Die Diagnose COPD ging ans Eingemachte, an die Substanz. Für mich als Sänger ging es – so sah ich es damals – um alles oder nichts. Ich dachte wirklich, alles werde wieder gut, wenn ich nur entschlossen genug die Nase in den Wind hielte und Haltung bewahrte. Dann sähe man schon früh genug, wohin die Reise ginge. Ich belog mich jeden Tag selbst.
In einem Magazin hatte ich einen Artikel über Möwen, sogenannte Sturmtaucher, gelesen. Diese Möwenart hat die Lufthoheit auf Neuseeland. Menschen und Möwen seien sich in einer Hinsicht sehr ähnlich, hieß es in diesem Beitrag: Mutig machten sie das Beste selbst aus den widrigsten Lebensbedingungen. Ich fasste denselben Entschluss: Ich würde mich nicht unterkriegen lassen! Wenn ich die Krankheit nicht beachtete, dann wäre sie auch nicht existent, redete ich mir ein.
Was immer ich tat, ich begann, mir selbst einzureden und vorzulügen, dass alles in bester Ordnung sei. Auch bei mir zu Hause im alltäglichen Leben. Wenn ich zum Beispiel eines unserer Kinder in die obere Etage trug, gab ich die dabei aufkommende Atemnot anderen gegenüber nicht zu. Wenn ich schwere Sachen trug, Koffer, Getränkekisten et cetera, gestand ich meine Atemnot nicht ein. Und so gab ich alle Dinge, die mir natürlich im täglichen Leben schwerer fielen, nach außen hin einfach nicht zu und glaubte, die anderen merkten das nicht. Ich war doch schließlich ein ganzer Kerl!
Dieses im Rückblick unvernünftige Verhalten und die Weigerung, mein Leben und Verhalten auf mein unerwünschtes Handicap COPD auszurichten, hatte natürlich zur Folge, dass sich meine Konstitution im Laufe der kommenden Monate und Jahre schleichend eher verschlechterte als stabilisierte. Durch meine Unvernunft, Schwächen nicht zuzugeben, übertrieb ich es wissentlich an allen Ecken und Enden. Ich war zwischenzeitlich tatsächlich der festen Überzeugung, dass die Krankheit in meinem Leben auch nicht stattfände, wenn ich nur fest genug daran glaubte.
Beruflich hatte ich für mich dieselbe Konsequenz gezogen wie im Privatleben. Ich nahm meine Auftritte wahr und versuchte dabei, so normal wie möglich zu wirken – auch für meinen Manager und die Mitglieder meiner Band. Ich dachte ernsthaft, keiner bemerke meine gesundheitliche Beeinträchtigung. Das war natürlich ein ganz fataler Irrtum. Selbstverständlich konnte ich den Anschein nicht über die Jahre aufrechterhalten, vor allem nicht den Menschen und Freunden gegenüber, die mich schon seit so vielen Jahren begleiten und mir nahe stehen. Doch ich beharrte stur darauf, alles sei in bester Ordnung, und wurde zuweilen auch recht harsch und ungehalten, wenn man das Gespräch suchte und Hilfe anbot. Denn Freunde, Band und Management ließen nicht locker, fragten immer wieder besorgt und freundschaftlich nach. Ich empfand das damals als unerwünschte Einmischung in mein Privatleben. Dabei wollten sie mir lediglich Brücken bauen und die Hand reichen. Alle und alles schoss ich in den Wind. Ich wurde ungerecht, um mich nicht der Wahrheit und den für mich unüberschaubaren Konsequenzen stellen zu müssen, die sich ja zwangsläufig daraus ergeben würden. Ich konnte und wollte mir das Szenario nicht vorstellen, das sich ergeben würde, falls meine Erkrankung öffentlich würde. Meine Erfahrungen mit den Medien waren ja auch aus vielen Jahren in der Öffentlichkeit – durch meine Scheidungen und mein Leben, das man durchaus in vielerlei Hinsicht als in vollen Zügen gelebt bezeichnen kann – nicht gerade von Vertrauen und gegenseitiger Freundschaft geprägt .
Und die Medien trugen auch bis auf wenige Ausnahmen ihr Übriges dazu bei, dass sich die Situation verschärfte und nicht entspannte. Die Tagespresse in und um Dresden beteiligte sich dankenswerterweise nicht an den Spekulationen und feierte mich von Jahr zu Jahr mehr. Bis auch dort im Jahr 2006 mein jährliches Kaiser-Mania-Konzert für mich zur Bedrohung wurde, weil ich im Publikum Journalisten vermutete, die nur darauf aus waren, Schwächen aufzudecken und anzuprangern.
