Al Conroy blickte Hasard ein paar Sekunden fragend an. Erst als er sicher war, sich nicht verhört zu haben, sagte er: „Aye, aye, Sir.“
Hasard wandte sich an Dan O’Flynn, der mit mißtrauisch gerunzelter Stirn seitlich hinter dem fetten Türken stand.
„Dan“, sagte Hasard mit seinem freundlichsten Grinsen und in breitestem schottischen Dialekt. „Sage Shane und Batuti, sie sollen ihre Brandpfeile bereithalten, für den Fall, daß die Muselmänner irgendwelche Tricks aus dem Ärmel ziehen.“
„Geht klar.“ Dan war erleichtert, daß die „Isabella“ ihre Geheimwaffe als As im Ärmel behielt.
„Feuer!“ schrie Al Conroy. Die Steuerbordbreitseite donnerte.
„Feuer!“ Sekunden später waren auch die Backbordrohre frei.
„Zufrieden, Monsieur?“ Hasard grinste den dicken Hassan an.
„Sehr zufrieden, mon Capitain.“
„Bringt das Schiff vor den Wind, Ed!“ rief Hasard dem Profos zu. „Darf ich Sie jetzt zu einem Begrüßungsschluck in meine Kammer bitten, Monsieur?“
Der fette Türke schüttelte den Turban. „Aber nicht doch, Monsieur. Ich bin der Gastgeber und werde Sie sofort zu einem Bankett bitten, wenn Sie vor Anker liegen. Und jetzt wollen wir doch lieber an Deck bleiben. damit ich Ihnen die Schönheiten von Piräus zeigen kann.“
Das war natürlich genauso eine Finte wie dieses Salutschießen, erkannte Hasard. Der Dicke wollte nur an Deck bleiben, um darauf zu achten, daß die Culverinen nicht wieder neu geladen wurden.
„Es wird mir eine Ehre sein, Monsieur“, sagte er lächelnd.
Hassan ben Iskander grinste über sein ganzes, ölig glänzendes Gesicht, und dann begann er Konversation zu machen. Das heißt, die Unterhaltung blieb sehr einseitig. Hasard hörte kaum zu, und der Türke schien es auch nicht zu erwarten.
Vor dem Bug der „Isabella“ lag jetzt die Reede von Piräus. Zwei große Galeeren kreuzten ihren Kurs. Kaikis und Fischerboote wichen dem größeren Schiff aus.
„Entschuldigen Sie, Monsieur“, unterbrach Hasard den Redeschwall des Dicken. Er wandte sich um. Sechs, sieben Männer der Mannschaft standen wie zufällig in seiner Nähe, zum sofortigen Eingreifen bereit, falls es notwendig werden sollte. Hasard schüttelte unmerklich den Kopf.
„Klar bei Buganker“, sagte er dann zu Ed Carberry.
„Aye, aye, Sir.“ Die Situation war für den Profos so unverständlich, daß er sowohl Vokabular als auch Stimme verloren zu haben schien. Schweigend gab er den Männern einen Wink, zum Ankerspill zu traben.
„Schon gut, Ed“, sagte Hasard beruhigend. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“
„Wir hätten ihnen eine Breitseite verpassen sollen“, knurrte der Profos und blickte den fetten Türken haßerfüllt an. „Wir sind doch schon mit ganz anderen Leuten fertiggeworden als mit diesen Muselmännern.“
„Stimmt, Ed“, gab Hasard zu. „Aber mit diesen Muselmännern steht England nun mal nicht im Krieg. Willst du etwa dafür verantwortlich sein, wenn sich unsere Leute nicht nur mit den Spaniern herumschlagen, sondern auch noch eine ganze Flotte in diese Gegend schicken müssen?“
„Du hast wahrscheinlich recht“, gab Carberry widerstrebend zu. „Aber es ist doch eine himmelschreiende Sauerei, daß wir uns mit diesen ungläubigen Heiden …“
„Verzeihen Sie, mon Capitain“, unterbrach der dicke Hassan, „haben Sie Befehl zum Ankern gegeben?“ Er deutete auf ein paar Männer, die an einem der beiden Buganker arbeiteten.
„Allerdings. Wir sind fast schon am Nordrand der Reede.“ Er hatte diesen Platz mit Berechnung gewählt. Wenn er die „Isabella“ außerhalb des Hauptfahrwassers und frei von der Masse ankernder Schiffe vor Anker legte, konnte er sich jederzeit absetzen, wenn es notwendig werden sollte.
