Allerdings boten sie mir keine Hilfe an und mischten sich nicht ein. Es war mein Projekt, und nun lag es an mir, das Ding wieder zum Laufen oder das Motorrad Billy zum Ausschlachten zu bringen. Ich muss wohl ein praktisch veranlagter junger Bursche gewesen zu sein, denn ich zerlegte die dreckige und nicht funktionierende Maschine, baute sie wieder zusammen und machte sie funktionstüchtig. Niemand half mir dabei! Ich hatte ja Billy zugesehen und genügend Magazine gelesen, um zu wissen, was man machen muss. Dazu gehörten auch das Ablassen und Austauschen des alten Treibstoffs und des verkrusteten Öls, durch die die komplette Mechanik zum Erliegen gekommen war, gegen neues Benzin und Motoröl. Die schwierigste Aufgabe begann, als ich die Einzelteile wieder in umgekehrter Reihenfolge einbauen musste, doch aufgrund meiner technisch-mechanischen Denkweise bewältigte ich auch das Problem.
In der ersten Zeit fuhr ich nur über Felder, wo mir niemand begegnete. Das tat ich nach Herzenslust. Diese freudige Erfahrung kam mir im folgenden Jahr zugute, als mich mein Freund John Driver anrief und mich veräppeln wollte. Sein Onkel besaß eine Farm in den Dales, auf der er Pferde hielt. Obwohl ich Prince und Duke innig liebte, hatte ich mich noch nie auf den Rücken dieser Tiere gesetzt. „Versuchʼs doch mal“, schlug John vor, bevor er mir auf ein Pferd half. Erst später erfuhr ich, dass es sich um einen im Steeplechase [Hindernis-Geländerennen] trainierten Zossen handelte. Schon als ich aufsaß, schlug der Gaul die Hinterläufe zusammen und galoppierte im halsbrecherischen Tempo durch die Moore. Ich hätte dabei leicht ums Leben kommen können, doch ich hielt mich fest im Sattel, weil ich das Motorradfahren gewohnt war. Nachdem ich die ersten Minuten überstanden hatte, genoss ich das Erlebnis –
und ganz besonders die Geschwindigkeit –, doch es war alles in allem eine Erfahrung, die ich nicht unbedingt wiederholen wollte.
Dank der Motorrad-Magazine wusste ich ganz genau, wohin es mich mit hoher Geschwindigkeit zog – zu den TT-Rennen auf der Isle of Man, an denen Keighleys furchtloser Alec Jackson in den frühen Zwanzigern erfolgreich teilgenommen hatte, als er sich noch nicht aus einem Heißluftballon in die Tiefe stürzte! Die TT fanden erstmalig 1904 als 83-Kilometer-Wettrennen statt, für Fahrer der damaligen Tourenwagen, die schneller fahren wollten als die
32 km/h, die man auf dem Festland gestattete. Im darauffolgenden Jahr fand das erste Motorradrennen statt, was aber noch keinen offiziellen Status hatte. Der Snaefell Mountain Parcours der TT hatte vier Kategorien für 250 ccm, 350 ccm, 500 ccm und Maschinen mit Beiwagen. Das Rennen wurde über eine ganze Woche veranstaltet und führte über 60 Kilometer öffentlicher Straßen, die zu dem Zweck abgesperrt worden waren. Sie variierten in Höhe (vom 0 bis 400 Meter über dem Meeresspiegel) und Terrain. Als ich die Artikel von Billys Magazinen durchblätterte, wurde Stanley Woods schnell zu einem meiner Helden. Er war ein irisches Idol, das mit Norton-Maschinen fuhr und das Rennen zum ersten Mal mit nur 18 Jahren auf einer Cotton bestritt. Woods konnte 29 internationale Grand-Prix-Gewinne verbuchen und fuhr die TT zehnmal, wonach er zu Moto Guzzi und später zu Velocette wechselte. Die TT wurden wegen der außergewöhnlich hohen Geschwindigkeit von 130 km/h in den engen Kurven des Parcours als gefährlichstes Rennen der Welt eingestuft. Seit dem offiziellen Beginn im Jahr 1907 waren 13 Todesfälle zu beklagen gewesen. Allein 1934 kamen drei weitere Fahrer ums Leben, doch möglicherweise lag der Nervenkitzel gerade in dieser Gefahr. Ich fand es ungemein aufregend und konnte nur noch darüber reden.
Nachdem meine Eltern erkannt hatten, wie viel mir der Motorsport bedeutete, fuhren sie mit Freda und mir häufig zu den sogenannten Belastungsrennen, um Billy zu bestaunen, der daran teilnahm. Sie fanden einmal im Monat und immer an den Wochenenden statt, woraus sich ein regelmäßiger und für mich aufregender Familienausflug entwickelte. Die Rennstrecken waren manchmal 160 Kilometer lang und wurden aufgrund der natürlichen Unwegsamkeiten ausgewählt wie zum Beispiel kaum bezwingbare steile Strecken, große Wasserpfützen, höchst gefährliche Haarnadelkurven, loser Schiefer und ungewöhnlich buckliger Untergrund mit großen Felsen und tiefen Schlaglöchern. Die Fahrer verloren Punkte, wenn sie aus dem Gleichgewicht kamen, Zickzack fuhren, sich mit den Füßen abstützten, gingen oder die Maschinen an den steilsten Anstiegen hochschoben.
