Bei der Zwischenlandung in Palma de Mallorca fummelte Attila gleich sein Notebook aus dem Handgepäck, um nachzusehen, ob Uschi sich inzwischen vielleicht doch zu einer Antwort hatte hinreißen lassen. Aber nein, hatte sie nicht! Die Spannung musste doch aufrechterhalten werden. Sehr unterhaltsam, diese Frau.
Nicht nur sie. Im Flieger nach Berlin befand sich, zwei Sitzreihen weiter vorne, eine russische Familie, welche den gesamten Flug über für Ärger sorgte. Die zwei Männer hatten schon verbotenerweise Alkohol mit an Bord gebracht, diesen konsumiert und dann andauernd bei der Stewardess Nachschub bestellt. Aufgrund der Airline-Regeln durfte diese dann jedoch, weil die beiden »Herren« und die dazugehörige Frau schon betrunken waren, nichts mehr ausschenken. Das wiederum konnten die Russen nicht akzeptieren und so quälten sie absichtlich die Stewardessen, indem sie alle fünf Minuten etwas anderes haben wollten und auch noch die 11-jährige Tochter anstifteten, für sich KleinkindSpielzeug zu bestellen und ähnlichen Blödsinn.
Bis der Chefstewardess irgendwann der Kragen platzte, sie dem penetranten Wortführer der Russen erklärte, dass sie vorhin den Flugkapitän verständigt habe und dieser den nächsten Flughafen auf seine Kosten ansteuern werde, um die Familie abzusetzen. Dort werde sie dann von der Polizei erwartet, sofern er jetzt nicht sofort aufhöre. Trotzdem gingen die Belästigungen weiter, nun wurde eben ständig Wasser statt Alkohol bestellt. Pure Schikane! Ich musste die Stewardessen echt bewundern, dass sie trotzdem freundlich blieben. Vermutlich hätte ich diesem Kerl eine reingehauen, wäre ich die Flugbegleiterin gewesen.
Wir konnten in Berlin zum Glück landen. Wie immer schaltete Attila sein Handy wieder ein, noch bevor der Flieger ausgerollt war. Wie auf Kommando klingelte dieses, Fritz war am Apparat. Der hatte ein Problem mit seinem Abrechnungsprogramm; als Attila die nötige Information extrahiert hatte, waren alle anderen Passagiere schon ausgestiegen.
Konnte man uns denn keine fünf Minuten lang in Frieden lassen? Fritz wusste genau, dass wir uns auf der Reise nach Deutschland befanden. Wir holten unsere Koffer, dann war schon das nächste Telefonat mit Fritz zu führen. Attila vertröstete ihn damit, dass er sich um die Sache kümmern werde, sobald wir in der Bayreuther Pension angekommen wären.
Der Mietwagen, den Attila über Internet hatte reservieren lassen, war aus unerfindlichen Gründen nicht verfügbar. So mussten wir notgedrungen einen anderen mieten, der natürlich teurer kam. Klasse! Im Kofferraum dieses Kombis wurde dann noch im Parkhaus der Rechner wieder ausgepackt, um nach einer Mail von Uschi zu sehen. Die jedoch war natürlich noch immer nicht angekommen. Attila wurde zunehmend sauer und unruhig. Der einzige Trost war, dass wir uns wirklich passgenau den einzigen Tag ausgesucht hatten, an welchem die Straßen ausnahmsweise einmal nicht glatt waren; somit verlief die Fahrt nach Bayreuth wenigstens unproblematisch.
Dort angekommen, hatten wir noch ein paar Schreckminuten durchzustehen. Noch von Spanien aus hatte ich beim Inhaber der Pension ein Zimmer bestellt und angegeben, wir würden erst spät am Abend, wenn nicht sogar erst in der Nacht eintreffen. »Kein Problem«, hatte es geheißen, »wir haben eh Weihnachtsfeier.« Doch als wir dort ankamen, war alles dunkel und verrammelt.
Toll! Und jetzt? Bei minus 11 Grad im Auto schlafen? Glücklicherweise konnten wir mit einem soeben heimkehrenden Bewohner der Pension schnell zur Türe hineinschlüpfen und uns auf die Suche nach dem Inhaber machen. Gerade noch, bevor dieser in sein Bett verschwand, erwischten wir den Kerl und erhielten den Schlüssel. Was haben wir aufgeatmet! Hatte der doch geglaubt, wir würden nicht mehr kommen. Dabei zeigte die Uhr erst 22.30. Muss wohl eine langweilige Weihnachtsfeier gewesen sein!
