Aber musste man sich solches Verhalten von diesen Gören gefallen lassen, die genau das ausnutzten? Nein, ich denke nicht! Ich wartete eigentlich bloß noch darauf, dass auch hier die bewährte »Weihnachtsbaum-Methode« angewendet würde. So in die Richtung: jedem Kind seinen eigenen Waggon, damit es keinen Streit gibt. Vielleicht hätte man ihnen stattdessen einmal deutlich sagen müssen, dass man bald keinen Wert auf eine Abholung mehr lege, wenn sie das unbedingt provozieren möchten. Dann wäre bestimmt schnell Ruhe gewesen.
Mein Fredi blieb von alledem völlig unberührt. Der schmiegte sich an mich, als wolle er seine Seele auftanken. Legte sein Köpfchen an meine Brust und erzählte mir aus seinem kleinen Leben. Ich drückte ihn die ganze Fahrt über an mich, sagte ihm wieder einmal, dass ich ihn ganz arg liebhabe, aber dennoch wieder nach Spanien müsse, weil ich dort arbeite. Das verstand er und meinte, dann müssten wir unser Zusammensein halt jetzt genießen. Da stimmte ich meinem Jüngsten gerne zu.
In Nürnberg herrschte ekliges Schneematsch-Wetter. Zu sechst passten wir in kein handelsübliches Taxi, daher mussten wir ein Familientaxi anfordern. Die vier Kinder hatten nun Spaß miteinander, das war zunächst einmal auch im Freizeitpark so. Axel und Fredi erfreuten sich sehr an der Softball-Kanone, später fuhren alle mit den schnittigen Tretautos herum.
Ganz ohne Zwischenfälle ging es aber dennoch nicht. Stellenweise saß Ronja still in der Ecke und wirkte stinkig; warum, das wusste niemand. Und der weinerliche Marco konnte nicht verkraften, dass nicht in genau dem Moment, in welchem er es sich wünschte, ein Tretauto für ihn frei war. Er heulte dann wieder vor sich hin und bemitleidete sich lautstark selber.
Erneut dieselbe Verhaltensschiene!
Im Großen und Ganzen war der Tag aber trotzdem nett gewesen. Meine Buben hatten sich auch sehr gefreut, mich einmal wiederzuhaben. Als Attila die Kinder zurück in die Altstadt brachte, war weiterhin keine Uschi da, die sie in Empfang genommen hätte; diesmal wurde Heike, die Schwester der Delia Stohrer von Uschi beauftragt. Ich fragte mich wieder einmal, warum diese ganzen Leute sich derart vor ihren Wagen spannen ließen und zu jedwedem Gefallen bereit waren. Wer weiß, was für Horrorgeschichten sie denen über Attila erzählte!
Am Montagmorgen nahm Attila seinen Augenarzt-Termin wahr. Wie ich es befürchtet hatte, waren die Augeninnendruck-Werte viel schlechter als bei den Voruntersuchungen. Das war wohl die Quittung für den extremen Stress und die sehr langen Arbeitszeiten am Bildschirm während der Serverumstellung der letzten Wochen. In der Innenstadt kauften wir dann noch ein paar Weihnachtsgeschenke ein, um anschließend wegen der Bilanzbesprechung hinüber zur Steuerberaterin zu fahren.
Hier kristallisierte sich leider heraus, dass Attila in nächster Zeit 15.000 Euro an Steuern für die GmbH und die Ltd. zu bezahlen hatte. Das Finanzamt profitierte ganz schön an Attilas unbeugsamen Einsatzwillen, doch waren die Firmen noch immer nicht ansatzweise saniert. Wie lange einem doch Misswirtschaft nachhängen konnte!
Danach folgte dann der nächste, wenig angenehme Termin mit Attilas Anwalt. Es ging natürlich um das Gutachten zur Erziehungsfähigkeit. Das Gericht erwartete schließlich eine Stellungnahme der Parteien. Der Anwalt musste zugeben, dass Attila und ich mit unseren Einschätzungen absolut recht gehabt hatten; alle Befürchtungen, die wir im Laufe der Zeit seit April 2009 gehegt hatten, waren nach und nach in der Realität eingetroffen. Daher blieb nun nur noch, sich schweren Herzens wegen des halbherzigen Gutachtensergebnisses damit abzufinden, dass die Kinder bei Uschi bleiben wollten und das wohl auch mussten. Doch die Entscheidungen über schulische Laufbahn, Vermögen, Aufenthalte im Bezirkskrankenhaus oder sonstige Unterbringungen, durfte sie unserer Ansicht nach auf keinen Fall treffen. Man sah ja, wie verantwortungslos sie das handhabte! Somit regte Attila an, das Sorgerecht für die Kinder wenigstens auf das Jugendamt zu übertragen, wenn er selbst es aus unerfindlichen Gründen schon nicht übertragen bekam. Der Anwalt ging mit dieser Ansicht konform. Mittlerweile schneite es, so als ob Frau Holle ihr Lager einmal gründlich räumen müsste. Die Straßen waren komplett schneebedeckt, der Verkehr kam ziemlich zum Erliegen. Wir brauchten eine halbe Stunde, bis wir zurück in die Pension gelangten. Da es dort an diesem Tag kein Essen gab, mussten wir jedoch noch einmal aus der Bude, nachdem Attila seine Mails bearbeitet hatte, der Hunger trieb uns hinaus. Es dauerte eine ganze Weile, bis wir uns durch die Schneemassen bis zum Industriegebiet durchgekämpft hatten; in der Nähe der Pension gab es nämlich nichts, wo wir etwas essen hätten können. So blieb uns wieder nur die Schnellimbiss-Schiene zur Nahrungsaufnahme übrig.
