Sport1 meldete am nächsten Morgen die falsche Anstoßzeit – beziehungsweise gar nichts. Ich klingelte noch Jürgen L. aus dem Bierfaß. Er brachte Dinu mit, hatte selber aber keine Hose und keine Schuhe, und der Amerikaner Peter B. stieß zu uns. »Das geht eher Richtung Paralympics«, stöhnte Jörg S. und fragte mich sachlich: »Wie, du spielst nicht mit, du Schwein?« – »Das gibt einen Eintrag ins Klassenbuch«, sagte Katja.
»Wir haben vier Defensivkräfte und einen Verteidiger«, lotete Jöricke unsere Chancen aus. »Du Arsch machst die Buden – und fertig!« munterte ich ihn auf, als die dritte Mannschaft auftauchte, ein äußerst undurchsichtiger Verein namens »Orange Beach« unter der Leitung des Pressemoguls Martin O.
Von Apollos »Cracks« waren Stücker drei erschienen. »Ist das schön, diese Ratlosigkeit!« sangen wir. Jürgen L. lief, um sich warmzumachen, in Straßenkleidung auf den Platz und fiel in ein Schlammloch. »Ich hab’ keine Luft mehr«, sagte er. Martin S. ergänzte: »Mental sind wir alle verletzt«, und Jöricke schmiß eine Flasche Pfungstädter in die Büsche: »Und die erste Plemp schon wieder weg.«
Ich gab die Losung »Ich will bedingungslose Unfairneß sehen!« aus, und nach zwei Minuten hatte Jöricke zwei Kisten gemacht. Jürgen L. und ich näherten uns der ersten Hälfte der ersten Kiste. Christoph netzte zum Dreinull ein, und am Ende war »Orange Beach«, der Geheimfavorit, wie gemunkelt worden war, trotz einheitlicher Trikots und Binding-Dopings mit 5:2 den Bach runtergegangen, insbesondere wegen der Fabelpässe des Königs der Lupfer, Jörg S., und Jürgen L.s pirouettenartigen Umfalleinlagen.
»Wir sind hier, um den Titel zu verteidigen«, stellte Jöricke, der Platinbomber aus Trier, klar. »Wir dürfen den Hochmut nicht sinken lassen«, hetzte Martin S. »das Team« (Katja) vorbildlich auf. »Diskret auftrumpfen«, so nun wieder Jöricke. Denn, das sah Apollos Auslosung vor, wir mußten schon wieder ran, gegen Erzfeind »Apollo 11«.
Es gibt Vorfälle in der Geschichte des Fußballs, die niemand begreift. Wir waren schneller, beweglicher, technisch besser, wir waren Brasilianer mit der Moral von Dänen, wir hatten Jürgen L., und mein Coaching (»Ball kontrollieren!« – »Ihr steht gut!«) war brillant. Wir spielten Apollos Schummeltruppe, die aus Stammkräftemangel kurzerhand mit vier »Orange Beach«-Apostaten und -Arbeiterverrätern unter der Regie des Martin O. verstärkt worden war, an die Pfosten – und lagen in der 14. Minute, weiß der Dompfaff, warum, 0:1, nach zwanzig Minuten, tja, 0:6 hinten. Waren wir zu gut zum Siegen?
Fünf Minuten vor dem Abpfiff schob Jürgen L. nach einem beidfüßigen Ballbillardballettänzchen zum 1:6 ein, doch ich fragte mich und uns, den Jammer jämmerlich übertünchend: »Hattet ihr Scheiße am Stiefel?« Martin S.: »Das dürfen wir in hundert Jahren nicht verlieren, das gibt es nicht!«
Martin O., Judas Ischariot in persona, grinste: »Die dritte Halbzeit ist gerettet.« Meine Mannschaft beriet darüber, ob ich noch zu halten sei. »Apollo 11« gewann, nicht zuletzt, weil Uli der Blocker, der Spieler des Turniers, das einzige Foul des Nachmittags beging, auch die Abschlußpartie und holte den Titel. Martin O. reichte mir die Hand: »Ich hab’ ja ungern gegen mich gewonnen.« So sehen Schurken aus.
Später feierten die Apoakropolisstalinisten im Kyklamino den größten Betrug der Fußballgeschichte. Meine Leute schrieen »Roth raus! Roth raus!«, und einzig Freund Jöricke wandte sich mir zu und sagte: »Mach mal die Kamera klar, ich schmeiß’ gleich einen Barhocker quer in die Flaschenbatterie.«
Was danach passierte, erzählen wir ein andermal.
Es gibt keinen Sand in der Sahara
»2010 stellte ein besonderes Sportjahr dar«, hieß es kürzlich formvollendet in der Thüringer Allgemeinen , und auch der ORF blickte zufrieden zurück: »Die Kegelweltmeisterschaften mit Teilnehmern aus neunzehn Nationen fanden in Ritzing statt, die U-20-B-Basketball-EM ging in Oberwart und Güssing über die Bühne.« Tu felix Austria, aber hallihallo!
Vermutlich mit einem kraftvollen »Horrido!« auf den Lippen holte Viktoria Rebensburg in Vancouver Gold im Riesenslalom, zeigte den Österreichern die lange Nase und erklärte: »Bei Olympia muß man riskieren oder probieren, sonst gewinnt man nur Himbeeren oder Bananen.« Beziehungsweise ein Glas Ananassaft mit Wermut.
