Die Sonne versank am Horizont, schien dekorativ ins Meer einzutauchen; ihre abnehmende Strahlkraft färbte die Szenerie in gelbliches Zwielicht. Der Zeitpunkt für den Veranstaltungsstart war absichtlich gewählt worden. Dichte Wolkenbänke aus Trockeneisnebel, die über das Festgelände waberten, verstärkten den mystischen Effekt noch um ein vielfaches. Plötzlich durchzuckten blutrote Laserstrahlen die Nebelschwaden, irrlichterten umher, um sich schließlich alle zugleich auf denselben Punkt, genau in der Mitte der Leinwand, zu konzentrieren.
In ohrenbetäubender Lautstärke dröhnte der Song Human von Rag’n‘Bone Man aus den Boxen. Dazu lief ein stimmungsvolles Intro über die Leinwand. Es handelte von Menschen, die mit leuchtenden Augen glitzernde Geschenkpäckchen auswickelten, strahlenden Familienmitgliedern, die sich gegenseitig in die Arme fielen und Liebespaaren, die sich am Strand oder auf einer einsamen Parkbank mit kleinen Präsenten beglückten.
Selbstverständlich war auch die schöne Mona in dieser heilen Friede-Freude-Eierkuchenwelt zu bestaunen, wie sie unter einem geschmückten Weihnachtsbaum, angetan mit einem cremefarbenen Spitzenkleid, vor Freude über ein Päckchen der Juwelierkette Christ hyperventilierte.
Die rasante Bildersequenz endete mit der Grafik eines monströsen Geschenkpakets in Firmenfarben, welches seine Form am Ende in ein pochendes feuerrotes Herz verwandelte. Die goldgelbe Geschenkschleife dröselte sich auf, flog federleicht davon und kam mit einem weiteren Herz zurück, verflocht dieses mit dem ersten. Das Logo der neuen Internetplattform flimmerte auf, überblendete schließlich die verbundenen Herzen zur Gänze. Standbild.
»Gott, ich hasse solche rührseligen Werbefilmchen! Die sind so offensichtlich auf Reibach ausgelegt! Die Einzigen, die sich nach solch einer Geschenkeorgie vor Freude in die Hosen pissen, sind doch die Verkäufer von all dem Konsumzeugs, oder? Gerade zu sämtlichen vom Kalender verordneten Zwangsfeiertagen wie Weihnachten. Scheiß Kapitalismus«, mokierte sich die Fledermausfrau. Sie sah sich Beifall heischend um. Vergeblich.
»Pssst!«, mahnte ein neben ihr stehender Herr in Anzug und Fliege. »Außerdem ist das ohnehin nicht richtig, meine Liebe. In diesem Fall profitiert ebenso der Inhaber der Internetplattform, und das nicht schlecht. Genau darum geht es hier, also was regen Sie sich überhaupt auf?«, raunte er missbilligend.
Anschließend widmete er sich kopfschüttelnd wieder seinem Sektglas und der wohlinszenierten Show. Rund um das Plateau wurden soeben die unzähligen Fackeln illuminiert, eine nach der anderen flammte auf.
Thorsten Sasse betrat, selbstbewusst winkend wie ein Rockstar, die kleine Bühne vor dem zentralen Eingangsportal. Beifall brandete zur Bühne hinauf, die Leute reckten die Hälse.
Es dauerte eine Weile, bis sich die Ovationen gelegt hatten. Immer wieder hob der Protagonist routiniert seine Hände, versuchte, etwas Ruhe in die Veranstaltung zu bringen. Endlich war es soweit, er konnte mit der eigentlichen Präsentation loslegen.
Zwei Strahler erleuchteten die Banner zu seiner Linken und Rechten. Die bombastische Aufmachung erinnerte fast schon an Kundgebungen aus dem Dritten Reich oder eine Fahnenweihe.
»Seit Anbeginn der Zeit beschenken sich die Menschen gegenseitig. Man könnte also sagen, es sei ein menschliches Grundbedürfnis, Anderen eine Freude zu bereiten. Denken Sie nur an die drei Weisen aus dem Morgenland, die dem Jesuskind von weither ihre wertvollen Präsente gebracht haben! Zugegeben – mit Weihrauch und Myrrhe würde man heutzutage keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlocken«, scherzte Thorsten launig.
Das Publikum lachte artig.
»In diesen Tagen punktet man eher mit einer VR-Brille, einem teuren Smartphone oder einem Erlebnisgeschenk. Und da wären wir auch schon beim Knackpunkt. Woher sollen Angehörige und Freunde denn so genau wissen, was wir uns wünschen? Welche Marke, Farbe oder Aufmachung eines Produktes?
