Impressum
© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-382-4
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Aus der Ferne sah die Insel wie eine Riesenschildkröte aus, und so war sie auch von Kolumbus getauft worden, als er sie 1492 auf der Suche nach dem sagenhaften Indien passierte – Tortuga, die Schildkröten-Insel.
Wäre er damals näher herangesegelt, dann hätte er feststellen müssen, daß diese „Schildkröte“ etwas ganz anderes war. Zwar war ihr Kopf nach Westen und ihr Schwanz nach Osten ausgerichtet, aber ihre Nordküste bestand aus riesigen Brocken übereinandergetürmter Felsen, die wie monumentale Burgzinnen aus dem Wasser ragten.
Einziger Zugang zur Insel und damit auch ihr natürlicher Hafen war eine liebliche Bucht an der Südküste, deren Gestade aber keineswegs der Willkür heranrollender Karibikbrandung ausgesetzt waren. Denn wenn die Stürme von Süden heranbrausten, dann fielen sie zuerst über Hispaniola her, jene Insel, die Tortuga breit und mächtig abschirmte.
Die Südküste Tortugas und die Nordküste Hispaniolas trennte ein Kanal von nur fünf Seemeilen Breite. Pfiff der Wind aus Osten oder Westen, dann preßte er allerdings ziemliche Wassermassen durch diesen Schlauch zwischen den beiden Inseln. Und wer diese Ecke kannte, vermied es dann, Tortuga anzusteuern.
An diesem Nachmittag Ende April 1581 wehte ein mäßiger Nordostwind, vor dem eine kleine, schlanke Zweimast-Karavelle und eine Dreimast-Galeone mit Kurs auf das Ostkap Tortugas herliefen, dieses rundeten, dann anluvten und mit Backstagswind in den Kanal steuerten.
Die Karavelle segelte voraus. Sie hatte ein auffallendes Merkmal, und zwar die Farbe ihrer Segel. Sie waren rot. Es war nicht die einzige Eigentümlichkeit dieses Schiffes, das von den Piraten der Karibik bereits mit Legenden umwoben wurde. Die Karavelle mit den roten Segeln stand unter dem Kommando einer Frau, deren Verwegenheit ebenso sprichwörtlich war wie ihre äußeren Reize.
Sie hieß Siri-Tong, aber unter den Piraten, Abenteuern und Glücksrittern der Neuen Welt nannte man sie die Rote Korsarin, was auf die rotgelohten Segel, aber auch auf die Farbe ihrer Kleidung zurückzuführen war. Sie trug rote Blusen.
Diese schlanke, mittelgroße Frau mit den langen schwarzen Haaren und den etwas schräg gestellten dunklen Augen war eine exzellente Degenkämpferin. Genauso virtuos beherrschte sie ihr Schiff – und die Männer, die unter ihr fuhren.
Jetzt allerdings war ihre Karavelle unterbemannt – aus gutem Grund, denn der größte Teil ihrer alten Crew war über die Klinge gesprungen, und zwar im Laufe einer Auseinandersetzung, deren Anlaß ein paar Hitzköpfe ihrer Mannschaft gewesen waren. Diesen Kerlen hatte der Erfolg des letzten Beutezuges die Gehirne vernebelt und sie waren aufsässig geworden. Der Erfolg war ihnen zu Kopf gestiegen.
Sie hatten zu schnell vergessen, wem sie diesen Erfolg eigentlich zu verdanken hatten, nämlich dem englischen Freibeuter Philip Hasard Killigrew und seinen Seewölfen, denen sich die Rote Korsarin mit ihrer Karavelle zu einem verwegenen Raid auf einen spanischen Geleitzug angeschlossen hatte.
Auf der Schlangen-Insel, dem Schlupfwinkel der Roten Korsarin, war von diesen Kerlen eine Meuterei entfesselt worden, die Siri-Tong mit Unterstützung Hasards und seiner Männer hatte niederschlagen können. Nur ein harter, ihr treu ergebener Kern der Crew war der Roten Freibeuterin geblieben. Die üblen Elemente befanden sich auf ihrer letzten Fahrt zur Hölle.
Jetzt wollte Siri-Tong Tortuga anlaufen, um neue Männer anzuheuern. Mit dem kläglichen Rest ihrer Mannschaft hätte sie die Karavelle kaum bis Tortuga segeln können. Auch da hatte ihr Hasard geholfen und ihr ein paar Männer aus seiner Crew zur Verfügung gestellt.
