Impressum
© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-383-1
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Die beiden Schiffe lagen in der Bucht von Vigo vor Anker, also in portugiesischen Gewässern und daher verhältnismäßig sicher vor dem Zugriff von Spaniern und Piraten der Barbarenküste Nordafrikas.
Die Segel der Galeone „Isabella VIII.“ und der Karavelle „Le Vengeur“ waren aufgegeit. Auf beiden Schiffen waren die Kanonen geladen, und den Männern war erhöhte Wachsamkeit befohlen worden. Philip Hasard Killigrew wußte, daß es immer gefährlich war, Kapitän und Ersten Offizier von Bord eines Schiffes zu holen. Aber die Besprechung mit den beiden führenden Männern der „Le Vengeur“ war unabdingbar geworden.
Sie saßen um den Eichentisch in der Kapitänskammer der „Isabella VIII.“: Hasard, den seine Freunde und sogar seine Gegner respektvoll den Seewolf nannten, Ben Brighton, Erster Offizier der „Isabella“, und die beiden Eigner der „Le Vengeur“, Jean Ribault und Karl von Hutten. Auf der sandgescheuerten Platte des Tisches standen Weingläser.
Es war Mitte August 1581.
„Und ich sage dir noch einmal: Es kommt überhaupt nicht in Frage“, sagte Karl von Hutten entschieden.
„Ganz meine Meinung.“ Der ruhige Jean Ribault strich eine dunkle Haarsträhne aus seiner Stirn. „Entweder wir sind Freunde oder nicht. Und wenn du Keymis und Burton deine Kinder abjagen willst, dann ist das genausogut unsere Sache wie deine.“
„Und damit basta!“ Karl von Hutten, Sohn eines deutschen Konquistadoren und einer indianischen Häuptlingstochter, schlug mit der Faust auf den Tisch.
„Nichts basta.“ Hasard lehnte sich zurück und blickte seine beiden Freunde und Kampfgefährten an. „Ich danke euch für euer Angebot, mir zu helfen. Aber die Suche nach meinen Kindern ist meine Privatangelegenheit, und ich habe nicht das Recht, dafür auch noch ein zweites Schiff zu beanspruchen.“
„Wer spricht denn hier von Recht!“ Karl von Hutten beugte sich erregt vor. „Es ist unser Schiff! Von unserem eigenen Geld gekauft! Und wenn wir sagen, daß wir mit dir segeln, dann ist das, verdammt noch mal, unsere Sache!“
Ben Brighton, der große Schweiger, verfolgte aufmerksam das Rededuell und blickte prüfend und nachdenklich von einem zum anderen. Dann räusperte er sich und sagte ruhig: „Natürlich ist das eure Sache. Aber die beiden Halunken können wir auch allein erwischen. Der Erfolg hängt jedoch davon ab, möglichst nicht aufzufallen. Mit einem Schiff ist das vielleicht zu schaffen. Aber wenn wir gleich im Geschwader aufkreuzen …“
„Genau das wollte ich auch sagen, Ben“, unterbrach ihn Hasard. „Und selbst allein müssen wir schon eine Menge Glück haben, um die Jungen zu finden – und mit heiler Haut davonzukommen.“
„Genau darum geht es mir doch, Hasard.“ Karl von Hutten war wie ein Terrier, der sich in eine Ratte verbissen hat und nicht losläßt. „Wenn ihr in die Klemme geratet, sind wir da, um euch herauszupauken.“
„Hasard hat recht“, sagte Jean Ribault ruhig. „Helfen können wir ihnen kaum. Wahrscheinlich sind wir ihnen sogar im Weg und gefährden die ganze Aktion.“
„Und die Kinder“, setzte Ben Brighton hinzu. „Die Zwillinge sind schließlich noch im Säuglingsalter.“
„In Ordnung. Du bist der Kapitän.“ Karl von Hutten kippte den Rest seines Weins und stellte das leere Glas mit Nachdruck auf die Tischplatte zurück. „Und was du sagst, wird getan.“
„Sei doch nicht kindisch, Karl.“ Jean Ribault lächelte ein wenig nachsichtig. „Ich habe dir nichts befohlen, sondern nur versucht, dir die Situation zu erklären. Und da Hasard unsere Hilfe sogar ausdrücklich ablehnt, sollten wir uns wirklich nicht aufdrängen. Ich hoffe, du siehst das ein.“
Der Mann mit dem deutschen Adelsnamen und den indianischen Gesichtszügen brummelte Unverständliches und sah an seinem Freund vorbei.
