Natürlich wird auch hier der größte Teil der Erlöse von den Plattformen selbst vereinnahmt. Nur ein geringer Teil geht an die Kreativen. Aber verglichen mit Schallplattenverkäufen oder dem Buchmarkt ist es in den sozialen Medien heute viel wahrscheinlicher, von der eigenen Bekanntheit und Beliebtheit auch in großem Maße zu profitieren.
Sollte Ihr Kind also den Berufswunsch YouTuber oder Instagrammer äußern, dann sollten Sie nicht reflexartig erwidern: „So ein Quatsch!“ Lassen Sie ruhig zu, dass Ihr Kind sich ausprobiert – natürlich mit Ihrer Unterstützung und Begleitung. Wer einmal die Mühe, den Zeitaufwand und auch das Frustpotenzial erfahren hat, die mit dem Aufbau eines erfolgreichen Kanals verbunden sind, kann besser entscheiden, ob das wirklich eine Option für den eigenen Berufsweg ist. Und sollten bei Ihrem Kind tatsächlich ausreichend Begabung, Persönlichkeit und Durchhaltevermögen zusammenkommen – warum nicht? Vielleicht kann es ja mit Ihrer Unterstützung die Qualität der Plattformen durch seine Beiträge bereichern.
Gerade wenn Ihr Kind eher zurückhaltend oder schüchtern ist, wenn es außergewöhnliche Hobbys hat oder wenn es wegen seiner Herkunft, seiner sexuellen Orientierung oder aus anderen Gründen Schwierigkeiten im „analogen“ Leben hat, kann ihm die digitale Welt eine große Chance bieten.
Vielleicht fanden Sie in Ihrer Kindheit keine Mitschülerin, die Ihr seltenes Hobby teilte. Oder Sie suchten aufgrund Ihrer ungewöhnlichen Ansichten vergeblich jemand Gleichgesinntes. Heute erfahren Kinder durch die digitale Vernetzung, dass sie nicht allein sind. Und wer im wirklichen Leben schüchtern ist, aber vor der Kamera aufblüht, hat die Chance, damit Anerkennung zu erhalten, die ihm sonst vielleicht versagt bliebe.
Ungeachtet aller Gefahren, die das – zum Beispiel im Bereich politischer Meinungsbildung (Stichwort „Filterblase“) – bereithält, ist es zunächst einmal eine Ermutigung, wenn Ihr Kind feststellt, dass es auch andere gibt, die ähnlich ticken.
Tipp
Meinungsvielfalt statt Filterblase:Wer die sozialen Medien offen, reflektiert und bewusst nutzt, kommt in einer globalisierten Welt gar nicht um die Einsicht herum, dass es vielfältige Meinungen und Weltanschauungen gibt und geben darf. Das ist nicht unbedingt das Ziel der Plattformen selbst. Deren Geschäftsmodell baut im Gegenteil eher darauf auf, nur genau auf die Interessen der Nutzer zugeschnittene Inhalte zu zeigen. Aber es liegt im Bereich des Möglichen und hängt von der Art und Weise ab, wie Sie den Umgang Ihres Kindes mit den Social Media gestalten.
Bildungschance jenseits der Schule
Vielleicht tut sich Ihr Kind in der Schule leicht, lernt gerne und ist motiviert, sich mit Inhalten zu beschäftigen, die ihm von den Lehrern vorgegeben werden. Glückwunsch!
Viele Kinder sind nicht so. Manche können sich in der Gruppe nicht konzentrieren und sind leicht ablenkbar. Viele mögen die Lehrerin oder den Lehrer nicht oder funken nicht auf der gleichen Wellenlänge. Manchen geht es einfach zu schnell, sie bräuchten mehr Zeit. Oder vielleicht gehört Ihr Kind auch zu den Neugierigen, die lieber selbst entdecken wollen, was sie interessiert, und auf Vorgaben von außen mit Ablehnung reagieren.
Wenn Sie Ihr Kind in dieser Beschreibung wiedererkannt haben, bieten die sozialen Medien ihm ebenfalls eine Chance. Auch wenn vordergründig viel Redundantes und Irrelevantes verbreitet wird, gibt es dort jede Menge zu entdecken, sowohl zu schulischen Themen als auch zu anderen Interessengebieten von Video- und Musikproduktion übers Klavierspielen bis hin zu Basteln, Reparatur und Handwerk. Wer nicht mit dem Schulsystem zurechtkommt, kann hier kostenlos vom Wissen anderer profitieren und sich bei Interesse selbstständig und eigenmotiviert informieren.
