„Himmel“, sagte Hasard erschrocken, „der ist ja richtig giftig.“
Von den Schiffen hallte Gelächter über die Wasserfläche der Bucht.
„So geht das auch nicht“, sagte Philip, der neben seinen Bruder trat. „Jetzt schaltet er erst recht auf stur. Und Plymmie tut so, als ob sie das Ganze nichts anginge.“
In der Tat blickte die Wolfshündin unverwandt zur „Empress“, als spiele sich dort das wesentliche Geschehen ab und nicht hier, am Strand.
„Plymmie!“ rief Hasard schneidend. Dann, als sie den Kopf wandte, zeigte er auf den Schimpansen und fügte mit erhöhter Lautstärke hinzu: „Faß! Los, pack ihn! Scheuch ihn weg!“
Plymmie reagierte nicht. Ihre Augen waren groß und treuherzig, und ihr Schwanz wedelte nur noch ein bißchen schneller, als hätte der junge Hasard sie soeben eine liebe, gute Hündin genannt.
„Hat alles keinen Zweck“, sagte Philip seufzend. „Mannen wir erstmal die Fässer an Bord. Wenn’s nicht anders geht, nehmen wir Arwenack eben mit. Glaubst du, ich will vom Affen gebissen werden?“
„Dafür reißt dir Old Donegal den Kopf ab“, versicherte Hasard. „Aber vielleicht fällt uns ja noch was ein.“
Notgedrungen begannen sie also, die Pulverfässer zwischen den Duchten der Jolle zu verstauen: Auch während des Gerumpels und Gepolters dachte Arwenack nicht im Traum daran, seine Achterducht zu verlassen. Nur noch fester packte er die Ruderpinne.
„Einfache Sache“, sagte Philip unvermittelt, als sie das letzte Faß ins Boot wuchteten. „Wir schaffen es sowieso nicht allein, den Kahn rüberzupullen.“
„Wem willst du das erzählen?“ entgegnete Hasard.
Sein Bruder zog die Schultern hoch.
„Wir sind eben fix und fertig von der Arbeit. Wer will uns denn das Gegenteil beweisen? Da müssen eben die Männer pullen, und schon sind wir die Verantwortung für den verdammten Arwenack los.“
Beim Klang seines Namens stieß der Schimpanse ein triumphierendes Keckern aus. Die Jungen bedachten ihn mit einem wilden Blick, verzichteten aber darauf, ihn weiter herauszufordern.
Hasard überlegte einen Moment.
„Blödsinn“, sagte er dann, „ich weiß was besseres.“ Flüsternd erklärte er dem Bruder seinen Plan, als könnte Arwenack menschliche Worte verstehen und vorzeitig gewarnt werden.
Philips Gesicht erhellte sich.
„Dann mal los“, sagte er knapp, „das haut hin.“
Kurzentschlossen lösten sie zwei Holzstücke vom wackligen Aufbau des Handkarrens und blockierten das Ruder damit in Geradeausstellung. Da Arwenack mit seiner Taktik fortfuhr, von allem nichts mitzukriegen, begriff er auch den Sinn der Verkeilung nicht. Dann schoben die Jungen das Boot eilends ins Wasser, schwangen sich auf die mittlere Ducht und begannen zu pullen.
Erst Minuten später wurde dem Schimpansen klar, daß nicht der Kurs zur „Empress“ anlag, sondern zur „Isabella“. Sein Protest gellte über die Wasserfläche. Doch es half ihm nichts. Und von den Schiffen war nun auch kein Gelächter mehr zu hören.
Kurz darauf bugsierten Philip und Hasard das Heck des Bootes an die Jakobsleiter der „Isabella“.
Die Gesichter, die über das Schanzkleid lugten, waren verblüfft.
„Mister Carberry!“ rief Philip militärisch. „Melde: Bord-Schimpanse vom Landgang zurück!“
Hasard hielt währenddessen Plymmie unter Kontrolle, damit sie nicht etwa ihren Platz im Bugraum verließ. Arwenack hatte sein Keckern eingestellt und zog ein langes Gesicht.
Einen Augenblick sah es aus, als würde der Profos lospoltern. Doch dann schluckte er nur, und sein Rammkinn ruckte zweimal vor und zurück.
„Arwenack!“ brüllte er dann. „An Bord mit dir, du Affenarsch! Beweg dich, oder ich ziehe dir dein verdammtes Fell über die Ohren!“
Diese Sprache war dem Schimpansen geläufig. Er zuckte zusammen und hatte es im nächsten Moment höllisch eilig, die Jakobsleiter hinaufzuhangeln.