Noch in der Retrospektive bekam sich der Spiegel angesichts der angeblich durch und durch grandiosen Winterspiele nicht mehr ein. Weil die Wettbewerbe in den jüngsten Toptorheitsdisziplinen Snowboard, Freestyle, Skicross, Shorttrack und Hampeldipampel so gut besucht waren, flötete das Blatt zum Jahresausklang: »Die olympische Bewegung wurde entstaubt. Die Spiele in Kanada waren ein Fest der jungen Disziplinen.« Ich jedoch sage euch: Wenn der erste Shorttracker freestylish die vereiste Crossroad vor meiner Haustür quert und dabei einen Snowboarder grüßt, der über den Bürgersteig gleitet, wandere ich nach Katar aus und eröffne da eine Schlittenhundeschule.
Nein, nicht, mit Thomas Müller zu reden, der bei der WM in Südafrika ein Tor erzielte, das eine exakte Kopie des 2:1 von Gerd Müller im Finale 1974 war, – nicht Mexitinien erhielt den Zuschlag für das Championat 2022, sondern Liechtenstein, Unfug: Malta, Quatsch, Katar natürlich, welches Land denn sonst. Wäre ja gelacht gewesen, hätten sich die Gaudiburschen und Wonneproppen im FIFA-Exekutivkomitee ausnahmsweise mal nicht äußerst erkenntlich für die kleinen Gaben aus allerlei staatlichen und anderweitigen Schwarzgoldtöpfen gezeigt, aus arabischen und russischen Säckeln, die wohl hinsichtlich der Vergabe der WM 2018 an das ehemalige Reich des Bösen von Platinpremier Putin persönlich bis zum Platzen befüllt worden waren.
Das ganze Schmierentheater in der Gauneroase Zürich respektive Schweiz, in der korrupte Weltsportfunktionäre strafrechtlich nicht belangt werden dürfen, ward flankiert nicht nur, wie der Spiegel berichtete, von einem holden »Heer von Regierungschefs, Abgesandten europäischer Königshäuser und arabischer Emirate, Fußballidolen und Verbandsfürsten«, sondern auch von Enthüllungen der BBC und des Schweizer Tagesanzeigers über einen neuen wunderschönen Bestechungs- und Versaubeutelungsvorgang innerhalb des Fußballweltverbandes, über den, wenn’s kein anderer anpackt, ich demnächst wirklich ein Theaterstück in Shakespeareschem oder Schillerschem Zuschnitt zusammenkloppen werde, mit der Hauptfigur Joseph Seppl Blatter als Variante von Richard III. oder Philipp II.
Nun, diesmal mußten sich diverse Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees, unter ihnen der sattsam bekannte brasilianische Schmiergeldentgegennehmer Ricardo Teixeira, vorhalten lassen, etliche Millionen eingesteckt zu haben, die BBC belegte insgesamt hundertfünfundsiebzig Geheimtransaktionen der appetitlichsten Art. Und die Reaktion des Gutsherrn Blatter? Pah!
Mehr noch: Blatter, über den die Schweizer Gammelgazette Blick kürzlich zusammenschmierte, der Patron sei auf Grund seiner – Obacht! – »Bescheidenheit und Demut« so »charismatisch«, tat, ohne daß er grün, rot und blau zugleich anlief, kund: »Es gibt keine systematische Korruption in der FIFA. Das ist Unsinn.« Stimmt. Es gibt keinen Sand in der Sahara. Das ist Unsinn.
»Ob der Sepp«, fragte der Journalist Jens Weinreich, »schon an Pseudologie leidet?« Also an der Lügenkrankheit? Antwort Weinreich: »Die Wahrheitsbeugungen, die Blatter begeht, müssen erst noch gezählt werden.« Und damit werden wir im neuen Sportjahr genausolange zu tun haben wie mit der Ermittlung des Tour-de-France-Siegers Anno 2010. Heureka und halleluja!
Soweit war das Sportjahr 2010 mithin eines wie immer, auf unseren lieben Sport ist halt Verlaß, national wie international. Im italienischen Fußball wurde abermals ein gigantischer Betrugsskandal aufgedeckt, der bis in die zweite Bundesliga ausstrahlt, in Spanien hob die Guardia Civil einen Dopingring rund um den notorischen Arzt Eufemiano Fuentes aus, und hierzulande nagelte insbesondere die Sport Bild , zu der Ioannis Amanatidis von der Frankfurter Eintracht mal fallengelassen hat: »Schmuddelblatt«, »schreibt im großen und ganzen nur Dreck«, den üblichen Stiefel voller Ahnungslosigkeit, Nichtigkeit und Hetze zusammen, indem sie zum Beispiel wochenlang den ziemlich untadeligen Michael Ballack derart degoutant demontierte, daß man den Springer-Säcken ein ungarisches Mediengesetz an den Hals wünschte – während der Veranstalter der alpinen Ski-WM im Februar in Garmisch-Partenkirchen ankündigte, Journalisten vor ihrer Akkreditierung geheimdienstlich durchleuchten zu lassen.
Читать дальше