Beruflicher Erfolg war für mich ja auch gleichbedeutend mit Dominanz. Ein Mann hatte stark zu sein. Ich will mal pauschal annehmen, dass das eine typische Eigenschaft von Männern ist, ein Selbstbild, ein Zerrbild. Ich nehme mich da keinesfalls aus, sondern möchte mich vielmehr als ein Musterexemplar dieser Gattung bezeichnen. Männer scheinen nicht zugeben zu können, dass sie eine Verletzlichkeit und Schwäche einholen kann, dass sich etwas in ihrem Leben zeigt, was sie ihre Vitalität kosten kann. Ganz besonders schlimm war dabei, dass ich immer wieder von meiner Frau verlangte, bloß nicht, bloß nicht darüber zu reden, dass ich ein nachhaltiges Handicap habe. Ich brachte sie damit in eine furchtbare Lage. Alle versuchten ja, mit ihr Kontakt zu bekommen und von ihr zu erfahren, was denn los sei. Mich sprach keiner an, man fragte sie und nicht mich. Und irgendwann konnte sie dem Druck nicht mehr standhalten, ewig so zu tun, als gäbe es nichts Erzählenswertes. So konstruierte ich eine Geschichte, ließ nach außen verlauten, meine Krankheit, die ich da erst seit Kurzem hatte, sei eine verschleppte Lungenentzündung, die nun auskuriert sei. Das war mein Lügenkonstrukt. Mit der Zeit veränderte ich mich bei meinen Bühnenauftritten und meinen Auftritten in Fernsehsendungen oder bei Autogrammstunden insofern, dass ich immer Sorge hatte, jemand könne meine Kurzatmigkeit bemerken. Und dieser psychische Druck verstärkte meine Kurzatmigkeit noch um einiges. Um nicht beobachtet zu werden, mied ich sogar die Nähe meiner Kollegen, zog mich in meine Garderobe und in Hotels zurück und ging so etwaigen Gesprächen und lästigen Fragen aus dem Weg. „Hallo Roland, wie geht’s?“, war für mich keine freundliche Begrüßungsfloskel mehr, sondern eine latente Bedrohung. Roland Kaiser sei aber ganz schön arrogant, hieß es, eigenartig, ein komischer Kauz. Dabei versuchte ich lediglich, unter allen Umständen meine Atemnot zu überspielen und den zunehmenden Hustenreiz zu unterdrücken.
Jeder, der schon einmal mit einer Erkältung in einem Konzert saß und sich dachte, jetzt darfst du aber auf keinen Fall husten, saß – von einem Hustenreiz nach dem anderen gequält – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zwischen Menschen, die sich durch das Husten gestört fühlten. Mir ging es ähnlich.
Und das führte zu Irritationen in der Öffentlichkeit, dazu, dass meine Frau angesprochen wurde: „Was hat er denn? Was ist denn los? Trinkt er vielleicht oder hat er sonst irgendwas? Nimmt er was?“ Die Menschen spekulierten immer wilder, die Gerüchte kochten hoch und trieben die kuriosesten Blüten. Sie wurden zu einer ernsthaften Bedrohung für meine berufliche Karriere und belasteten mein Familienleben auf eine nicht mehr zumutbare und intolerable Weise. Das durfte ich in dieser Form weder privat noch als Sänger weiterhin ignorieren.
Auswirkungen auf Familie und Partnerschaft
Vor allem meine Frau belasteten die nach Sensationen heischenden Titelzeilen so, dass sie sich allein mit dem Verstand nicht mehr dagegen wehren konnte. Sie war emotional so betroffen, dass sie immer weniger Freude daran hatte, vor die Tür zu gehen. Sie hatte gemütliche Stadtbummel und Besuche im Freundeskreis schon nahezu vollständig eingestellt. Und ich hatte das alles lange Zeit nicht bemerkt, so sehr war ich mit mir selbst beschäftigt gewesen! Alles hatte sich auf mich konzentriert. Zum Glück wurde mir das rechtzeitig bewusst. Sonst hätte diese Spirale unsere Beziehung vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt unwiederbringlich aus dem Gleichgewicht geworfen. Indem ich den Blick nicht mehr nach innen richtete, auf mich und meine Atmung, die mein Leben dominierte, öffnete sich mein Blick für mein Umfeld. Das hatte sich komplett nach mir ausgerichtet. Ich war der Pol, um den sich das Familienleben drehte. Silvia klagte nicht, motivierte mich, gewann jeder Situation etwas Positives ab. Doch ich kenne sie gut genug, um zwischen den Zeilen zu lesen und ihre Blicke zu deuten, wenn sie sich unbeobachtet wähnte. Müdigkeit und Resignation lagen in ihren Zügen, wenn sie mit ihrer Schwester oder Freundinnen am Telefon plauderte, wenn draußen die Sonne schien und der Frühling zum Ausflug lockte. Doch wir blieben zu Hause, machten es uns im Garten gemütlich. Es fehlte uns an nichts – nur an der Freiheit zu gehen, wann und wohin wir beziehungsweise vor allem Silvia wollten. Aus Liebe und Sorge wich sie nicht von meiner Seite. Sie teilte alles mit mir – auch die zunehmende, selbst gewählte Isolation, in der ich mich vor neugierigen Blicken sicher fühlte.
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