Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-726-6
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
John Curtis
Das Ultimatum der Roten Korsarin
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Was sich in der zweiten Maihälfte im Jahre 1593 dem Hafen von Plymouth näherte, ließ sogar die abgebrühten Fischer auf See leicht erschauern. Manche bekreuzigten sich hastig und starrten dem Ding entsetzt, verwundert oder verängstigt nach.
Es war eine viermastige Galeone von annähernd vierhundert tons Größe. Drei ihrer Masten waren rahgetakelt, der achtere Mast trug Lateinerbeseglung.
Das war es aber nicht, was die Fischer so erschütterte. Sie starrten mit offenen Mündern auf rote Segel, die sich im Wind blähten, Segel, die weithin als Fanal leuchteten und die Erinnerung an Blut hervorriefen.
Auch das hätten die verstörten Fischer noch verkraftet. Erst der Anblick der Besatzung ließ sie krampfhaft schlucken.
An Deck des Schiffes bewegten sich recht merkwürdige Gestalten. Sie hatten von Wind und Wetter gegerbte Gesichter, die von der Sonne braun gebrannt waren. Ihre Haare waren schwarz und im Nacken zu einem dicken Zopf geflochten. Auf den Köpfen trugen sie flache tellerähnliche Hüte, wie man sie in England noch nie gesehen hatte.
Seltsamerweise befand sich unter diesen unheimlich wirkenden Männern auch eine Frau, die auf dem Achterdeck stand, und deren Anblick die Fischer noch mehr verwirrte.
Sie trug Hosen, dazu Stiefel und eine rote Bluse. Über der Bluse trug sie noch eine helle Segeltuchjacke. In ihrem ovalen Gesicht standen die Wangenknochen leicht hervor, und die Augen, mandelförmig und leicht geschlitzt, verliehen ihr etwas Rätselhaftes und Fremdes. Ihr Haar war lang und schwarz und flatterte im Wind. Ihre vollen roten Lippen waren etwas spöttisch verzogen, als sie die Blicke der Fischer bemerkte.
Es war die erste Reise der Roten Korsarin nach England. Sie war auf dieses Land, aus dem der Seewolf stammte, eigentlich schon immer sehr neugierig gewesen.
Dieser ziemlich öde Küstenstrich ist also seine Heimat, überlegte sie. Auf den ersten Blick ein nichtssagendes Land, nicht kalt und nicht warm um diese Jahreszeit, ein einfacher Küstenstrich mit kleinen Erhebungen und nur wenig zartem Grün, das an den Bäumen und Sträuchern aufbrach.
Im Grunde genommen sah es in ihrer chinesischen Heimat um diese Jahreszeit auch nicht sehr viel anders aus. Dagegen bot die Karibik, aus der Siri-Tong nach England gesegelt war, wesentlich mehr Reize.
Sie war ein wenig enttäuscht, wollte das aber vor sich selbst nicht zugeben und behielt ihr rätselhaftes Lächeln bei.
Sie blickte auf den Hafen von Plymouth, in dem einige Schiffe an den Piers lagen und weiter hinten, in der beginnenden Dämmerung gerade noch erkennbar, weitere ankerten.
Schon jetzt begannen sich die ersten Neugierigen zu versammeln. Viele standen so versteckt, daß man sie kaum sah, und starrten voller Ehrfurcht auf das Schiff, das im Segel einen gewaltigen Drachen führte, der sich im leichten Wind immer wieder aufblies und dadurch den Eindruck erweckte, als atme und lebe er.
Einige der versteckt lauernden Gaffer erkannten auf Anhieb, daß dieses Schiff mit den blutroten Segeln eine englische Konstruktion war, noch dazu ausnehmend gut bestückt. Vorn und achtern standen je drei großkalibrige Drehbassen an Deck, und was sich hinter den Stückpforten an schweren Stücken verbarg, ließ sich ebenfalls mühelos erahnen. Außerdem war es ein Schiffstyp, der bei der englischen Flotte wegen seiner großen Laderäume und dem verhältnismäßig flach gebauten Rumpf sehr gefragt war.
Einige schätzten, daß der Schiffsbaumeister von Plymouth, Hesekiel Ramsgate, diese Galeone gebaut hatte, und damit lagen sie genau richtig.
„Roter Drache“, wie das Schiff der Korsarin hieß, war früher unter dem Namen „Albion“ gesegelt. Siri-Tong hatte die wendige Galeone auf Bora-Bora erbeutet.
„Wir legen dort drüben an der freien Pier an, Barba“, sagte sie zu ihrem Rudergänger. „Mister Boyd, sorgen Sie für ein exaktes Anlegemanöver, und erteilen Sie die nötigen Befehle dazu.“
„Aye, Madam“, erwiderte der Erste Offizier.
