„Das weiß der Henker“, sagte Ferris Tucker. „Die Frage ist eben, ob er zurück nach Frankreich segelt oder nicht. Was mag wohl sein Heimathafen sein?“
Darauf konnte vorerst niemand eine Antwort geben, doch sie sollten es noch erfahren. Die „Mercure“ entpuppte sich vor ihren Augen als eine nicht besonders große Galeone mit drei Masten. Fockmast und Großmast waren vollgetakelt, der Besanmast führte ein Trapezsegel an einer langen Rahrute.
„Bewaffnet ist der Kamerad auch“, sagte Dan O’Flynn. „Ich sehe vier Stückpforten an der Backbordseite der Kuhl, also werden es auf der anderen wohl auch vier sein.“
„Außerdem hat er noch zwei Drehbassen achtern und zwei weitere vorn“, fügte Hasard hinzu.
„Wahrschau!“ erklang in diesem Augenblick ein Ruf von Bord der Galeone. „Wer seid ihr? Was wollt ihr?“ Der Ausguck hatte sie längst entdeckt, aber erst jetzt, da er ganz sicher war, daß die beiden Jollen das Schiff anliefen, meldete er sich.
Hasard erhob sich und legte beide Hände als Schalltrichter an den Mund.
„Philip Hasard Killigrew und seine Crew von der ‚Isabella‘!“ rief er zurück. Die französische Sprache beherrschte er leidlich gut, er gab sich Mühe, die richtigen Ausdrücke zu benutzen. „Ich möchte mit eurem Kapitän sprechen!“
„Dreht bei!“ rief der Franzose. „Wartet!“
„Na, dann warten wir mal“, sagte Hasard. Es klang nicht sehr zuversichtlich. Warum verließ ihn ausgerechnet jetzt, da sie sich trotz aller Widrigkeiten bis zur Mündung des Nils durchgekämpft hatten, der Mut? Er wußte es selbst nicht.
Ein paar Minuten vergingen, dann erschien über ihnen – am Schanzkleid des Hauptdecks der Galeone – eine bemerkenswerte Gestalt – ein kleiner, ungemein drahtiger und vital wirkender Mann, grauhaarig, mit einem ledrigen Gesicht, wasserhellen Augen und einer schmalen, etwas gekrümmten Nase. Diese Einzelheiten konnten die Seewölfe mit dem bloßen Auge erkennen, denn sie waren inzwischen nah genug heran.
„Mein Name ist Pierre Delamotte!“ rief der Kapitän. „Wer, zum Teufel, seid ihr, Männer? Engländer?“
Sehr freundlich klang das nicht, und Hasard bereute schon, den Franzosen überhaupt angepreit zu haben. Aber ein Zurück gab es jetzt nicht mehr.
„Killigrew heiße ich“, erwiderte er. „Das habe ich Ihrem Ausguck eben schon gesagt, Capitaine. Wir sind alle waschechte Engländer, bis auf unseren schwarzen Kameraden aus Gambia und Stenmark, den Schweden.“
„Dagegen habe ich nichts einzuwenden!“ sagte Delamotte laut, und diesmal war er schon etwas freundlicher. „Heraus mit der Sprache, was führt Sie zu mir, Monsieur Killigrew?“
„Wir haben unser Schiff verloren und sind dazu gezwungen, mit den Beibooten an der ägyptischen Küste entlangzusegeln“, erklärte der Seewolf, obwohl ihm auch dies nicht gerade leichtfiel. „Da die Mannschaft aber zu groß ist, wollte ich Sie fragen, ob Sie einen Teil meiner Crew zu sich an Bord nehmen können – gegen Bezahlung natürlich. Mit anderen Worten, wir möchten für acht Männer eine Passage buchen, oder aber sie heuern bei Ihnen an, Capitaine.“
Delamottes Miene hatte sich merklich aufgehellt, jetzt lachte er sogar.
„Das ist ja kaum zu fassen!“ rief er. „Mon Dieu, Sie schickt wirklich der Himmel, Monsieur Killigrew! Steigen Sie erst mal an Bord, damit ich Sie gebührend empfangen kann!“
So gingen die Jollen bei der „Mercure“ längsseits, und wenig später enterten die Seewölfe an der Jakobsleiter auf.
Delamotte empfing sie mit aufgeräumtem Gebaren auf dem Hauptdeck, führte sie dann aufs Achterdeck, ließ Wein bringen, stieß reihum mit ihnen an und sagte: „Ich will ganz ehrlich sein. Sie helfen mir aus der Klemme, meine Herren. Die ‚Mercure‘ ist nämlich total unterbemannt.“
Hier lag nun der Gedanke nahe, mit der kompletten „Isabella“-Crew auf der französischen Galeone anzuheuern, doch Hasard mußte rasch feststellen, daß Delamotte damit nun wieder überfordert gewesen wäre. Acht Männern konnte der Dreimaster Logis und Arbeit bieten, nicht aber einer Gruppe von vierundzwanzig Mann. So blieb es bei dem ursprünglichen Vorhaben: Ferris und seine Männer würden sich in die Musterrolle eintragen.
