rassismus sich in der Hardcore-Szene auszubreiten begannen, fühlte sich das sinister an. Um ehrlich zu sein, fühlte ich mich nicht mehr ganz sicher. Also fing ich an, mich auf unseren Platten Mr. Brett zu nennen, und dieses Pseudonym blieb hängen.“
War die Herkunft der ersten Punks in L.A., die aus dem gesamten County stammten, noch sehr divers, kamen die neuen Fans aus den Strandgemeinden und waren überwiegend weiß und männlich. Viele von ihnen waren Surfer und Skater, die sich aufgrund der Gewalt bei Live-Konzerten für Punk begeisterten. Ein paar dieser Neuzugänge waren extrem aggressiv und feindselig gegenüber allen, die nicht so waren wie sie selbst. Anstatt die nonkonformistische Weltsicht des Punk zu favorisieren, waren sie in Gruppen unterwegs und ihre Gangmentalität folgte der Devise „wir gegen euch“.
„Die ursprüngliche Punk-Szene war revolutionär ausgerichtet“, so Brett. „und damit meine ich, dass sie offen und idealistisch war. Da gab es Philosophen wie Tim Yohannan von Maximum Rocknroll und Darby Crash von den Germs, die spannende, belesene und visionäre Menschen waren. Und dann gab es da noch die Kehrseite der Medaille, Punks, die rassistisch, engstirnig und brutal waren. Das war alles bunt durchgemischt und ich glaube, dass die Leute aus der Punk-Szene ernteten, was sie säten.“
Die Bruchstellen zwischen den „ursprünglichen“ Hollywood-Punks und ein paar der anderen Szenen wurden immer offensichtlicher. „In den frühen Achtzigern, konnte man den Unterschied gut erkennen“, berichtet Jay. „Die Hollywood-Punks waren in der Regel ein bisschen älter und eher Künstler. In Long Beach und noch weiter südlich bekam man es hingegen mit verdammt zähen Kids zu tun.“ Das Fleetwood in Redondo Beach, eine wichtige Konzert-Location der Beach-Punk-Szene, eignet sich als hervorragendes Beispiel für die exzessive Gewalt, von der Punk-Konzerte in dieser Zeit heimgesucht wurden. Auch Greg hat ein paar schlechte Erinnerungen an den Club, der sich ein wenig weiter südlich von Hermosa Beach, der Heimat von Black Flag, befand. „Man musste sich nur ins Fleetwood begeben“, erzählt Greg, „jenem berühmten Punk-Club, wo all diese Typen abhingen. Ihr Tanzstil war brutal. Sie verlagerten ihre Slamdance-Einlagen auch auf die Straße, wo dann die Fäuste flogen. Sobald jemand am Boden lag, traten sie auf ihn ein.“
Doch die Gewalt blieb nicht auf gewisse Clubs oder Gegenden beschränkt, obwohl manche in der Tat gefährlicher waren als andere. Sie infizierte die ganze Szene. Jay beschreibt es als eine brutale und gefährliche Ära. „Die Orte, an denen wir auftraten, waren nicht sicher. Es schien, als würden viele Leute bloß zu den Konzerten kommen, um andere zu verletzen. Sie zahlten fünf Mäuse Eintritt, um dann irgendjemanden aufzumischen. Es kam zu nicht wenigen Messerstechereien. Niemand wurde am Eingang abgetastet und es gab keine Metalldetektoren. So passierte jede Menge verrückter Scheiß.“
Читать дальше