„Trotzdem vielen Dank, Karl.“ Hasard legte von Hutten die Hand auf die Schulter. „Ich werde es dir niemals vergessen.“ Er wandte sich an Ribault. „Ich nehme an, ihr bleibt bei eurem Plan, wieder in die Karibik zurückzusegeln?“
Der französische Freibeuter nickte. „Da unten wimmelt es von Dons, die die Schätze der Neuen Welt abschleppen. Und die wollen wir uns doch nicht entgehen lassen, was, Karl?“
Das Schiff lag auf Ostkurs. Eine leichte, achterliche Brise trieb die „Isabella“ direkt auf die Straße von, Gibraltar zu. Die zweihundertfünfzig Tonnen große Galeone hatte alles Tuch gesetzt, das ihre Masten tragen konnten, um möglichst rasch die schmale, gefährliche Meerenge zu passieren, in der Spanier und algerische Piraten lauerten.
Der Seewolf stand an der Schmuckbalustrade des Heckkastells und blickte auf die Kuhl hinunter. Die Männer, die hinter beiden Schanzkleidern bei den Culverinen in Bereitschaft saßen, dösten vor sich hin oder unterhielten sich leise.
Es war eine dunkle Nacht, fast Neumond, Wunschwetter für diesen Durchbruch durch die Straße von Gibraltar. Nur undeutlich erkannte Hasard die vertrauten Konturen des Decks, die plumpen Rohre der Culverinen, bei denen lange Luntenschnüre herabhingen. Sie brannten nicht. Hasard hatte befohlen, alle Lichter und Feuer an Bord zu löschen, um das Schiff unentdeckt ins Mittelmeer bringen zu können.
„Licht links voraus!“ rief Dan O’Flynn aus dem Großmars. Dan war nicht mehr der Junge, dem die Aufgabe des Ausgucks sozusagen automatisch zufiel. Er hatte sich zu einem hervorragenden Seemann gemausert, und Hasard hatte ganz besondere Pläne für seine Zukunft. Aber Dan hatte nach wie vor die schärfsten Augen von allen Männern der „Isabella“, und deshalb übernahm er in kritischen Situationen wie dieser freiwillig den Ausguck.
„Kannst du schon erkennen, was es ist, Dan?“
„Ich bin doch kein … Moment mal – ein zweites Licht! Jetzt sind es vier! Entweder mehrere Schiffe im Verband dicht vor der Küste oder eine Reihe von Fuhrwerken auf der Uferstraße.“
„Oder ein Dorf, in dem ein paar Bauern noch nicht in die Federn finden können“, setzte Hasard lachend hinzu. „Behalte die Lichter im Auge.“
„Ohne deine freundliche Aufforderung hätte ich das wirklich vergessen.“ Sein freches Mundwerk hatte Dan O’Flynn auch als junger Mann noch nicht abgelegt. Aber das hatte ihm Hasard schon immer nachgesehen, und nicht erst, seit Dan sein Schwager geworden war.
Gwen, dachte er und starrte in das Dunkel, Gwen …
Er sah sie wieder vor sich, so wie er sie vor über vier Jahren kennengelernt hatte: ein bildschönes, rothaariges Mädchen, voll wildem, trotzigem Temperament.
Und sie war von zwei Männern und deren Schergen verfolgt und in den Tod getrieben worden: Keymis, dem ehemaligen Friedensrichter von Falmouth, und Isaac Henry Burton, einem degradierten Offizier und Verräter!
Nachdem Hasard selbst den Schergen hatte entkommen können, hatten die beiden versucht, seine Frau Gwen als Geisel in ihre Gewalt zu bringen. Gwen aber war rechtzeitig gewarnt worden, hatte ihre beiden Zwillingssöhne Hasard und Philip in die Obhut ihres Arztes und Vertrauten Sir Freemont gegeben und versucht, mit einem Fischerboot nach Frankreich zu fliehen. Burton und Keymis hatten jedoch davon erfahren und waren mit ihren Schergen zur Stelle gewesen, ihre Flucht zu verhindern. Der Fischer, der Gwen über den Kanal bringen wollte, wurde durch Musketenschüsse getötet. Trotzdem hatte Gwen versucht, auch ohne seine Hilfe nach Frankreich zu fliehen. Aber in einem plötzlich aufziehenden Sturm ging das Boot verloren. Von Gwen wurde niemals eine Spur gefunden …
Читать дальше