Vorher aber fragte Hasard Delamotte: „Sind Sie denn wirklich auf dem Rückweg nach Frankreich?“
„Aber gewiß doch“, erwiderte der Kapitän. „Unser Heimathafen ist Brest, wir haben Gewürze geladen. Eigentlich hätten wir schon längst ankerauf gehen und absegeln müssen, doch – wie gesagt – es fehlte uns an den nötigen Besatzungsmitgliedern. Ich wollte schon versuchen, an Land ein paar Leute zu pressen, so weit war ich, stellen Sie sich das vor! Aber jetzt sind Sie hier, meine Freunde, und ich muß Ihnen gestehen: Ich bin wirklich entzückt.“ Mit diesen Worten sah er zu Ferris Tukker, zu Carberry, der Sir John auf seiner linken Schulter sitzen hatte, zu Stenmark, dem Kutscher, Blacky, Jeff Bowie, Bill und Luke Morgan und nickte ihnen anerkennend zu.
„Sie könnten jetzt also sofort ankerauf gehen?“ erkundigte sich Ferris noch einmal der Vorsicht halber.
„Natürlich“, erwiderte Delamotte. „Es ist mir eine Freude, denn Damiette geht mir allmählich auf die Nerven. Ich kann den Singsang der Muezzins nicht mehr ertragen, verstehen Sie?“
„Ja, das verstehen wir sehr gut“, sagte Hasards rothaariger Schiffszimmermann grinsend. „Da geht’s uns nicht anders.“
„Wollen wir darum die erforderlichen Formalitäten gleich erledigen?“ fragte Pierre Delamotte.
Das wollten die Seewölfe, sie waren einverstanden, denn Delamotte schien ihnen ein Mann zu sein, auf dessen Schiff man die Überfahrt bis nach Brest getrost antreten konnte. Delamotte, das sollte sich noch herausstellen, war eine Mischung aus Spitzbube, Geschäftsmann und Spaßmacher, dabei aber auch ein harter Brocken von Kerl und ein exquisiter Seemann. Mit den Spaniern stand er grundsätzlich auf dem Kriegsfuß, weil diese ihm schon mehrere Male Ladungen, die er aus dem Orient nach Frankreich bringen wollte, beschlagnahmt oder, wenn man es anders ausdrücken wollte, „entsteißt“ hatten. Er segelte auf eigene Rechnung, und wenn er eine Ladung bis nach Brest durchbrachte, erzielte er einen ansehnlichen Gewinn.
So schien die Ferris-Tucker-Gruppe nun doch das beste Los gezogen zu haben. Sie blieb auf der „Mercure“ und trat an das Schanzkleid, während Hasards und Bens Gruppen wieder an der Jakobsleiter in die Boote abenterten.
Es gab einen kurzen, wehmütigen Abschied, und ausgerechnet Batuti, diesem Herkules von Menschen, rollte dabei eine dicke Träne über die Wange. Er schämte sich ihrer nicht, und er fand auch nicht, daß es etwas Schlimmes war, wenn man bei einem solchen Anlaß rührselig wurde.
Schließlich ging es seinen Kameraden nicht anders, nur wollten sie es nicht so offen zeigen. Da wurde gehüstelt und gefrotzelt, man sprach leere Worte und versuchte zu lachen. Dan O’Flynn wollte einen Witz anbringen, aber der mißlang, und Ferris Tucker trat schon wieder von einem Fuß auf den anderen.
„Na, dann macht’s mal gut!“ rief Hasard zuletzt noch. Besonders geistreich war das auch nicht – aber was sollte er sonst sagen? „Es bleibt dabei, wir treffen uns entweder bei Doc Anthony Freemont oder bei Nathaniel Plymson in der ‚Bloody Mary‘ wieder!“
„Aye, Sir!“ rief Ferris. „Also, gute Reise!“
„Ja, die wünschen wir euch auch.“
Doc Freemont oder Plymson in der „Bloody Mary“ – das klang fast so, als stünden deren Häuser drüben, im Hafen von Damiette, als könne man zu ihnen hinüberspucken. Doch sowohl Freemont als auch Plymson saßen daheim in Plymouth und hatten keine Ahnung davon, daß die Seewölfe ihre Adressen als gemeinsamen Treffpunkt vereinbart hatten.
„Auf Wiedersehen“, sagte Ben Brighton. „In drei, vier Wochen schätze ich.“
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