Hasards Crew, die sich jetzt bereits an Bord des düsteren Zweideckers „Caribian Queen“ befand, bestand aus insgesamt neunundzwanzig Männern. Ribaults Crew rekrutierte sich aus einundzwanzig Männern und der Schlangen-Kriegerin Araua.
„Sollen wir nicht doch lieber einen Treffpunkt vereinbaren, an dem wir euch wieder abholen?“ fragte die Rote Korsarin. „Überlege es dir, Hasard, eins der Schiffe vom Bund der Korsaren kann euch zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder aufnehmen.“
„Nein“, sagte Hasard, der darüber auch schon nachgedacht hatte. „Es hat keinen Zweck, und zwar deshalb, weil sich der vereinbarte Termin zu einem Zeitdruck entwickeln könnte. Und den möchte ich auf jeden Fall vermeiden, wir sind dann eingeschränkt und können nicht so handeln, wie wir wollen. Ich habe für das Unternehmen einschließlich Hin- und Rückreise etwa sechs bis sieben Monate berechnet. Das ist nur über den Daumen gepeilt, Siri-Tong, eine ganz genaue Zeit kann ich der vielen Unwägbarkeiten wegen nicht angeben. Mit Zwischenfällen müssen wir immer rechnen. Wenn wir jetzt acht Monate brauchen, den Abholtermin aber auf sieben Monate ansetzen – das wäre also Anfang Mai nächsten Jahres –, dann wartet das Schiff wochenlang, das uns am Treffpunkt abholen soll, und es fehlt auf der Schlangen-Insel. Das ist einfach unmöglich.“
„Und wie habt ihr euch die Rückkehr vorgestellt?“
„Wir werden selbst sehen, wie wir von der karibischen Panamaküste wieder zur Schlangen-Insel zurückkehren. Vielleicht gelingt es uns nach altbewährter Manier über ein Enterunternehmen in Nombre de Dios oder Porto Bello. Das muß sich ganz aus der Situation heraus ergeben, das kann ich jetzt noch nicht sagen.“
„Dann laufen wir zunächst Tortuga an, danach bringe ich euch zur Bahia San Blas.“
„Ja, du kannst in Ruhe alles einkaufen, was gebraucht wird. Vor allem Holz für Ramsgate und anderes Zeug für die Werft. Holz wird Diego nicht vorrätig haben, jedenfalls nicht in so großer Menge, aber er hat gute Bezugsquellen auf Hispaniola, wo er das Holz bestellen kann.“
„Ich habe eine lange Liste dabei“, sagte Siri-Tong lächelnd. „Eigentlich beneide ich dich um das Unternehmen“, fügte sie dann hinzu.
„Mich reizt es selbst, mächtig sogar“, gab Hasard zu. „Es ist wie ein erwartungsvolles Prickeln in den Adern.“
Sie lächelten sich an und zwinkerten sich zu. Mindestens ein halbes Jahr lang würden sie sich nicht sehen. Siri-Tong dachte etwas wehmütig und traurig an die lange Zeit. Doch sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
Oliver O’Brien kam, um sich zu verabschieden. Die meisten anderen hatten es bereits getan. Auch Old O’Flynn, der auf seiner „Empress“ hockte und den es mächtig juckte, daß er diesmal nicht mit von der Partie war. Er hatte noch behauptet, seiner Galionsfigur würde in der langen Zeit ein eisgrauer Bart wachsen, aber das hielt Hasard bei der Xanthippe für höchst unwahrscheinlich. Vielleicht kriegte sie in der Zeit noch ein paar Warzen dazu.
„Noch irgendwelche Anordnungen, Sir?“ fragte Oliver O’Brien.
„Nein, es ist alles geregelt. Du hast das Kommando über die ‚Isabella‘, wie besprochen. Sollte sie eingesetzt werden, stehen die Männer der Ramsgate-Werft und auch die Männer der anderen Besatzungen zur Verfügung. Gib schön auf unser Schiffchen acht, Oliver, wir lassen es zum erstenmal freiwillig zurück.“
„Und paß auf Arwenack und meinen Sir John gut auf!“ rief der Profos. „Die dürfen ja leider nicht mit, nur Plymmie.“
„Du weißt, warum ich das angeordnet habe, Ed. Wir steigen bei unserem Marsch nach Potosi in Schnee- und Eisregionen auf, und da können wir weder Papageien noch Affen gebrauchen. Dein Sir John würde einen kalten Hintern kriegen und Arwenack …“
„… einen kalten Affenarsch, Sir, ich weiß. Deshalb bleiben sie ja auch zurück“, sagte der Profos friedfertig. Er grinste sogar, als er sich umdrehte.
