Es sind wieder über 400 Seiten zusammengekommen. Nach der Beschreibung dieser neuerlichen seelischen Quälereien beschloss ich, es endlich gut sein zu lassen. Irgendwie meinen persönlichen Frieden mit den leider vor sich hin schwelenden Bränden auf dem Schlachtfeld der Beziehungskisten zu schließen und die Vergangenheit ruhen zu lassen. In der Gegenwart zu leben, nach vorne zu sehen und eine neue Zukunft mit meinem geliebten Lebensgefährten einzurichten.
Aber wird mir das irgendwann gelingen? Bis heute weiß ich das nicht sicher zu sagen, denn noch immer ist mein Lebensgefährte in der Aufarbeitung seiner Vergangenheit gefangen, hat in jeder Hinsicht die Folgen zu tragen. Diese bittere Wahrheit veranlasste mich zu dem eingangs getätigten Zitat.
Sollten Sie, lieber Leser oder liebe Leserin, Interesse an den diesem Band vorangegangenen Ereignissen haben, können Sie die Zusammenfassung hiervon im Anhanglesen. Detaillierter ist die Geschichte selbstverständlich in den beiden Bänden von »Scheidung kann tödlich sein« niedergeschrieben, welche ich Ihnen zur Abschreckung hiermit wärmstens empfehle.
Kapitel I
Entsorgt
Als Attila das Gutachten zur Erziehungsfähigkeit über seine Exfrau in den Händen hielt, war seine erste emotionale Reaktion darauf, den Kontakt zu den Kindern vollständig abzubrechen, damit das belastende Gezerre um deren Gunst endlich aufhöre; außerdem: wenn die Gutachterin schon die Kinder bei ihrer, ohne fremde Hilfe nicht erziehungsfähigen, Mutter sehen wollte, was konnte erdann noch ausrichten? Wenn Kontakte den Kindern eher schadeten als nutzten, weil die Eltern zu gegensätzlich waren und der Krieg zwischen beiden unvermindert tobte?
Die Gutachterin hatte unter anderem geäußert, Attila übertreibe bei seinen Schilderungen und Reaktionen, indem er das Ganze als »Rosenkrieg« bezeichne, sich wegen seines Ehedramas sogar schon das Leben nehmen wollte und dies nun heute relativ emotionslos als logische Folge der unerträglichen Situation hinstellte. Fragte sich bloß, wie sie sowas eigentlich beurteilen wollte, mit den wenigen Fakten, die ihr vorlagen.
Vielleicht hätte die gute Frau einmal die Bände 1 und 2 dieser Geschichte lesen sollen, welche nur die Zeit nachder Trennung beschreiben. Hätte man die Ereignisse während des Zusammenlebens auch noch niedergeschrieben ... oh je! Doch das Lesen meiner Aufzeichnungen hätte, wie sie Attila gegenüber bemerkte, den zeitlichen Rahmen dieses Gutachtens gesprengt. Natürlich, solche Denkweisen kannten wir schon zur Genüge. Machen wir es uns doch lieber einfach, wen interessiert schon Attilas Blickwinkel!
Das wirklich Schlimme an diesem Gutachten zur Erziehungsfähigkeit war, dass es im Grunde weitgehend zutreffende Darstellungen enthielt, sieht man von der meines Erachtens entgleisten Schlussfolgerung einmal ab. Ich hatte längst ebenfalls schon den Verdacht für mich erhärtet, die Kinder seien einfach kaum erzogen, hätten nie Grenzen kennengelernt und versuchten deshalb, die Eltern gegeneinander auszuspielen. Was auch noch recht einfach gelang, weil die beiden sich ja meist nicht einig waren und ihnen neue Munition gegen den Partner häufig gerade recht kam. Während der Ehe genauso wie heute.
Dass die Schreianfälle Ronjas und das extreme, theatralische Zicken Solveigs ausschließlich im häuslichen Umfeld auftauchten, verwunderte vor diesem Hintergrund überhaupt nicht. Es wurde schließlich wunschgemäß darauf reagiert, und das auf beiden Seiten. Dass die Kinder von den Eltern gelernt haben, durch Geschrei das zu erreichen, was sie beabsichtigten, ist auch nicht erstaunlich. Die Eltern haben herrlichste Ehekräche vor den Augen und Ohren der Kinder hingelegt. Wer dabei am lautesten schreit oder das meiste Geschirr zerschlägt, gewinnt.
Das sind die nachteiligen Folgen, wenn man versucht, eine Ehe wider besseres Wissen über Jahre irgendwie hinzuschleppen, obwohl sich die einstige Liebe längst in Hass verkehrt hat. Wenigstens jeweils bis zur nächsten, kurzzeitigen Versöhnung.