Omi und Opi sind im Allgemeinen überfordert, sobald es um Hightech geht. Was, wenn ich statt dem heiß ersehnten I-Phone ein anderes oder gar veraltetes Fabrikat geschenkt bekomme? Einen öden Pulli anstelle der gewünschten Handtasche?«
Zustimmendes Gemurmel brandete auf. Thorsten legte extra eine Kunstpause ein, um das Gehörte wirken und eigene Erinnerungen hochkommen zu lassen. Garantiert trugen die Besucher gerade allesamt Bilder vom sinnbefreitesten Geschenk im Hinterkopf, welches er oder sie jemals erhalten hatte.
»Ich sehe schon, Sie kennen das Problem«, fuhr er mit einem breiten Lächeln fort. »Es gibt aber noch ein weiteres. Was, wenn sich keiner meiner Lieben mein teures Wunschgeschenk leisten kann? Muss ich in diesem Fall lauter kostengünstige Kleinigkeiten einheimsen, die ich gar nicht brauche? Oh konträr, wie ich Ihnen sogleich demonstrieren werde! Wozu gibt es schließlich Crowdfunding?«
Oben auf der Leinwand wurden die verschnürten Herzen vom Layout der Home-Seite der neuen Internetplattform mit Namen WISHLIFT.COM verdrängt. Ein Raunen ging durch das Publikum. Selbstverständlich war die Webseite state of the art, SEOoptimiert und im responsive design programmiert, ergo auch für Tablets und Smartphones geeignet. Thorsten Sasse beschäftigte einen Stab aus teuren, weil erfahrenen und zugleich innovativen Programmierern für seine Projekte. Und die hatten in den letzten Monaten alles drangegeben.
»Ach, eine Geschenkeplattform … ist alles schon dagewesen!«, rief jemand aus den hinteren Reihen.
Natürlich, die gottverdammte Fledermaus! Da half jetzt alles nichts, Thorsten musste improvisieren. Er lächelte unerschütterlich.
»Vielen Dank für Ihren freundlichen Einwurf, er soll mir als Stichwort dienen. In der folgenden halben Stunde werde ich Ihnen anschaulich demonstrieren, dass unser Konzept viel weiter geht als jene der Konkurrenten. WISHLIFT bietet erheblich mehr als die herkömmlichen Geschenkeplattformen, stellt eher einen Geschenkekoordinator dar, der in Zukunft das Schenken revolutionieren und zugleich optimieren wird!
Nutzt jemand unser Angebot und registriert sich, wird jedes künftige Geschenk in punkto Beliebtheit und oft auch im monetären Wert angehoben, daher setzt sich der Name der Plattform auch aus den Worten wish für Wunsch und lift für das Anheben zusammen. Zudem erinnert der Name auf den ersten Blick an den Begriff wishlist . Er erzeugt somit erst bei genauerer Betrachtung einen Aha-Effekt, nämlich dann, wenn der Betrachter die Bedeutung hinter der minimalen Abwandlung erkennt.
Wissen Sie überhaupt, welch riesiger Kostenaufwand verursacht wird, weil der Einzelhandel gegen Vorlage des Kassenbons zum Umtausch verpflichtet ist? Stellen Sie sich vor – jeder Dritte, der seiner Ansicht nach unpassend beschenkt wurde, macht von diesem Recht Gebrauch.
Das glauben Sie nicht? Eine aktuelle Umfrage des Marktforschungsinstitutes Aris, die im Auftrag des IT-Branchenverbands Bitkom durchgeführt wurde, beweist das. Im Onlinehandel sind die Zahlen für Rücksendungen sogar noch weitaus höher.
Ich werfe Ihnen jetzt eine Zahl zu. Laut einer Schätzung von TNS Infratest landen alleine an Weihnachten ungeliebte Präsente im Wert von siebenhundert Millionen Euro unter deutschen Weihnachtsbäumen. Wenn unsere Plattform angenommen wird
– und davon gehe ich felsenfest aus – könnte sich dieser Betrag bald in erheblichem Umfang minimieren. Letzten Endes werden sogar Ressourcen und die Umwelt geschont, wenn beispielsweise im Onlinehandel nicht mehr so viele Waren zurückgeschickt werden müssten.
Für uns am lohnendsten wird die ganze Sache selbstverständlich, wenn jemand sich über WISHLIFT.COM eine Urlaubsreise wünscht. Durch die Verknüpfung mit dem eigenen Urlaubsportal bekommen wir dann gleich zwei Stücke vom Kuchen ab«, referierte Thorsten Sasse selbstgefällig.
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