Auch Dan O’Flynn und die anderen nickten beipflichtend. Der Gesichtsausdruck des Wikingers war nachdenklich geworden. Immerhin, und das bemerkten seine Gefährten mit Erstaunen, brach er nicht sofort in polternden Protest aus.
„Auch ich halte den Vorschlag unseres neuen Freundes für hervorragend“, sagte Arkana, „und zwar aus einem anderen Grund: Zwar verfügen die Gegner nur noch über drei Schiffe. Wenn es ihnen aber wider Erwarten doch gelingen sollte, einen neuen Angriff auf unsere Insel zu unternehmen, dann werden sie besser gerüstet sein. Sie kennen die Art unserer Verteidigung, sie kennen unsere Kampfmethoden, und sie wissen, wie sie sich auf einen neuen Landeversuch vorzubereiten haben. Das heißt, wir hätten einen wesentlich schwereren Stand, wenn wir die Insel ein zweites Mal allein verteidigen müßten.“
„Das ist wohl ziemlich unwahrscheinlich“, sagte Dan O’Flynn, „aber vor Überraschungen ist man ja nie ganz sicher.“
„Was ich nur bestätigen kann“, sagte Jean Ribault bekräftigend. „Cubera ist ein gewiefter Bursche. Vielleicht hat er sich längst eine Möglichkeit ausgedacht, uns doch zu entwischen, wenn wir ihn bei Grand Turk angreifen sollten. Nein, ich meine, wir sollten unbedingt so taktieren, wie Don Juan angeregt hat.“
„Und was hältst du davon?“ fragte Dan, indem er sich an den Wikinger wandte.
Thorfin fuhr sich mit dem Handrücken durch das raschelnde Bartgestrüpp. Nach kurzem Überlegen gab er sich einen Ruck und sah Don Juan grinsend an.
„Ist nicht verkehrt, deine Taktik. In Stücke schießen werden wir die Halunken sowieso.“
„Stimmen wir also ab“, sagte Dan O’Flynn. „Der Einfachheit halber: Wer ist gegen den Vorschlag Don Juans?“
Keine einzige Hand erhob sich.
„Damit sind wir uns einig“, sagte Dan zufrieden, „jetzt brauchen wir nur noch ein paar Vorkehrungen zu treffen.“
Über diesen Punkt gab es nicht viel zu beschließen. Alle waren sich darüber im klaren, daß man nicht die Hände in den Schoß legen und einfach abwarten konnte, bis der spanische Verband irgendwann einmal aufkreuzte. Vielmehr war es wichtig, den Gegner ständig unter Kontrolle zu haben – eine unabdingbare Voraussetzung dafür, daß Don Juans Taktik funktionierte.
In dieser Beziehung sollte es sich nun auszahlen, daß die Männer des Bundes der Korsaren den Bereich ihrer karibischen Heimat rings um die Caicos- und Turks-Inseln genau kannten. So war auch kein langes Überlegen erforderlich, was die „Kontrolle“ des Gegners betraf.
Der Bucht auf der Ostseite von Grand Turk, das wußten die Mitglieder des Bundes, lag eine noch kleinere Insel fast genau gegenüber. Jene Insel war nur knapp 600 Yards von Grand Turk entfernt und bot die günstigsten Voraussetzungen für die Einrichtung eines Beobachtungspostens.
An der Ostseite dieser kleineren Insel würde man mit der „Empress“ ungesehen ankern können. Und von einer Anhöhe aus würde man Cuberas Bucht überblicken können, ja, mit dem Spektiv mußte es sogar möglich sein, Einzelheiten in aller Deutlichkeit zu erspähen.
So fiel erneut der „Empress of Sea“ die Aufgabe zu, die Aufklärung zu übernehmen. Dank seiner geringen Abmessungen und seiner Schnelligkeit war der Dreimaster des alten O’Flynn das geeignetste Schiff für dieses Unternehmen.
Don Juans Schebecke schied wegen ihrer Auffälligkeit aus, obwohl sie von ihren Segeleigenschaften her ebenfalls geeignet gewesen wäre. Überdies mußte auch berücksichtigt werden, daß Cubera und seine Männer den algerischen Dreimaster mit den rot-weiß gestreiften Segeln bereits hinlänglich kannten.
Als Besatzung für die „Empress“ wurden neben Old Donegal und seiner Stammcrew mit Martin Correa, Nils Larsen, Sven Nyberg und den Zwillingen, Jean Ribault, Don Juan, Dan O’Flynn und Matt Davies ausgewählt.
