„Wenn es sich so verhält“, entgegnete Cubera, „dann wird es keine nennenswerte Verstärkung sein. Es ist uns gelungen, den Piraten ebenfalls beträchtlichen Schaden zuzufügen. Vergessen Sie nicht, daß wir immerhin auch eins ihrer Schiffe versenkt haben. Ein weiteres wurde schwer beschädigt. Mehr haben wir auf dem Marsch zur Schlangen-Insel nicht gesichtet. Dieser Punkt sollte uns kein Kopfzerbrechen bereiten.“
Er ahnte nicht, wie sehr er sich irrte. Denn sämtliche Schiffe des Bundes der Korsaren waren mittlerweile bei der Schlangen-Insel eingetroffen. Lediglich die „Le Vengeur“ fehlte. Beim Versuch, den Kampfverband in seinem Anmarsch aufzuhalten, war Jean Ribaults Schiff unter dem massierten Feuer der Spanier gesunken.
„Lassen Sie mich noch einiges hinzufügen, was für unsere künftigen Entscheidungen wichtig sein könnte“, sagte Cubera nachdenklich. „Für mich persönlich war es eine äußerst bestürzende Überraschung, daß die Insel von indianischen Kriegerinnen und Kriegern verteidigt wurde. Wir hatten erwartet, ausnahmslos auf englische Piraten zu stoßen. Das ist das eine. Der entscheidende Punkt ist aber die Kampfesweise dieser Indianer.“
„Wie sie mit ihren Geschützen umgehen können!“ rief einer der Offiziere. „Das können sie nur von Europäern gelernt haben.“
„Von englischen Piraten“, fügte ein anderer erbittert hinzu.
„Eben drum“, sagte Cubera und nickte. „Für uns ergibt sich die Schlußfolgerung, daß sich die englischen Piraten möglicherweise mit den Eingeborenen der Karibik verbündet haben. Die Konsequenzen für den spanischen Besitz in diesen Breiten können mörderisch sein. Die Gefahren, die dadurch heraufbeschworen werden, sind nicht auszudenken. Noch mehr Übergriffe auf die Geleitzüge, Überfälle auf Besitzungen der spanischen Krone und schlimmstenfalls sogar regelrechte Volksaufstände. Andererseits“, Cubera zögerte einen Moment, doch dann sprach er weiter, „muß man aber auch realistisch denken und die Hintergründe nicht verhehlen. Unsereins hat sich in der Neuen Welt nicht gerade beliebt gemacht.“
„Unsereins?“ Der Kapitän der zweiten Galeone beugte sich vor. Deutliche Empörung stand in seiner Miene. „Ich weiß, auf was Sie hinauswollen, Don Garcia. Aber ich bitte Sie, eine gewisse Sorte von Landsleuten nicht mit uns in einen Topf zu werfen. Wir sind Seeoffiziere, und wir tun unsere Pflicht. Aber niemand kann uns vorwerfen, daß wir als Unterdrücker auftreten oder uns zu sonstigen Ungerechtigkeiten verleiten lassen. Wie gesagt, das besorgen andere an unserer Stelle.“
Cubera bewegte beschwichtigend die Hände auf und ab.
„Der Ruf einer Nation wird meist von ihren negativen Erscheinungsformen geprägt. So verhält es sich zumindest hier, in den Breiten, die der große Columbus entdeckt hat. Halten wir uns doch einmal nur die Tatsachen vor Augen.“ Cuberas Stimme wurde beschwörend, und er straffte seine Haltung. „Wie ist man mit den Karibik-Indianern umgesprungen? Man hat sie entweder ausgerottet oder in die spanischen Minen verschleppt. Wenn man nun andererseits berücksichtigt, was über diesen sogenannten Seewolf berichtet wird – ja, dann muß dieser Mann eine ausgesprochene Führernatur sein. Ihm ist es durchaus zuzutrauen, daß er die Eingeborenen auf seine Seite gezogen hat.“
„In der Tat!“ rief der Kapitän der Karavelle. „Das erscheint mir einleuchtend. Denken wir daran, auf welche Weise diese doch ziemlich kleine Insel verwandelt wurde. Erstens die perfekte Tarnung, der wir alle auf den Leim gegangen sind. Wenn wir von den Geschützstellungen auch nur etwas geahnt hätten, wären wir niemals so nahe an das Felsenufer herangesegelt. Zweitens die verborgenen Fallen in den Buchten! Drittens die Sprengladungen, von denen die ‚San Gabriel‘ zerrissen wurde!“
„Richtig“, sagte Capitán Cubera und nickte. „Auf dieser verfluchten Insel müssen geschickte Festungsbaumeister am Werk gewesen sein. Damit aber nicht genug. Die Indianer haben Pulverpfeile verschossen, und sie haben Wurfgranaten in Form von explodierenden Flaschen eingesetzt. Das deutet zweifelsfrei auf ihre Verbindung zu den englischen Piraten hin. Denn genau diese Waffen haben die Kerle auch bei den Seegefechten verwendet.“
„Alles in allem wenig erfreulich“, sagte der Kapitän, der ihm gegenübersaß.