„Lassen Sie sich noch etwas Zeit“, sagte Hassan ben Iskander mit seinem öligen Lächeln. „Wir haben einen besonders günstigen Ankerplatz für Ihr Schiff vorgesehen. Dort vorn.“ Er deutete auf die schmale Wasserstraße zwischen dem Festland und der Insel Salamis, die Backbord voraus lag. „Dort liegen Sie besonders gut geschützt.“
Wie eine Maus in der Falle, erkannte Hasard. Auslaufen, ohne mit sehr kurzen Schlägen kreuzen zu müssen, konnte er nur bei Südwest- oder Nordostwind, und wenn die Türken an jeden Ausgang ein Schiff zur Bewachung legten, war selbst das unmöglich.
„Sie ankern an einem historischen Ort, mon Capitain“, erklärte ihm Hassan ben Iskander mit seinem wie festgeölt wirkenden Lächeln. „In dieser Seestraße wurde die persische Flotte von den Griechen vernichtet. Dort oben“, er deutete auf den Berg von Perama, „auf dem Ostufer hat König Xerxes gesessen und den Untergang seiner Schiffe miterlebt.“
„Und heute haben Sie dort oben einen Posten, der alle Schiffsbewegungen in der Straße von Salamis beobachtet, nicht wahr?“ Hasard blickte zu den kahlen Hängen des Peramaberges hinauf.
„Es ist nun mal eine überaus günstige Position dafür“, sagte der fette Türke und hob entschuldigend beide Hände. „Wenn Sie jetzt Befehl zum Ankern geben würden …“
Das Serail des Paschas lag unterhalb des Lykabettos-Hügels am Stadtrand von Athen. Durch das Fenster der weiträumigen Halle sah Hasard auf den anderen Berg, der diese antike Stadt beherrschte: die Akropolis mit den Tempelruinen einer Zeit, in der Griechenland Wurzel und Pol abendländischer Kultur war.
Daß diese Zeit vorüber war, bezeugte das Gesicht der Stadt, die zwischen Lykabettos und Akropolis lag. Es wurde beherrscht von den Kuppeln der Moscheen, den schlanken, spitzen Minaretts, die wie mahnende Finger zum blauen Himmel emporragten.
Irgendwo in diesem Häusermeer steckten Keymis und Burton mit seinen beiden Kindern, überlegte Hasard. Wenn er sie verstecken müßte, würde er auch zusehen, sie möglichst schnell ins Inland zu bringen. In einer Hafenstadt fanden sich Seeleute sehr rasch zurecht, und es gab auch immer Menschen, die scharf beobachten konnten und begriffen, was gespielt wurde. Das gehörte in Hafenstädten zum Überleben.
Ja, Athen, dachte er wieder. Nicht auf einer kaum bekannten Insel. Das hatten sie in Spanien versucht und würden ihren Fehler nicht wiederholen. In einer großen Stadt wie Athen mit ihrem Völkergemisch aus Türken, Griechen, Arabern, Negersklaven und einem Dutzend anderer Rassen würde ein Fremder kaum auffallen. Hier konnten die beiden Halunken in aller Ruhe abwarten, bis …
Bis was? Er hatte noch immer nicht begriffen, was sie eigentlich vorhatten. Gut, beide Männer hatten einen abgrundtiefen Haß gegen ihn. Sie hatten nicht eine Sekunde gezögert, Menschen zu ermorden, nur um ihn zu treffen. Aber er war sicher, daß sie nicht die Absicht hatten, die Zwillinge nur umzubringen. Das hätten sie schließlich längst tun können. Nein, die Entführung der beiden Kinder war nur Mittel zum Zweck, ein Druckmittel, um ihn zu erpressen. Aber zu was? Alles, was sie erreichen konnten, hatten sie doch schon erreicht. Seine Frau war auf der Flucht vor ihren Nachstellungen ertrunken, die Königin hatte einen bereits erteilten Kaperbrief widerrufen und gegen ihn Haftbefehl erlassen. Durch die Schuld von Keymis und Burton war seine Familie zerstört, sein Ruf ruiniert und er selbst zu einem Flüchtigen vor dem Gesetz geworden. Was also konnten sie noch wollen? Was wollten sie noch aus ihm herauspressen? Es konnte höchstens sein, daß sie bei ihm noch einen Schatz vermuteten.
„Seine Exzellenz, der allergnädigste Pascha lassen bitten“, unterbrach eine Stimme seine Überlegungen.
Er wandte sich um. Der dicke Hassan ben Iskander trat auf ihn zu.
Hasard zog mit einer mechanischen Bewegung seinen Lederkoller zurecht, den er über einem einfachen Baumwollhemd trug.
Zwei bärtige Türken, die zu beiden Seiten einer breiten Tür standen und den Zugang mit gekreuzten Speeren versperrten, rissen ihre Waffen zur Seite, als Hassan und Hasard auf sie zuschritten. Einer von ihnen stieß die Tür auf.
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