Erleichtert pullten die Jungen von der „Isabella“ weg, verkniffen sich aber jeglichen Kommentar. Sie wußten, wie grantig Ed Carberry in solchen Situationen werden konnte. Immerhin hatten sie ihn elegant ausgetrickst. Aus dem Spaß auf ihre Kosten war nichts geworden.
Am Nachmittag, als die Tide günstig stand, glitt die „Empress“ auf den Felsendom zu. Abschiedsrufe und gute Wünsche von den Männern auf den großen Schiffen begleiteten die kleine dreimastige Karavelle mit dem Lateinerrigg.
Old O’Flynn und die übrigen Männer winkten den Gefährten noch einmal zu. Dann erreichte die „Empress“, von Martin Correa mit sicherer Hand gesteuert, bereits die felsüberspannte Passage, in der kein Sonnenstrahl das Halbdunkel zu stören vermochte.
Nichts erinnerte mehr an den Untergang der Kriegsgaleone „San Gabriel“, die hier von jenen acht Pulverfässern zerrissen worden war, die Karl von Hutten heimlich mit dem Mahlstrom hatte treiben lassen. Wohl waren bei der Detonation einige Gesteinsbrocken aus dem Dom gerissen worden. Doch die entsprechenden Stellen waren im Halbdunkel nicht zu erkennen.
Gleich darauf öffnete sich die Weite der Karibischen See vor den Männern auf der „Empress“. Als glitzerndes Muster vieler unzähliger Linien verliefen die Wellen über die See und reflektierten funkelnd das strahlende Sonnenlicht. Der azurblaue Himmel war wolkenlos, ein handiger Wind wehte aus Nordnordost. Überhaupt erwies sich das Wetter in diesen Tagen als beständig, den Wind aus nordöstlichen Richtungen konnte, man fast schon als festen Faktor einkalkulieren. Aber jetzt begann auch die Zeit der Wirbelstürme.
Außerhalb des Felsendoms legte Martin Correa die „Empress“ auf Kurs Südost. Über Steuerbordbug segelnd, gewann der schlanke Dreimaster sehr rasch an Fahrt.
Nach etwa zwei Seemeilen beschloß Old O’Flynn im Einvernehmen mit Jean Ribault, Don Juan und seinem Sohn Dan, nach Norden hin aufzukreuzen. Bis zum Einbruch der Dunkelheit hatten sie ohnehin genügend Zeit, und es war wichtig, bei Tageslicht nicht in die Sichtweite der Spanier auf Grand Turk zu gelangen.
Dan O’Flynn ließ es sich wiederum nicht nehmen, Ausguck zu gehen. Vom Vorschiff aus behielt er die Kimm nach allen Richtungen im Auge. Doch während der gesamten Dauer der Kreuzschläge zeigte sich nirgendwo auch nur das Tüpfelchen einer Mastspitze.
Als sie sich etwa fünf Seemeilen nordwestlich von Grand Turk befanden, gab Old Donegal erneut Order zum Kurswechsel, diesmal nach Osten. Eine halbe Stunde später war es an der Zeit, die Segel zu bergen und den Treibanker auszubringen. Zwar sank die Sonne im Westen bereits der Kimm entgegen, doch bis zum Beginn der Dämmerung würde noch eine Stunde vergehen.
Gemeinsam mit dem alten O’Flynn lehnten Jean Ribault und Don Juan an der Heckverschanzung. Matt Davies, Nils Larsen und Sven Nyberg waren auf dem Hauptdeck damit beschäftigt, Taue aufzuschießen und Nagelbänke zu klarieren. Die Zwillinge unterstützten Martin Correa dabei, in der kleinen Kombüse einen schmackhaften Happen für das Abendessen zuzubereiten. Plymmie hatte sich zu Dan O’Flynn auf das Vorschiff gesellt.
Dan war froh, den Ausguck übernommen zu haben, denn als er die krächzende Stimme seines Vaters vernahm, wußte er bereits, in welche Richtung das Gespräch gehen würde.
Übernatürliches stand mal wieder auf der Tagesordnung.
„Ehrlich gesagt“, begann Old Donegal gedehnt, „mir hat Arauas Verhalten sehr zu denken gegeben.“
„Das junge Mädchen?“ fragte Don Juan interessiert.
Zu spät warf ihm Jean Ribault einen warnenden Blick zu. Aber Don Juan verstand ohnehin nicht, denn schließlich konnte er nicht wissen, daß man bei dem alten O’Flynn nur ein Fünkchen von Interesse zu zeigen brauchte, um gleich darauf in ein stundenlanges Gespräch über die Rätselhaftigkeiten dieser Welt verstrickt zu werden.
„Die Tochter der Schlangenpriesterin Arkana“, sagte Old Donegal eifrig. „Und die Tochter des Seewolfs.“
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