„Ich weiß“, entgegnete Cubera. Er schob die Ellenbogen auf den Tisch und faltete die Hände. „Deshalb komme ich auf meine einleitenden Worte zurück. Wir dürfen nicht klein beigeben. Wir müssen kämpfen, denn wir haben es hier mit einem Gegner zu tun, der der spanischen Krone ernst zu nehmende Schwierigkeiten bereiten kann. Wenn sich die englischen Piraten weiter mit den Indianern verbünden und in diesem östlichen Bereich der Karibik festsetzen, dann entsteht dadurch eine ständige Gefahr für Spanien.“ Er lehnte sich wieder zurück. „Meine Order lautet also: Schnellstmögliche Behebung der Gefechtsschäden und anschließend erneuter Angriff auf die Pirateninsel. Wir haben drei Tage Zeit, unsere taktische Planung dafür zu entwickeln.“
Die Männer nickten zustimmend.
„Gibt es noch Fragen?“ Cubera blickte in die Runde.
Es blieb still. Die Kapitäne und Offiziere kannten ihren Verbandsführer. Er hatte an vielen Gefechten und Schlachten teilgenommen und dabei gewiß mehr Erfahrung gesammelt als alle Teilnehmer dieser morgendlichen Lagebesprechung zusammen. Don Garcia Cubera, das wußten sie, war alles andere als ein Eisenfresser, der über Leichen ging und Menschenleben opferte, ohne mit der Wimper zu zucken.
Aber Cubera war zäh. Er gab so schnell nicht auf.
Eben dies wußten sie auch. Man stand nicht auf verlorenem Posten, wenn man sich seinen Anordnungen beugte. Cubera entzog sich niemals der Verantwortung, die er als Führerpersönlichkeit übernommen hatte. Er war nicht der Mann, der andere vorschickte, damit sie für ihn die Kastanien aus dem Feuer holten.
Auf der „San José“ verhielt es sich nicht anders als auf den übrigen Schiffen des zusammengeschmolzenen Verbandes.
Jede Hand wurde für die dringend notwendigen Arbeiten an Deck gebraucht.
So ergab es sich zwangsläufig, daß sich Capitán Cubera an die vier Lakaien des Gouverneurs erinnerte, die seit dem fehlgeschlagenen Fluchtversuch in Remedios in der Vorpiek hockten und über ihre niederträchtigen Charaktereigenschaften nachdenken durften. Keine Frage, daß sie sich während des Feuersturms vor der Pirateninsel nicht besonders wohl gefühlt hatten.
Wenn Cubera aber geglaubt hatte, vier zerknirschte und um Gnade flehende Jammerlappen vor sich zu sehen, dann hatte er sich gründlich getäuscht.
Der Erste Offizier hatte die Gefangenen aus der Vorpiek holen lassen. Sie trugen noch ihre Handfesseln, als sie – von zwei bewaffneten Seesoldaten bewacht – zum Steuerbordniedergang des Achterdecks geführt wurden.
Cubera hatte sich zum Niedergang begeben und blickte auf die Kerle hinunter.
Rein äußerlich boten sie ein Bild des Elends. Ihre einstmals prächtige Lakaienkluft war dreckig, speckig und stellenweise zerrissen. Die Silber- und goldfarbenen Tressen und Pailletten funkelten nicht mehr im Sonnenlicht, sondern waren stumpf geworden und an vielen Stellen abgeschabt. Die Gesichter der vier Gouverneursdiener waren bleich und eingefallen und von sprießenden Bartstoppeln verunziert.
Doch ihre innere Einstellung stand in krassem Widerspruch zu ihrem abgewrackten Äußeren.
Jener, der vorn stand, pumpte sich auf und riß den Mund auf, kaum daß sie vor dem Niedergang stehengeblieben waren. Er war ein schwammiger Bursche mit fettig-strähnigem Haar. In wenigen Jahren würde er seinem Dienstherrn, dem sehr ehrenwerten Don Antonio de Quintanilla, zweifellos sehr ähnlich sein, was den Körperumfang betraf.
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