Gleich nach dem Betreten der Filiale winkte jemand in unsere Richtung, eine fröhliche Dicke. Attila klärte mich auf, dass dies die Heike, die Schwester der Delia Stohrer sei. Die vernünftigere Schwester allemal, und nett sei sie auch noch. Das stimmte! Sie begrüßte auch mich ohne Vorbehalte und wirkte nicht, als wäre sie von Uschi beeinflusst. Wobei der Schein manchmal trügt, aber Heike war zumindest freundlich und ihr Verhalten somit voll in Ordnung. Vielleicht dachte auch sie sich ihren Teil über Delias und Uschis kranke Intrigen.
Am nächsten Tag stand meine eigene Scheidungsverhandlung an. Attila musste währenddessen nach Neuenstein zum Arbeiten. Schon in den Morgennachrichten wurde gemeldet, dass ausgerechnet Bayern und Hessen in der Nacht wieder von einem neuerlichen Schneechaos heimgesucht worden waren. Daher machte ich mir morgens mehr Sorgen darum, ob Attila heil in Neuenstein bei Kurierdienstissimo ankommen würde, als um mein Gerichtsverfahren.
Da ich den Vormittag bis zum Termin irgendwie totschlagen musste, ging ich zum Frisör. Gott, was für ein Klischee! Die meisten Frauen ändern Haarschnitt oder -farbe nach Scheidungen. Ich änderte beides, und das noch vor der Verhandlung. Einen blonden Bobschnitt ließ ich mir verpassen, mein dunkleres Kartoffelblond hatte ich längst gründlich sattgehabt. Selbstverständlich geriet ich danach gleich in einen ekligen Schnee-Nieselregen, der die Föhnbemühungen des Salons gleich wieder zunichtemachte.
Während ich auf dem Weg zum Familiengericht über Murphy's Law nachsinnierte und ob dieses womöglich auch auf Frisörbesuche anzuwenden sei, kam mir jemand auf der Straße entgegen, den ich schon von weitem zu erkennen glaubte. Ausgerechnet Uschi war die Einzige, die bei diesem Wetter Richtung Innenstadt trottete. Na, so ein Glück aber auch! Als sie aufblickte und mich erkannte, verfinsterte sich ihre Miene, dass es nicht besser ging. Trotzdem sagte ich »Servus«, als ich an ihr vorüberging. Die Höflichkeit wurde mit irgendetwas beantwortet, dass im tiefst möglichen Ton wie »grummelgrummel« klang. Na immerhin!
Es gelang mir relativ schnell, die Gedanken an diese garstige Begegnung wieder abzuschütteln. Zum Glück war Attila auch inzwischen nach mehrstündiger Fahrt und Stau an seinem Bestimmungsort angelangt, ich atmete auf. So ein blöder Tag aber auch! Vor dem Verhandlungssaal im Gericht traf ich auf Günther. Der verhielt sich zum Glück ganz anders als Uschi, obwohl ja auch wir eine Scheidung durchzuziehen hatten. Er riss schwarze Witze und erzählte über Fredi. Als mein Rechtsanwalt auftauchte, guckte dieser ganz seltsam. Vermutlich war er es nicht gewohnt, dass Scheidungswillige noch ganz normal miteinander umgingen. Die Scheidung war eigentlich richtig entspannend. Null Streiterei, selbst der Richter war hierdurch sichtlich irritiert; besonders, als ich noch anmerkte, dass ich auf einen Versorgungsausgleich gerne verzichten würde. Nach 20 Minuten waren wir schon wieder draußen und ich hatte mich nicht im Mindesten aufgeregt. Es fühlte sich ein bisschen an, als wäre ich nur Einkaufen gegangen. Was vermutlich daran lag, dass Günther und ich eben KEINE Emotionen beim jeweils anderen mehr freisetzten, weder positiver noch negativer Natur. Das war der krasse Unterschied zum Rosenkrieg, ich nenne das jetzt wieder absichtlich so, von Attila und Uschi.
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