Einen Trost hatte ich: Attila entspannte sich, denn nun war endlich Uschis Mail im Posteingang. Er könne Marco und Ronja um 9.30 Uhr abholen und habe sie bis 18 Uhr zurückzubringen. Von diesem Moment an war Attila wieder bester Laune, er behob sogar noch, abmachungsgemäß, den »Bug« in Fritz‘ Abrechnungsproblem. Aber erst, nachdem wir unsere knurrenden Mägen in einem noch geöffneten Schnellrestaurant aufgefüllt hatten.
Am Sonntag würgten wir ein schnelles Frühstück in der Pension hinunter, damit wir pünktlich die Kinder abholen konnten.
Seltsamerweise wurden Marco und Ronja nicht von Uschi, sondern von einer Nachbarin an Attila übergeben. Einer Nachbarin, über die Uschi seit Jahrzehnten schon mit üblen Äußerungen herzog und die sie niemals hatte leiden können. Der Zweck heiligte bei ihr wieder einmal die Mittel. Die Kinder hatten Geschenke für Attila gebastelt, er war sichtlich gerührt deswegen.
Außerdem erzählten sie uns, dass jeder von den Dreien seinen Weihnachtsbaum schön geschmückt habe. Jeder seinenWeihnachtsbaum? Ich fragte nach und erfuhr, dass Uschi und Attila den Kindern schon vor Jahren anstelle des Familienweihnachtsbaumes im Wohnzimmer jedem einen kleinen Plastikbaum für sein Zimmer gekauft hatten, damit es keinen Streit gebe und jeder den eigenen Baum nach seinem Geschmack in den Lieblingsfarben herrichten könne. Tja! Ich hatte immer geglaubt, Weihnachten sei ein Fest der Versammlung, der Gemeinsamkeit. Weswegen man sich auch einmal einigen konnte, weil Frieden herrschen sollte und alle zusammen sind. Und ausgerechnet da hatte man der Bequemlichkeit willen und um Streit zu vermeiden zu solch einer abartigen Lösung gegriffen?
Attila fand das heute noch gut und ich hielt lieber den Mund; ich machte mir aber so meine Gedanken darüber, warum die Kinder heute wohl so sind, wie sie sind. In diesem Moment taten sie mir leid. So jedenfalls ließ sich mühelos das Verhalten erklären, welches sie später an diesem Tag zeigten. Von den Eltern unterstützter Egoismus mit einer Prise Theatralik, die man unheimlich steigern konnte, falls nicht gleich einer darauf einging.
Wegen der glatten Straßen hatten wir beschlossen, mit dem Zug nach Nürnberg zu fahren. Wir wollten einen Indoor-Kletterpark besuchen, in welchem wir während eines Besuchswochenendes schon einmal mit Marco alleine gewesen waren. Das Schneechaos zeitigte aber leider auch Auswirkungen auf den Zugfahrplan, und so standen wir am Bahnhof eine Dreiviertelstunde lang auf dem zugigen Bahnsteig. Wir hatten jetzt vier Kinder dabei, denn ich hatte Fredi und Axel abholen können. Axel hatte uns verschmitzt ebenfalls Geschenke überreicht; für jeden eines, und noch eines für uns beide zusammen.
Die Letztgenannten rauften erst einmal fröhlich auf dem Bahnsteig vor sich hin, denn meine Söhne sahen sich seit meinem Umzug nach Spanien ja auch nur noch selten. Doch das war eigentlich mehr zum Spaß und nervte uns nicht weiter.
Endlich kam der Regionalzug, und wir besetzten einen Viererplatz mit Tisch und einen Zweierplatz.
Das ging nicht lange gut. Gleich am Anfang fingen Attilas Kinder in extremster Weise an, sich um die Rückwärtsfahr-Sitze zu streiten. Quengelnd, laut und provozierend. Lautstark und dramatisch wurden dem Vater die Gründe vorgetragen, warum wer wo sitzen durfte oder warum wer wo nicht. Hilflos und sanft versuchte Attila es auf der diplomatischen Schiene, was komplett misslang. Seine Vorschläge konnten und durften nur falsch sein, denn sonst hätte man das Spiel ja nicht fortsetzen können. Marco fing schon wieder an, vor sich hin zu greinen und den Märtyrer zu geben, während Ronja in leichte Hysterie verfiel. Mein Axel versuchte zu schlichten und die beiden abzulenken.
Ich nahm jetzt Attila beiseite und verklickerte ihm, dass er ein Machtwort sprechen müsse, nicht wieder darauf eingehen solle! Aber das konnte er nun mal nicht. Ich erntete bewundernde Blicke der fremden Leute in diesem Abteil, als ich halblaut anmerkte, dass Nerv tötende Kinder eigentlich aus dem Fenster gehängt gehören, anstatt noch verbal gestreichelt zu werden. Attila jedoch schien schon wieder sichtlich nervös zu sein, hatte Angst, es sich bei den Kindern zu verscherzen.
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