Impressum
© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag GmbH,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-298-8
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Man schrieb den 19. Oktober 1579. Die „Isabella V.“ segelte über Backbordbug bei halbem Wind auf Kurs Ost an der Südküste Hispaniolas entlang. Der Wettergott zeigte sich an diesem Tag von seiner allerbesten Seite. Am tiefblauen Himmel stand die Nachmittagssonne und warf ihre wärmenden Strahlen über das Schiff. Die prall stehenden Segel leuchteten in ihrem Licht, und die Männer hatten es sich zum großen Teil an Deck bequem gemacht.
Der Seewolf ließ seine Blicke über das Schiff wandern. Er gönnte seiner Crew diese Verschnaufpause, schließlich hatten es die vergangenen Stunden in sich gehabt. Die Befreiung der elf Männer aus Falmouth aus dem Kerker Santo Domingos war kein Kinderspiel gewesen. Sollte die Crew sich ausruhen – der Seewolf ahnte, daß ihnen dazu ohnehin nicht viel Zeit bleiben würde. Immerhin hatten sie den Hafen von Santo Domingo mit den schweren, siebzehnpfündigen Culverinen der „Isabella“ regelrecht in Klump geschossen und den Dons wieder eine verheerende Niederlage zugefügt. Das konnte nicht ohne Folgen bleiben.
Hasards Gedanken glitten weiter. Er sah das Mädchen vor sich, das sie ganz überraschend ebenfalls bei den Gefangenen im Kerker gefunden hatten – und unwillkürlich schlug sein Herz etwas schneller.
Gwendolyn Bernice O’Flynn! Die Schwester Dans, dessen Vater sie jetzt ebenfalls an Bord hatten, aufgefischt aus einem treibenden Boot, denn dem alten O’Flynn war es als einzigem gelungen, den Spaniern zu entkommen.
Er sah die Szene wieder vor sich – das fassungslose Gesicht Dan O’Flynns, als er in dem bewußtlosen Mann mit dem Holzbein seinen Vater erkannte.
Der Seewolf straffte sich. Es war eine verrückte Geschichte, dreizehn Engländern aus Falmouth, aus seiner Heimat, hier in der Karibik unter solchen Umständen zu begegnen. Verschleppt und fast schon versklavt von den Spaniern, die Falmouth überfallen hatten.
Und wieder wanderten seine Gedanken zu Gwen. Sie waren gerade noch zur rechten Zeit gekommen, denn Gwen war ein verdammt gut gewachsenes und bildhübsches Mädchen, das diesem Schweinehund von Hafenkommandanten schon längst ins Auge gestochen und ganz bestimmte Wünsche in ihm geweckt hatte.
Bei diesem Gedanken verfinsterten sich seine Züge. Der Teufel sollte jeden Kerl holen, der seine dreckigen Pfoten nach Gwen ausstreckte, ohne daß sie es ihm ausdrücklich erlaubte!
Ben Brighton enterte zum Achterkastell auf und unterbrach die Gedanken des Seewolfs, indem er auf ihn zutrat und vor ihm stehenblieb.
Hasard blickte auf.
„Was gibt es, Ben?“ fragte er seinen Bootsmann, der auf der „Isabella V.“ zugleich die Position eines ersten Offiziers innehatte.
Ben Brighton wies mit einer Kopfbewegung zum Hauptdeck hinunter.
„Es wird Zeit, daß du dich um die Neuen kümmerst. Sie müssen auch offiziell in die Crew eingegliedert werden, wenn es später nicht Schwierigkeiten geben soll. Vielleicht hältst du das für eine überflüssige Formalität, aber glaub mir, ich habe in solchen Dingen einige Erfahrungen gesammelt. Sie müssen wissen, daß sie nicht Gäste an Bord der ‚Isabella‘ sind, sondern wie jeder andere zur Crew gehören.“
Der Seewolf grinste.
„Ich glaube, deine Sorge ist unberechtigt, Ben. Die Männer kennen mich – der alte O’Flynn und Big Old Shane sind seebefahrene Leute. Die fünf Fischer wissen ebenfalls, wie es auf einem Schiff zugeht. Blieben die Handwerker, der Stadtschreiber und Gwen.“
„Über das Mädchen brauchen wir nicht zu reden. Daß sie Gast an Bord der ‚Isabella‘ ist, versteht sich doch von selbst.“
Der Seewolf ließ ein leises Lachen hören.