Die beiden Holzräder des Handkarrens gruben sich tief in den Sand, als Philip und Hasard keuchend den Strand erreichten. Der Karren war mit Pulverfässern beladen, vorgesehen für die Nachmunitionierung der „Empress“.
„Kurze Pause“, sagte Philip mit pfeifendem Atem.
Die beiden Jungen verharrten und wischten sich den Schweiß von der Stirn.
„Nun sieh sich einer das Viehzeug an!“ rief Hasard im nächsten Moment.
„Mußt du unbedingt Mister Carberry nachäffen?“ entgegnete sein Bruder unwirsch. Dann aber, als er aufblickte, blinzelte er ungläubig und schüttelte den Kopf.
Hundert Yards von ihnen entfernt lag das Beiboot, das mit den Pulverfässern beladen werden sollte. Auf der Achterducht thronte eine fast mannsgroße haarig-schwarze Gestalt. Im Bugraum stand eine schwanzwedelnde Plymmie, die sehnsüchtig zur „Empress“ hinüberblickte. Nach dem ausgiebigen Landgang schien ihr der Sinn nun bereits wieder nach einer Seereise zu stehen. Sie war eben eine echte Bordhündin geworden, wenn sie auch die Planken der „Isabella“ vorübergehend mit denen der „Empress“ tauschen mußte.
Das Problem bestand aber in der schwarzen Gestalt auf der Achterducht. Arwenack hockte dort bewegungslos und unerschütterlich wie ein Klotz. Zu allem Überfluß hielt er die Ruderpinne mit der rechten Pranke und gab sich ganz wie „seine“ Menschen, denen er diese Haltung abgeguckt hatte.
„Der ist total verrückt“, sagte Philip im Brustton der Überzeugung. „Dem muß die Sonne zu lange auf den Schädel gebrannt haben.“
„Reine Schikane“, fügte Hasard hinzu und deutete zur „Isabella“. Dort waren die Männer am Schanzkleid der Kuhl zu erkennen, wie sie interessiert herüberlinsten. Mitten unter ihnen Edwin Carberry, auf dessen Schulter Sir John als folgsames Federvieh thronte.
„Paß auf“, knurrte Hasard, „jetzt tut er so, als ob er der einzige ist, der mit seinem Viehzeug umgehen kann. Dabei ist es mit Sir John nun wirklich nicht schwierig.“
„Und Arwenack gehört zur ‚Isabella‘“, sagte Philip. „Das ist doch Absicht, daß sie ihn nicht an Bord geholt haben.“
„Wem sagst du das“, seufzte sein Bruder. „Los, weiter. Notfalls schmeißen wir den Affen über Bord.“
Sie packten den Deichselgriff des Handkarrens und zogen auf ein „Hau ruck“ von Hasard weiter. Die Szenerie am Strand blieb unverändert. Mit unendlicher Geduld harrte Arwenack auf seinem Platz aus, Plymmie wedelte nur noch heftiger mit dem Schwanz, als sie die Zwillinge sah. Der Schimpanse tat indessen so, als bemerkte er von allem nichts.
„Dieses Luder weiß ganz genau, daß er auf der ‚Empress‘ nichts verloren hat“, sagte Philip schnaufend. „Tut so, als ob er kein Wässerchen trüben könnte. Und überhaupt – diese plötzliche Freundschaft mit Plymmie ist doch sehr merkwürdig.“
„Überhaupt nicht“, entgegnete Hasard, „das ist doch richtig menschlich. Der gute Arwenack möchte ein bißchen Abwechslung. Also will er ausnahmsweise mal mit uns auf die Reise.“
Zwei weitere Boote lagen bereits bei der „Empress“ längsseits. Die Männer, die dort mit dem Stauen von Proviant und Frischwasservorräten beschäftigt waren, blickten nun ebenfalls herüber.
„Jetzt stehen wir richtig im Mittelpunkt“, sagte Philip, nachdem sie den Karren nahe an das Boot heranbugsiert hatten.
Hasard marschierte entschlossen auf den Schimpansen zu und baute sich breitbeinig neben ihm auf.
„Arwenack“, sagte er energisch, „los, raus aus dem Boot!“
Der Schimpanse schien taub zu sein. Mit der freien Linken kratzte er sich auf dem runden Schädel und blickte scheinbar interessiert in die entgegengesetzte Richtung.
Hasard packte ihn kurzerhand am rechten Oberarm und wollte ihn von der Ducht stoßen. Doch im selben Atemzug zuckte er zurück. Denn jäh ruckte der Schimpanse herum, fletschte die Zähne und stieß ein wütendes Keckern aus.
Читать дальше