Uschi und Attila haben bis heute eine stark emotional aufgeladene Beziehung, auch das hat die Gutachterin richtig erkannt. Genau dieser Umstand ist es, der mir oft so zu schaffen macht. Wer kann sich schon auf eine neue Liebe, eine neue Beziehung samt neuem Leben konzentrieren, so lange er die alte sorgsam aufrechterhält?
Genau das tat er jedoch und wenn es bloß war, um seinen Krieg gegen sie zu gewinnen. War sich dessen aber selbst nicht vollumfänglich bewusst; auch nicht, welche Folgen dies für mich und sein neues Leben nach sich zog. Konnte etwa keiner von den beiden ohne den anderen existieren, ohne hierbei extreme Emotionen, gleich welche Art, wachzurufen?
Wobei ... wenn ich an das Telefonat zwischen Attila und Uschi in der Nacht der stressigen Serverumstellung vor einigen Wochen dachte, war ich mir wieder einmal nicht ganz sicher, ob wirklich
nur noch Hass übrig sein konnte. An diesem Tag war Attila zu allen anderen Menschen kurz angebunden und muffelig gewesen, weil er arbeitstechnisch sehr angespannt war. Einzig mit Uschi sprach er am Telefon nicht nur nett, sondern sogar einfühlsam und für meinen Geschmack übertrieben freundlich, einschließlich der fast schon liebevollen Verabschiedung. Und das war beileibe nicht das erste Mal gewesen, dass mir so etwas auffiel. Er hatte es an diesem Abend damit erklärt, dass er Informationen über die Kinder aus ihr heraushorchen wollte und daher so auffallend nett gewesen sei, weil sie ansonsten bestimmt sofort aufgelegt hätte.
Doch er vergaß hierbei, dass ich nicht nur die Worte gehört, sondern auch seine Mimik gesehen hatte. Aus dieser kann man oft mehr herauslesen als aus bloßen Worten. Genau wie aus der Tatsache, dass er Uschi nach wie vor gegenüber Jedermann als »seine Frau« titulierte, was mir immer wieder einen herben Stich in die Herzgegend versetzte.
Die Gutachterin glaubte an eine emotionale Abhängigkeit Uschis, Attila betreffend. Auch sie konnte ihn nicht loslassen. Sicher, ich wusste aus eigener Erfahrung, dass einen Attila derart faszinieren konnte, ob man sich nun über ihn ärgerte oder ihn liebte. Nur: wenn diese Feststellung zutraf, dann bedeutete das, dass Uschi weiterhin alles unternehmen würde, um ihn an sich zu erinnern oder gar an sich zu binden. Völlig unabhängig davon, ob die beiden geschieden wären oder nicht. »Schöne« Zukunftsaussichten für mich, zweifellos!
Vermutlich litt auch Solveig an dieser »emotionalen Abhängigkeit«, denn sie war ja einst seine Lieblingstochter gewesen, wurde behandelt wie eine Königin, wie eine Erwachsene. Als sie mich als Konkurrenz bei Papa bekam – jedenfalls muss es für sie wohl so ausgesehen haben – wollte sie keine Sekunde der Aufmerksamkeit ihres Vaters an mich abtreten und zickte daher eifersüchtig, was das Zeug hielt. Bis hin zum völligen Bruch mit Papa.
Danach trieb sie im Grunde dasselbe Spielchen wie ihre Mutter, um Papa aus der Reserve zu locken. Der neueste Clou: bei einer Gutachterin zu äußern, man gehe lieber in Fremdunterbringung, als bei Mutter oder Vater wohnen zu wollen, wobei diese Gutachterin seltsamerweise auch noch voll darauf einstieg. Andernfalls, so drohte Solveig, werde sie vor lauter Frust gleich Selbstmord begehen. Solche Ankündigungen hatte sie schon, taktisch geschickt, mehrfach angebracht.
Anstatt das Mädel darauf hinzuweisen, dass Erpressung nicht geduldet werde, dachte man beim Jugendamt tatsächlich darüber nach, ob man ihrem Wunsch nach Fremdunterbringung stattgeben sollte. Im Grunde überließ man eine so weitreichende Entscheidung dem mittlerweile 13-jährigen Kind selbst.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich vielleicht altmodisch klinge: dem Mädchen hätte rechtzeitig einmal der Hintern versohlt gehört. Die wusste nämlich anscheinend gar nicht, dass sie noch lange ein Kind mit eingeschränkter Entscheidungsgewalt bleiben wird. Auch von den Institutionen wurde ihr dies offensichtlich nicht vor Augen geführt.
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