Damit beinhaltet die kluge Nutzung von Social Media sogar eine Chance für Bildungsgerechtigkeit. Denn zumeist sind die Anleitungen und der Unterricht im Gegensatz zu Nachhilfestunden kostenlos und können durch Anhalten und Wiederholung an die eigene Lerngeschwindigkeit angepasst werden.
Zeigen Sie Ihren Kindern den Weg!
Zu welcher Art von Eltern gehören Sie? Regeln Sie lieber streng und verbieten im Zweifelsfall vieles? Oder lassen Sie eher alles zu, weil das Kind schon wissen wird, was es tut?
Die zu Anfang dieses Kapitels kurz erwähnte Studie des Deutschen Kinderhilfswerks ergab, dass sich die meisten Eltern im Rahmen der Medienerziehung heute überfordert fühlen ( dkhw.de/schwerpunkte/medienkompetenz/studie-kinderbilderrechte/).
Das Grundproblem dabei ist, dass Eltern oft einfach keine Ahnung von dem haben, was ihre Kinder in den sozialen Medien treiben. Das ist für eine verantwortungsvolle Begleitung eines Kindes durch den Dschungel der digitalen Angebote keine gute Grundvoraussetzung.
Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, sind die Möglichkeiten der sozialen Medien so komplex, dass nur eine kenntnisreiche Erziehung erfolgreich sein kann. Reflexartiges Verbieten verwehrt Ihrem Kind möglicherweise wichtige Chancen oder verhindert die Erfüllung von Grundbedürfnissen wie Gruppenzugehörigkeit und Kommunikation. Unkontrolliertes Erlauben dagegen verlagert die Verantwortung auf Ihr Kind – und das in einer Situation, in der Sie selbst ratlos sind. Das wäre ungefähr so, als hätten Sie sich in einer Großstadt verfahren und würden daraufhin Ihr Kind ans Steuer des Wagens setzen in der Hoffnung, dass es sich besser auskennt als Sie.
Ihre Aufgabe als Eltern
Wenn Sie Ihrem Kind den Weg weisen wollen, kommen Sie nicht umhin, sich selbst mit den Funktionsprinzipien, den Chancen und den Risiken der sozialen Medien auseinanderzusetzen. Denn nur auf der Grundlage einer persönlichen Haltung können Sie wirkungsvoll und verantwortlich erziehen und begleiten.
Wenn Sie sich die sozialen Medien als Großstadt vorstellen, finden Sie darin alle, aber auch wirklich alle unterschiedlichen Lokalitäten: idyllische Parks und Spielgelegenheiten, jedoch auch Drogenumschlagplätze und Bordelle. Sie müssen nicht überall gewesen sein, um Ihrem Kind den Weg zu weisen. Aber Sie sollten eine ungefähre Ahnung von den Dingen haben, die auf Ihr Kind zukommen können. Wie beim Schulweg können Sie Routinen entwickeln, den Weg erst gemeinsam gehen, dann das Kind alleine losschicken, Verkehrsregeln etablieren, auf beiden Seiten Vertrauen entstehen lassen, da sein, wenn etwas schiefgeht – eben erziehen und begleiten, auf der Grundlage von Haltung und Kompetenz.
Entwickeln Sie eine Haltung
Als Eltern haben Sie die Aufgabe, Ihr Kind bei der Social-Media-Nutzung zu begleiten. Denn wer außer Ihnen könnte sich dafür einsetzen, dass Ihr Kind sich nicht in den sozialen Medien verliert? Die Plattformen haben kein Interesse daran, die Kinder auch nicht und die Werbewirtschaft erst recht nicht. Wenn Sie als Eltern die Verantwortung nicht übernehmen, wird es niemand tun.
Die Erziehungsaufgabe annehmen
Bevor Sie sich mit den Möglichkeiten beschäftigen, wie Sie Ihrem Kind beim sicheren Umgang mit den sozialen Medien helfen, sollten Sie sich vergegenwärtigen, warum Sie das eigentlich tun wollen. Deshalb geht es in diesem Kapitel darum, was in diesem Zusammenhang Ihre Aufgabe als Eltern ist und warum sie manchmal so schwer zu erfüllen ist.
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