Die Männer, die die Rote Korsarin befehligte, gehorchten aufs Wort. Da gab es kein Zögern und kein Zaudern. Ihre Befehle kamen knapp und klar, und die Crew arbeitete reibungslos und gut zusammen.
Während das Schiff mit den roten Segeln einen langen Bogen beschrieb, hielt Siri-Tong immer wieder Ausschau, beobachtete den Hafen, behielt gleichzeitig die Crew im Auge und nahm die Eindrücke des Hafens in sich auf.
Nach Plymouth war sie nur aus einem Grund gesegelt: Sie hoffte hier mit dem Seewolf Philip Hasard Killigrew, dem Wikinger Thorfin Njal und auch mit dem Franzosen Jean Ribault zusammenzutreffen.
Sie wollte eine Besprechung darüber ansetzen, was mit der Schlangen-Insel in der Karibischen See zu geschehen hätte, denn dort mußte jetzt einiges getan werden.
Es war schon eine Menge getan worden. Sehr viel hatte sich dort im Lauf der Zeit verändert, doch es mußte noch mehr geschehen im Hinblick auf die Menschen der Schlangen-Insel, auf die Befestigungen und was der Dinge mehr waren. Eine schlagkräftige Flotte sollte dort aufgebaut werden. Siri-Tong hatte ganz bestimmte Vorstellungen davon. Ihr schwebten eine Anzahl von Veränderungen vor.
Daß das alles zu einem großen Teil schon abgesprochen war, ahnte sie nicht. Sie wußte nichts von den Gesprächen zwischen Hasard, Ribault, dem Wikinger und Hesekiel Ramsgate. Und sie wußte auch nicht, daß Ramsgate plante, seine Werft auf die Schlangen-Insel zu verlegen.
Sie vermutete lediglich, daß einiges zwischen den Männern vereinbart worden war. Das genügte ihr allerdings nicht. Sie hatte die ältesten Rechte an der Schlangen-Insel und nahm sich vor, in dieser Angelegenheit ein Machtwort mitzusprechen.
Als sie jetzt den Blick hob, sah sie, daß immer mehr Leute im Hafen zusammenströmten und sie alle wie Wundertiere von den Gaffern angestarrt wurden.
Die Rote Korsarin lächelte verhalten, als sie die staunenden Blicke sah, die sich auf die Zopfmänner und sie selbst richteten.
Natürlich trug keiner ihrer Männer einen Zopf, und es gab auch keinen Chinesen an Bord. Das war nur Maskerade, Mummenschanz, nicht um zu beeindrucken, sondern um etwas zu erfahren, denn angeblich sprachen ihre Männer ja auch kein Englisch. Einem aber, der die Sprache nicht verstand und sprach, begegnete man mit Sicherheit sorgloser und plauderte mehr aus.
Auf diese Art und Weise erhoffte sie, alles das zu erfahren, was sie wissen wollte.
In Nathaniel Plymsons Spelunke, der berüchtigten Hafenkneipe „Bloody Mary“ an der Ecke Millbay Road und St. Mary Street, war die Ankunft des fremden Schiffes ebenfalls sehr schnell bekannt geworden und hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen.
Die üblichen Schnapphähne, Beutelschneider, Hasardeure und Galgenstricke hockten in der „Bloody Mary“ und soffen Plymsons Fusel.
Das feiste Schlitzohr Plymson war an diesem Tag kaum wiederzuerkennen. Nicht daß er sich verändert hatte, er trug nur wieder eine neue Perücke, weil die letzte mal wieder bei einer handfesten Auseinandersetzung in seiner Kneipe restlos zertrampelt worden war. Einer der Trunkenbolde hatte damit den Boden aufgewischt und das zerzauste Gebilde dann großzügig über den mumifizierten Stör gehängt, der Plymsons Theke zierte und schon so alt war wie die Welt.
Plymson hatte diesmal eine Perücke nach französischer Art auf seinem kahlen Schädel. Die Perücke war grau gepudert mit einigen dunklen Streifen darin und fiel ihm in kleinen Wellen dicht an dicht bis in sein feistes Genick. Von hinten gesehen, verlieh sie ihm etwas Seriöses. Drehte er sich aber um, dann erkannte man in seinem feisten Gesicht die Schlitzohrigkeit der ganzen Welt, den freundlich-geldheischenden Blick und eine gewisse Art von Hinterhältigkeit, die nie aus seinen Zügen verschwand. Jeder hatte durch Plymsons schwach angedeutetes Grinsen unweigerlich das Gefühl, beschissen worden zu sein, auch wenn das nicht immer zutraf.
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