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„Die Demokratie der Welt war niemals so gefährdet wie heute.“
Premierminister Stanley Baldwin (1867–1947)
Billy Moore war möglicherweise der Mensch, der mich in meiner Kindheit und darüber hinaus am prägendsten beeinflusste. Wenn er nicht im Bauunternehmen half, nahm er an Motorradrennen in den Bergen teil. Er war es auch, der meine Leidenschaft für Motorräder entfachte und mich alles Wissenswerte über Konstruktion und Mechanik lehrte – Fähigkeiten, die sich während meines gesamten Lebens als dienlich herausstellten.
Er lagerte seine Motorradkollektion und die Ersatzteile im Keller seines Hauses, und wenn sein Tagewerk getan war, fand man ihn dort vor sich hin schraubend, was seiner Frau Elsie auf die Nerven ging. Wegen eines angeborenen Hüftproblems litt Elsie unter Verwachsungen, und ich erinnere mich an sie als einen krumm gehenden, kleinen Menschen. Aufgrund ihres Gesundheitszustands konnte sie keine Kinder bekommen, und so wurde sie zu einem eher verbitterten Menschen, den man nicht gern in seiner Nähe hatte. Sie weigerte sich, bei Familienfesten dabei zu sein, und das betraf sogar Weihnachten, womit auch ein Besuch von Billy ausgeschlossen war. Vermutlich suchte er deshalb seine Ablenkung im Sport. Berühmte Fahrer wie Alec Jackson (der mit dem Fallschirm aus dem Ballon gesprungen war) kamen zu ihm, da Billy Motorradrennen organisierte und ein Experte für die in Shipley hergestellten Scott-Motorräder war. Die Maschinen hatten ikonenhafte Namen wie „Super Squirrel“ und „Flying Squirrels“, die man gern auch nur kurz „the Flyers“ nannte.
Während dieser frühen Jahre in Riddlesden fand ich in Billy glücklicherweise die Vaterfigur, mit der ich all die wichtigen Gespräche führte, die bei Dad ausgeschlossen waren. Außerdem musste ich nicht brüllen. Billys vollgestellter Keller unterhalb des Wohnzimmers glich Aladins Höhle. Jedes Mal, wenn ich die schmale Außentreppe dort runterrannte, roch ich das Benzin und hörte metallisches Klopfen, da er wieder einen Motor auseinandernahm. Es war wohl der unordentlichste Ort, den ich jemals gesehen habe. Überall verstreut lagen alle nur erdenklichen Motorradteile zusammen mit halb zusammengeschraubten Maschinen. Der Boden war vom getrockneten Öl ständig verklebt. Ich liebte das! Billy achtete auf den tadellosen Zustand der Motoren seiner alten Kisten, doch er putzte niemals den Schlamm ab, der sich bei der Fahrt am Rahmen festgesetzt hatte. Die getrocknete Erde fiel runter, wodurch der Estrich noch dreckiger war.
In seiner großräumigen Garage standen abwechselnd wundervolle, aufsehenerregende Autos, darunter ein MG M-Type und für eine Weile ein wunderschöner blauer Bugatti 35, der heute sehr viel wert wäre. Ich erinnere mich daran, wie wir zusammen eine Spritztour unternahmen und die Leute ihre Köpfe nach uns umdrehten, während wir an ihnen vorbeirauschten. Billy war für mich – einen leicht zu beeindruckenden jungen Buben – jemand, den ich abgöttisch verehrte. Ich besaß zwar schon mein eigenes Werkzeug-Set, das Vater mir über die Jahre geschenkt hatte, war aber erst glücklich und zufrieden, wenn ich mit Billy herumbasteln und ihn beobachten konnte, wie er einen Motor komplett auseinandernahm, Teil für Teil, und dann mühelos wieder zusammenbaute. Dabei plauderte er die ganze Zeit. Billy überraschte mich, indem er mir verriet, dass auch Vater an den Rennen durch die Hügelketten teilgenommen hatte. Jedoch verkaufte er seine Maschine, als er Mutter kennenlernte, „da er sich nicht traute, sie dorthin mitzunehmen, wo er gewesen war“. Diese Andeutung war ein Hinweis, dass mein alter Vater wohl ein Mann der Damenwelt gewesen war, was ich auch glaube, da er in der Gesellschaft von Frauen immer aufblühte.