Der Sport war damals so beliebt, dass alle Zeitungen darüber berichteten. Die Yorkshire Post erwarb 1926 einen über 130 Meter hohen, vermeintlich unbezwingbaren Hügel in Nähe der Marktstadt Pudsey und taufte ihn „Post Hill“. Dann vermachte sie ihn dem Leeds Motor Club, der ihn für Wettkämpfe benutzte und das angemessen mit „die steilste Auffahrt der Welt“ bewarb. Das war einer meiner favorisierten Abschnitte der Veranstaltung, und wir verfolgten Billy und die anderen Fahrer wie gebannt, während sie sich in halsbrecherischen Winkeln verbogen, um das Gleichgewicht ringend, damit sie nicht von den Maschinen stürzten. Jedes großes Rennen wurde im The Motor Cycle-Magazin ausführlich dargestellt, mit packenden Fotos von den zahlreichen Fahrern, die in Teams fuhren, um den Challenge Cup zu erringen. Beiwagen und dreirädrige Bikes waren auch zugelassen, und es gab sogar einige berühmte Ladys, die an dem Spektakel teilnahmen.
Für uns war es immer ein ganz besonderer Tag. Wir fuhren mit Sandwiches und einer Thermoskanne heißen Tees raus, und ich wählte den besten Platz, wo die meiste Action war, entweder ein wirklich steiler Hügel oder ein besonders schlammiges Wasserloch. Dann setzten wir uns hin und warteten auf den Lärm der wettstreitenden Maschinen. Während sie sich näherten, stieg und stieg meine Aufregung, und ich starrte wie gebannt auf die Strecke, als sich einer nach dem anderen der besonderen Herausforderung stellte und alles versuchte, um sich nicht langzumachen oder nass zu werden. Wenn Billy in unser Blickfeld kam, den man hinter seiner Schutzbrille kaum erkannte, entfachte das unsere Aufmerksamkeit. Natürlich gratulierten wir ihm nach dem Rennen, falls er überhaupt in dem Haufen verschwitzter und über und über verdreckter Männer auffindbar war, die sich vor irgendeinem örtlichen Lokal auf die Schultern klopften.
Mein Vater trug meist seine Kamera bei sich. Es war ein Zeitvertreib, den ich schon bald zu meinem eigenen machte. Als ich sieben war, hat er ein super Foto von mir geschossen, wie ich in kurzer Hose, Wellington-Schuhen, einem Mantel und einer flachen Mütze auf einer steinernen Mauer stehe und voller Spannung auf eine vorbeisausende Dame mit ihrem Ledermantel und passender Kopfbedeckung starre. Dieses Bild bringt meine glückliche Kindheit auf einen Punkt.
Verglichen mit solchen aufregenden Ereignissen erschien mir die Schule todlangweilig, und ich ging nur dorthin, weil ich es musste. Auch flitzte ich zum Mittagessen die zehn Minuten Fußweg immer nach Hause, nachdem ich am ersten Tag meinen Teller voller Ekel von mir gestoßen hatte. Es war die erste und letzte Mahlzeit dort gewesen.
Meine Eltern zeigten sich fest entschlossen, dass Freda und mir eine ordentliche Bildung zuteilwerden sollte. Sie kam auf die Girls’ Grammar School in Keighley – meine Mutter saß dort im Vorstand – und ich auf die Boys’ Grammar School, ein Privileg, für das mein Vater bezahlen musste. Mit 15 Jahren verließ Freda die Schule und begann eine Ausbildung als Näherin bei zwei alten Schwestern, die in den Dales lebten. Für mich war auch eine Lehre vorgesehen – wenn die Noten stimmten –, was ich jedoch bezweifelte. Ich war dankbar, meinen Freund Walter an meiner Seite zu wissen, den ich nach dem Umzug nicht mehr so häufig gesehen hatte. Walter war, was meine Zuneigung anbelangte, von einem neuen Freund namens Charlie Dinsdale verdrängt worden, der nur drei Häuser vom Club Nook entfernt wohnte und dessen Familie die Firma William Laycock & Co. gehörte, eine Fabrik für Gerberei und Lederarbeiten. In meiner Schule gab es drei Stufen – A, B und C –, in die die Schüler nach ihren Begabungen eingeteilt wurden. „A“ war für die ganz schlauen Jungs vorgesehen, die als Vorbereitung auf die Universität Latein und Griechisch lernten. „B“ war für die mitteltalentierten, die Deutsch lernten, und in Stufe „C“ lernte man Französisch und Handwerkliches, wichtig für die Schüler, die eine praktisch orientierte Zukunft in der Stadt suchten. Ich ging in Stufe „C“, aber fühlte mich dadurch nicht zurückgesetzt. Ich brauchte exakt diese Ausbildung und war außerdem in die Französischlehrerin verknallt, die wir nur als „Mademoiselle“ kannten. Hätte man mich in die „A“ gesteckt, wäre das mein Tod gewesen, denn ich war nicht der schlauste Junge. Aber Vorsicht! Voooorsicht! Das hat sich mit dem Alter geändert!
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