Deshalb war er auch gezwungen, mit seiner „Isabella VIII.“ die Karavelle zu begleiten, um seine Männer wieder übernehmen zu können, sobald Siri-Tong ihre Mannschaft beisammen hatte.
Viel versprach er sich nicht von diesem Unternehmen der Roten Korsarin, vor allem deshalb nicht, weil er der Ansicht war, daß in dem Piratennest Tortuga doch nur Kerle herumlungerten, die die Karibik als Strandgut ausgespuckt hatte – echte Galgenvögel, wüste Gesellen, Rabauken und Schlagetots, die allesamt kaum den Strick wert waren, an dem sie so oder so eines Tages baumeln würden.
Aber Madame mußten es ja wissen, Madame hatten zwar ein niedliches, aber sehr eigensinniges Köpfchen. Dazu waren Madame wie ein Pulverfäßchen, zu dem bereits die Lunte glimmt – explosiv, höchst explosiv. Aber ihr Schlupfwinkel – die Schlangen-Insel – war das Gold und die Silberbarren wert, die sie dort versteckt hatten.
Hasard stand auf dem Achterdeck der Galeone und beobachtete amüsiert, wie Ed Carberry, der die Seewölfe auf Siri-Tongs Karavelle unter sich hatte, vorn auf der Back herumturnte und den Buganker klarieren ließ. Es stank dem guten Carberry ganz gewaltig, von einer Frau Befehle entgegennehmen zu müssen. Gerade darum aber hatte Hasard ihn Siri-Tong überstellt. Es schadete Carberry gar nichts, sich einmal einer Frau unterordnen zu müssen, einer Frau, der er, wie er grimmig vor Verlassen der „Isabella“ erklärt hatte, am liebsten die Haut in Streifen von ihrem voll gerundeten Affenpopo ziehen würde. Immerhin – sonst sprach der Profos von „Affenarsch“, aber die neue Version war direkt feinsinnig und deutete trefflich den Unterschied zwischen weiblichem und männlichem Achtersteven an.
Hasard grinste, als er an Carberrys Ausspruch dachte.
Dann sah er, wie die Karavelle weiter anluvte.
Er blickte zu Pete Ballie hinüber, der am Ruder stand und stur weiter Kurs hielt, obwohl Hasard ihm befohlen hatte, im Kielwasser der Karavelle zu bleiben.
„Träumst du, Pete?“ fragte er sanft.
Pete Ballie zuckte zusammen und legte hastig Ruder. Ben Brighton, Hasards Erster Offizier und Bootsmann, ließ die Segel dichter holen.
Hasard sah, wie die Karavelle Kurs auf die Hafenbucht von Tortuga nahm.
Dann drehte er sich wieder zu Pete Ballie um. „Na, Pete, wovon hattest du geträumt?“
Pete Ballie, stämmig und untersetzt, grauäugig, blond, kriegte knallrote Ohren und stotterte: „Von – von – ach verdammt – von dieser schwarzhaarigen Hexe da vorn.“
Hasard seufzte und schüttelte nur den Kopf. Er warf Pete Ballie einen Blick aus seinen eisblauen Augen zu, der genug besagte.
Pete Ballie räusperte sich und murmelte: „Bitte um Entschuldigung, Sir.“
Jetzt sagte Hasard doch etwas. „Sie verdreht euch den Kopf, wie?“
„Wir sind alle weg“, erwiderte Pete Ballie schlicht.
„Aber Ed Carberry doch nicht“, sagte Hasard.
„Der am meisten“, erklärte Pete Ballie. „Der tut doch nur so, der alte Gauner. Natürlich paßt es ihm nicht, sich von ihr sagen zu lassen, was er tun soll. Das würde keinem von uns passen. Aber mit ihr mal bei Mondschein zu baden, dagegen hätte keiner von uns etwas einzuwenden.“
„Nackt, wie?“
„Sir“, erwiderte Pete Ballie mit Würde, „das hast du gesagt.“
Hasard seufzte wieder. Dann erwiderte er: „Ich glaube, wir werden, wenn wir Tortuga verlassen, einen Standortwechsel vornehmen. Ich habe keine Lust, mit verliebten Katern durch die Karibik zu streunen, vor allem mit solchen Katern, die anfangen, zu träumen und dabei vergessen, welchen Kurs sie steuern sollen. Ist das klar, Mister Ballie?“
„Aye, aye, Sir“, sagte Pete Ballie und peilte andächtig zum Großsegel hoch.
Und daraus entnahm Philip Hasard Killigrew, daß es wirklich allerhöchste Zeit wurde, die nächsten Raids ohne die Rote Korsarin vorzunehmen.
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