Es war Billy, der meinen Vater ermutigte, mit mir den relativ neuen „Dreckparcours für Motorradrennen“ (heute als Speedway bekannt) in Manchester im Belle Vue zu besuchen, der uns beiden ungeheuer gefiel. Das Belle Vue lässt sich als viktorianisches Wunderland beschreiben, einst bekannt als der „größte Rummelplatz der Welt“, mit bis zu zwei Millionen Besuchern jährlich. Zu ihm gehören ein Zoo, ein Zirkus, ein ganz normaler Rummelplatz und eine Konzertveranstaltungshalle namens The Kings Hall. Das daran angrenzende Stadion wurde abwechselnd für Greyhound- und Motorradrennen genutzt und entwickelte sich zur Heimat für das gefeierte Rennteam „Belle Vue Aces“. Einer der Fahrer war Oliver Langton, ein junger Bursche, den ich näher kennenlernte, und der JAP-Maschinen fuhr (ein Kürzel für J. A. Prestwich aus London). Er führte ein Motorradgeschäft in Skipton und war ein furchtloser Fahrer. Vater und ich setzten uns immer auf die Hochtribüne und hielten den Atem an, während die Fahrer mit 80 km/h auf der unter uns liegenden Dreckbahn ein Würfelspiel mit dem Tod veranstalteten. Die Luft lag voller erstickender Auspuffgase, und der Lärm war manchmal so unglaublich laut, dass ich mir die Ohren zuhielt, während Vater lachte, da die aufheulenden Motoren ihn nichts anhaben konnten.
Onkel Billy erhielt wöchentlich die beiden Magazine The Motor Cycle und Motor Cycling, die er mir gab, nachdem er sie gelesen hatte. Ich war immer ganz ungeduldig, wartete und wartete, las sie von vorne bis hinten durch und fing dann wieder am Anfang an. Meine alten Comics wie The Wizard, Boy’s Own und The Rover gerieten schnell in Vergessenheit. Die Magazine stellten für mich das einzige benötigte Lesefutter dar. Ich verlor das Interesse an den anderen Hobbys wie dem Backen der Haferkekse und dem Teppichknüpfen, eine abendliche Familienbeschäftigung, während wir alle Radio hörten – bis auf Vater, der stattdessen entweder die Zeitung oder ein Buch las.
Wir besaßen damals ein Philco aus der „Kathedralen“-Reihe, was in einem hölzernen Schränkchen mit einem kuppelähnlichen Aufbau geliefert wurde. Es verfügte über einen großen und durch einen Bezug verdeckten Lautsprecher und alle nur erdenklichen Schalter und Drehpotis zur Einstellung der verschiedenen Funktionen. Es war das Beste der Marke und hatte fünf Röhren. Mutter hörte gerne Tanzmusik der berühmten Bigbands von Henry Hall oder Jack Payne, die man aus den Londoner Hotels übertrug. Ich gehörte zu den „Ovaltineys“, Mitgliedern des Kinder-Radio-Clubs, den die Milchfabrik Ovaltine unterstützte. Die Sendung war jeden Sonntagabend auf der Langwelle von Radio Luxembourg zu hören. Die ganze Familie lachte über die Comedians und sang die Lieder mit, während wir schwungvoll an unseren Teppichen knüpften, die wir als Arbeitssets von der Readicut Rug Company aus Wakefield erhielten. Diese beinhalteten vorgeschnittene Wollfäden – im Gegensatz zu den langen und mühevoll zu verarbeiteten Strängen von früher –, maßgeschneiderte Rohteppiche und kleine Werkzeuge, mit denen man die einzelnen Fäden verwob. Es war eine geradezu süchtig machende Modeerscheinung, durch die aber später einige nette Läufer im Haus lagen. Freda und Mum plauderten unbeschwert vor sich hin, während ich davon träumte, eines Tages auf einem eigenen Motorrad zu fahren. Allerdings hätte ich niemals geahnt, dass sich mein Traum erfüllen würde.
Es geschah wie aus heiterem Himmel. Eines Tages durchstöberte ich mit Billy (dem Hund) und meinem Freund Walter eine alte Scheune am Ende des Dorfes. In einer dunklen Ecke des abbruchreifen Gebäudes entdeckte ich etwas wirklich Wunderbares. Es war eine Royal Enfield, Baujahr 1921 – eine Zweitakter mit 2-Gang-Getriebe –, halb verdeckt von einer staubigen Schutzdecke. Was für eine Entdeckung! Das elfjährige Motorrad mit zwei platten Reifen sah so aus, als habe man es jahrelang nicht mehr von der Stelle bewegt. Mein Herz klopfte vor Aufregung, denn exakt nach so einem Bike hatte ich Ausschau gehalten. Ich war erst zwölf, aber sprach die Besitzer selbstbewusst an, die sich als sehr freundlich erwiesen und mir die Maschine für einen meiner gesparten Half Crowns verkauften. Ich schob das Motorrad die halbe Meile nach Hause und rollte es in die picobello aufgeräumte Garage von Dad, in der alles ordentlich in den Regalen stand und sich auch eine Inspektionsgrube befand. Der Unterschied zu Billys schmuddeligem Keller hätte kaum größer sein können. Ich erinnere mich nicht, ob ich meinen Eltern von dem Fund berichtete, aber wenn es so gewesen war, reagierten sie keineswegs verblüfft. Vermutlich hätten sie mit einem Lachen gesagt: „Wir sind überrascht, dass du so lange dafür gebraucht hast, Tom.“
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