„Na, Ben, wenn du dich da nicht gründlich irrst. Ich kenne Gwen, die ist nicht dazu geschaffen, einfach so an Bord herumzusitzen, die feine Dame zu spielen und sich von uns bedienen zu lassen – o verdammt, da haben wir die Bescherung ja schon!“
Ben Brighton fuhr herum, und mit ihm auch die Köpfe etlicher Männer aus der Crew, denn Gwendolyn Bernice O’Flynn betrat soeben das Hauptdeck, gefolgt von Dan, und das Bürschchen grinste von einem Ohr bis zum andern. Gwen hatte sich ihrer Frauenkleider entledigt und trug jetzt Männerkleidung. Eine Hose, die wie angegossen paßte, und dazu eine Bluse, genauer gesagt ein Hemd, das ihr wegen seiner attraktiven hellgrünen Farbe nicht nur hervorragend stand, sondern ihre Figur erst richtig zur Geltung brachte.
Der Seewolf starrte das Mädchen an, er konnte einfach nicht anders. Das rotblonde, schulterlange Haar Gwens flog im Wind, als sie jetzt langsam mit Dan zum Vorderkastell hinüberging, auf dem es sich der alte O’Flynn mit Big Old Shane und Ed Carberry bequem gemacht hatte.
Auch die drei Männer starrten das Mädchen an, das da in Männerkleidern auf sie zukam. Sogar Ferris Tucker, der hünenhafte Schiffszimmermann, ließ vor Überraschung fast seine riesige Axt fallen.
Und noch ein Mann starrte dem Mädchen nach, aber das bemerkte in der allgemeinen Aufregung niemand. Er hatte sich von allen anderen abgesondert. Ein dürrer Kerl mit einem Geiergesicht und grauen Augen, die sich beim Anblick Gwens unwillkürlich verengt hatten, einem Ziegenbart und schmalen, nahezu blutleeren Lippen. Seine Hände, die wie Krallen wirkten, umklammerten dabei unwillkürlich einen der Belegnägel der Nagelbank, vor der er stand.
Der alte O’Flynn war aufgesprungen. Trotz seines Holzbeins bewegte er sich dabei absolut sicher. Seine Stirn zog sich unheildrohend zusammen, scharfe Falten erschienen über der Nasenwurzel.
„He, Gwen, bist du total verrückt geworden?“ fauchte er seine Tochter an. „Was soll dieser verdammte Mummenschanz? Sofort ziehst du dir wieder Kleider an, so, wie es sich für ein Mädchen in deinem Alter gehört.“
Dan stellte sich vor seine Schwester und hielt sie mit einer Bewegung seiner Rechten zurück.
„Soll sie vielleicht in Lumpen hier herumspazieren, damit ihr jeder bis in die Eingeweide gucken kann?“
„Dan!“ Die Stimme seiner Schwester wies das Bürschchen unmißverständlich zurecht. Aber Dan war nicht zu bremsen.
„Ach was, wir auf der ‚Isabella‘ sind nicht zimperlich. Wir sagen, wie es ist. Außerdem kannst du dich in deinen Mottensegeln hier an Bord bei Schlechtwetter sowieso nicht bewegen, die erste Bö pustet dich in den Großmars. Deshalb habe ich dir die Hose und das Hemd besorgt. Unser Segelmacher wird dir aus Segeltuch noch eine Jacke nähen, und damit basta. Außerdem wird hier an Bord jede Hand gebraucht, mit dir werden wir da auch keine Ausnahme machen.“
Ed Carberry, der anfangs gegrinst hatte, sprang nun ebenfalls auf. Er trat auf Dan zu.
„He, Freundchen, du könntest dein Maulwerk ruhig ein bißchen mehr bremsen, oder ich ziehe dir die Haut in Streifen von deinem Affenar ...“ Erschrocken hielt er inne. „Ich meine, Miß, hä, ich würde Ihrem Bruder ...“
Dan lachte lauthals.
„Damit du weißt, Gwen, was er mit mir vorhat: Er will mir die Haut in Streifen von meinem Affenarsch abziehen, und nun, nun wird da wohl nichts draus, was?“
Dan lachte wieder, während seine Schwester ihn etwas ratlos und verlegen ansah.
Das war der Moment, in dem der Seewolf sich einschaltete. Er hatte zusammen mit Ben Brighton die Szene vom Achterkastell aus beobachtet, und auch für ihn war die Situation absolut neu. Er spürte nur, daß es leicht Ärger geben konnte, wenn sie auf Gwen und das, was sie tat, nicht gehörig aufpaßten. Jedenfalls glaubten sie das, weil niemand Gwen wirklich gut genug kannte.
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