„Ich protestiere gegen …“
Der Erste Offizier wirbelte herum und schnitt ihm mit einer energischen Handbewegung das Wort ab.
„Niemand hat dir Redeerlaubnis erteilt!“ fuhr er ihn an. „Du sprichst nur, wenn du gefragt wirst. Verstanden?“
Der Schwammige zuckte zusammen und duckte sich unwillkürlich, als erwarte er, geschlagen zu werden.
Der Erste wandte sich seinem Capitán zu und salutierte.
„Gefangene wie befohlen zur Stelle, Señor Capitán.“
Cubera nickte und bedankte sich mit einem Lächeln. Nur kurz wanderte sein Blick über die eifrige Betriebsamkeit, die überall an Bord herrschte. Da wurde gehämmert und gesägt, daß es ein Vergnügen war, es anzusehen. Die Männer waren von neuer Einsatzfreude erfaßt. Es tat Cubera gut, dies zu spüren. Er wandte sich den vier Lakaien zu.
„Ich höre, Sie haben einen Protest vorzubringen“, sagte er ruhig. Dabei zogen sich seine Mundwinkel unwillig nach unten. „Gegen was, wenn man fragen darf? Die Redeerlaubnis ist hiermit erteilt.“
Der Schwammige pumpte sich abermals auf, und ein wahrer Wortschwall sprudelte über seine wulstigen Lippen.
„Gegen die menschenunwürdige Behandlung, Señor Capitán. Wir sind in der Vorpiek eingepfercht worden wie Tiere. Kein Lichtstrahl hat uns erreicht. Das Essen hat man uns hingeschoben, wie man Tieren ihren Fraß vorwirft. Wir durften uns nicht waschen und hatten nicht die geringste Möglichkeit zur Körperpflege. Selbst die Sträflinge in Havanna werden nicht so schlecht behandelt. Es ist dies der erste Moment seit – seit Tagen, daß wir wieder das Sonnenlicht erblicken.“ Der Lakai holte tief Luft und setzte zu einem neuen Redeschwall an.
Capitán Cubera unterbrach ihn rechtzeitig.
„Was das Sonnenlicht betrifft, da werden Sie Ihren Nachholbedarf ausgiebig befriedigen können. Im übrigen habe ich Ihren sogenannten Protest zur Kenntnis genommen. Ich will kein Wort mehr davon hören, sonst müßte ich Ihre Arrestbedingungen wegen ungebührlichen Benehmens verschärfen.“
Der Schwammige wurde kalkweiß.
„Aber“, stammelte er, „Sie – Sie können doch nicht …“
„Ich kann sehr wohl“, entgegnete Cubera schneidend. „Kerle Ihres Schlages haben keinen Grund, das Maul aufzureißen. Erstens befinden wir uns auf einem Kriegsschiff und nicht in einem pompösen Gouverneurspalast. Und zweitens: Warum wurden Sie unter Arrest gestellt?“
Augenblicklich starrten alle vier auf die Kuhlplanken, als gäbe es dort etwas höchst Interessantes zu suchen. Der Schwammige trat verlegen von einem Bein auf das andere, da er dem Blick Cuberas unmittelbar ausgesetzt war.
„Dann rufe ich es Ihnen noch einmal ins Gedächtnis“, sagte der Capitán mit metallisch klingender Stimme. „In Remedios haben Sie den Gouverneur bei einem Fluchtversuch, der fast mit einem Mord geendet hätte, unterstützt. Sie können froh sein, daß Sie nicht standrechtlich abgeurteilt wurden, wie es zuvor mit dem Kammerdiener geschah. Damit das unmißverständlich klar ist: Sie haben kein Recht, anders behandelt zu werden als gemeine Verbrecher. Als einziger Vorzug wird Ihnen ein ordentliches Gerichtsverfahren gewährt werden.“
Die vier Elendsgestalten duckten sich wie unter Peitschenhieben. Weder der Schwammige noch einer der anderen wagte, auch nur noch einen Ton von sich zu geben.
Cubera hob den Kopf und suchte mit seinem Blick die Kuhl ab.
„Señor Rodrigo?“ rief er dann.
Rodrigo, einer der Schiffszimmerleute, eilte mit langen Sätzen herbei, baute sich neben den Gefangenen auf und nahm Haltung an.