Der Abschied scheint ihm diesmal gar nicht sonderlich schwerzufallen, dachte Hasard erstaunt. Aber das bewirkte wohl die Aussicht auf das bevorstehende Abenteuer, sonst hätte sich der Profos sicher die Haare gerauft, daß er seinen Liebling zurücklassen mußte.
Die letzten kamen, um sich zu verabschieden, unter anderem auch der grummelnde Wikinger, der behauptete, vor ein paar Nächten sei ihm der Himmel auf den Kopf gefallen. Seinen Helm hatte er wieder ausgeklopft, keine Beule war mehr zu sehen, und schön poliert hatte er ihn auch.
Auf der „Caribian Queen“ wurden die Leinen gelöst. Sie war jetzt zur Genüge bemannt: Hasards Crew, dann die Crew Ribaults und die Männer der Roten Korsarin.
In den Felsen standen die bronzefarbenen Gestalten der Schlangen-Krieger und -Kriegerinnen, die den Männern nachwinkten. Arkana und viele andere säumten die Pier.
Am Ruder des Zweideckers stand Barba, das Monstrum von einem Bootsmann. Er grinste, aber es sah aus, als hätte er die Zähne gefletscht.
Langsam löste sich der Zweidecker und kam frei. Die Segel wurden gesetzt, und dann nahm er langsam Fahrt auf.
Old O’Flynn stierte ihnen wie ein kranker Hund nach. Sein Gesicht war so verrunzelt und von Falten durchzogen, wie sie es lange an ihm nicht mehr gesehen hatten. Sein Bootsmann Martin hockte neben ihm und reichte ihm zur Beruhigung eine Buddel, die O’Flynn jedoch nur griesgrämig anstarrte.
„Die segeln jetzt direkt nach Potosi“, maulte er, „und bringen es fertig, einen alten, kranken Mann einsam zurückzulassen. Eine Schande ist das, sage ich dir, Martin.“
„Jaja“, sagte Martin, „aber die segeln nicht nach Potosi, weil das hoch in den Bergen liegt, wie ich gehört habe. Die segeln nach Arica, weil es in Potosi …“
„Fängst du jetzt auch damit an?“ fauchte der Alte. „Das sind doch nur Ablenkungsmanöver, ich blicke da genau durch.“
„Jaja“, murmelte Martin, damit der Alte endlich Ruhe gab. Der begann ihn ebenfalls langsam mit seinem Potosi zu nerven.
„Sei froh, daß du dein eigenes Schiff hast. Hier bist du dein eigener Herr, auf dem Zweidecker hättest du doch nichts zu melden. Hier bist du Admiral und Kapitän zugleich, kannst auslaufen, wann du willst, und brauchst dich niemandem unterzuordnen.“
„Aber meine Crew besteht nur noch aus einem Mann. Das ist ein bißchen wenig für ein Schiff.“
„Das langt“, sagte Martin trocken. „Du ersetzt glatt drei Mann, damit sind wir wieder komplett.“
„Hm, da ist was dran. Dann gib doch mal die Buddel rüber, dann schluck’ ich für die drei anderen Kerle gleich einen mit.“
Er hob die Rumbuddel und schickte dem durch den Felsendom segelnden Zweidecker einen letzten Gruß nach.
Als die „Caribian Queen“ den Felsendom passiert hatte, griff der Wind und füllte die Segel des düsteren Schiffes, das vormals der Black Queen gehört hatte.
„Ziemliches Gewühl“, sagte Big Old Shane, „das ist man gar nicht mehr gewohnt, mit so vielen Kerlen zu segeln. Sonst fahren wir immer unterbemannt.“
Das fand auch Ferris Tucker, aber man würde sich ja nicht allzulange auf der Pelle sitzen, bis das Ziel erreicht war.
Sie waren jetzt etwa drei Stunden auf See. Die Schlangen-Insel lag weit achteraus und war nicht mehr zu sehen. Kurs Tortuga lag an.
Hasard sah ein paarmal scharf vom Achterdeck zum Vormars, dann schüttelte er den Kopf.
Nach einer Weile glaubte er wieder, etwas gesehen zu haben, doch als er genauer hinblickte, sah er wiederum nichts. Es war ihm, als hätte sich dort ein Mann hinter den Segeln versteckt, denn einmal glaubte er, eine haarige Hand gesehen zu haben.
Natürlich ist das Quatsch, dachte er, denn wer sollte sich da wohl verstecken?
Als er zum dritten Male eine huschende Bewegung sah, ließ es ihm keine Ruhe mehr. Er verließ das Achterdeck und ging zur Kuhl.
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