„Señor Capitán?“
„Sie werden vier zusätzliche Hilfskräfte brauchen können, nehme ich an.“
„Aber ja, Señor Capitán. Jeder gesunde Mann ist zur Zeit Gold wert.“
„Gut.“ Ein Lächeln huschte über Cuberas Lippen. Er deutete mit einer knappen Handbewegung auf die Gefangenen. „Hier haben Sie vier gesunde Kerle. Geben Sie ihnen ein bißchen Arbeit. Achten Sie aber darauf, daß sie auf einem der oberen Decks eingesetzt werden. Die Señores beklagen sich über Mangel an frischer Luft und Tageslicht.“
„Dem kann abgeholfen werden, Señor Capitán“, sagte der Schiffszimmermann breit grinsend. „Auch an Bewegung wird es den Señores nicht mangeln.“
„Ausgezeichnet.“ Cubera nickte scheinbar erleichtert und zufrieden. „Ich möchte mir nicht vorwerfen lassen, dem Gericht Gefangene in schlechtem Gesundheitszustand zu übergeben.“ Er gab dem Ersten Offizier und den beiden Seesoldaten einen Wink, sich um den Arbeitseinsatz der Lakaien zu kümmern.
Mit hängenden Schultern schlurften sie los, geführt von dem immer noch grinsenden Schiffszimmermann.
Vor dem Großmast war ein halbes Dutzend Sägeböcke aufgebaut worden. Decksleute mühten sich mit breitblättrigen Handsägen ab, vorgezeichnete Planken präzise auf das richtige Maß zurechtzuschneiden.
Rodrigo blieb stehen und sah den Ersten fragend an.
„Meinen Sie, das wäre etwas für unsere Amigos aus dem Gouverneurspalast?“
„Eine leichte Arbeit“, sagte der Offizier. „Für den Anfang dürfte es genau das Richtige sein. Später können Sie ihnen dann handfestere Aufgaben geben.“
„Si, Señor.“ Rodrigo forderte vier der Decksleute an den Sägeböcken auf, ihre Arbeit einzustellen. „Meldet euch bei Anselmo und helft ihm beim Pechkochen.“
Die Männer strahlten und liefen los. Die Vorbereitung des Kalfaterpechs war ein amüsanter Zeitvertreib, verglichen mit der knochenschindenden Sägerei.
Währenddessen ließ der Erste den vier Gefangenen die Handfesseln abnehmen. Mißmutig rieben sich der Schwammige und seine drei Kollegen die schmerzenden Handgelenke.
„Ihr übernehmt die Aufsicht“, sagte der Erste zu den beiden Seesoldaten, „und seid mir persönlich für die Kerle verantwortlich. In zwei Stunden werdet ihr abgelöst.“
Die Soldaten salutierten. Dann trieben sie die Gouverneursdiener auf die Sägeböcke zu, wo Rodrigo bereits darauf wartete, ihnen die Handhabung des Werkzeugs zu erklären.
„Ich weise darauf hin“, sagte der Schwammige gepreßt, „daß wir gemäß Dienstvertrag nicht verpflichtet sind, derartig niedere Arbeiten …“
„Das hast du fein gesagt“, unterbrach ihn Rodrigo grinsend. „Aber ihr werdet gleich merken, wieviel Spaß es macht, so eine Planke abzuschnippeln. Schön paßgenau muß alles sein, und ihr werdet euch mit uns freuen, wenn unsere ‚San José‘ in ein paar Tagen aussieht wie nach dem Stapellauf. Übrigens – wenn mich nicht alles täuscht, habt ihr als Arrestanten keinen Dienstvertrag, oder? Seid also froh, daß es auf einem Schiff keinen Steinbruch gibt.“
Die beiden Soldaten lachten leise. Naserümpfend wechselten die Lakaien Blicke. Doch es gab keine Möglichkeit mehr, der entwürdigenden handwerklichen Arbeit zu entrinnen. Rodrigo zeigte ihnen, wie sie die Säge ansetzen mußten, und dann gab es keinen Zeitverlust mehr.
Schnaufend vor Selbstmitleid wuchtete der Schwammige die erste Planke in den Sägebock, rückte das eingeritzte Ende zurecht und setzte das doppelt handtellerbreite Sägeblatt an. Immer wieder rutschte er ab, und schon nach wenigen Minuten rann ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Seinen Lakaienkollegen erging es kaum besser, und als sie die ersten vernünftigen Schnitte zustande brachten, zeichneten sich bereits große Schweißflecken auf ihrer verschmutzten Nobelkluft ab.
Und jedesmal, wenn sie keuchend innehielten, erinnerten sie die beiden Posten mit freundschaftlichen Stößen ihrer Musketenkolben daran, daß es noch lange nicht an der Zeit war, eine Pause einzulegen.
Den sehr ehrenwerten Lakaien verging jegliche Lust, weiteren Protest zu äußern.
Etwa eine halbe Stunde war seit dem Arbeitsbeginn der vier Gefangenen verstrichen.
Völlig unerwartet meldete sich der Schiffsarzt bei Capitán Cubera auf dem Achterdeck.
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