Die Überraschung war perfekt, der Durchbruch gelungen. Hasard setzte sich wieder auf seine Ducht und wandte sich zu den Männern um.
„Wir haben es wieder mal geschafft“, sagte er. „Ich hoffe, daß uns jetzt niemand mehr in die Quere gerät.“
„Das hoffe ich auch“, ließ sich Ben Brighton von Boot zwei aus vernehmen. „Es hat schon zu viele Tote gegeben, und unsere Munition geht bald zur Neige.“
Sie freuten sich nicht über diesen Sieg. Still setzten sie ihre Fahrt den Fluß hinunter fort, die ganze Nacht hindurch. Ägypten hatte ihnen mehr Kummer beschert als Glück, ihre Erinnerung würde stets einen gallebitteren Beigeschmack haben. Über dem Land der Pharaonen lag der Fluch des Scheitans, und die größte Schmach, die man ihnen hatte zufügen können, war der Verlust der „Isabella VIII.“, die wahrscheinlich inzwischen längst ganz vom Sand zugedeckt war. Daran würden sie in ihrem Geist noch lange hart zu kauen haben, nichts konnte ihnen darüber hinweghelfen.
Die weitere Reise zum Mensaleh-See und nach Damiette verlief reibungslos. Am 29. Mai 1592 erreichten die beiden Boote ihren Zielhafen und vertäuten an einer abgelegenen Pier.
„Wie geht es weiter?“ wollte Ben von Hasard wissen. Nebeneinander standen sie auf der Pier und richteten ihre Blicke auf die Stadt, die ihnen wie ein ferner orientalischer Traum erschien.
„Mein Vorschlag ist, zumindest mit unseren beiden Booten die Küstenfahrt westwärts am Delta entlang anzutreten“, entgegnete der Seewolf. „Und zwar bis nach Abukir oder Alexandria. Dort könnten wir für die Durchquerung des Mittelmeers vielleicht einen größeren Segler erstehen. Oder aber wir kriegen eine Passage auf einem Kauffahrer, der die Südküste Europas anläuft, beispielsweise Südfrankreich, Italien oder Spanien. Hier in Damiette erhalten wir nichts Entsprechendes, da ist jede Mühe vergeblich. Hier liegen nur die Dhaus und Feluken der Nil-Schiffer. Mit denen können wir nichts anfangen.“
„Aber es ist auch unmöglich, mit der ganzen Crew nach Alexandria oder Abukir zu segeln“, wandte Ben ein. „Auf dem Fluß konnten wir uns leidlich voranquälen, aber auf See sind wir zum Scheitern verurteilt. Siehst du das nicht ein?“
„Doch. Eine Trennung ist eben unvermeidlich. Das Los wird entscheiden, welche Männer ohne Boot bleiben. Ich schlage vor, wir bilden drei Gruppen, anders geht es nicht.“
Hasard drehte sich um und trat zu den Männern, die sich inzwischen auf der Pier versammelt hatten. Seine Miene wirkte steinern, ihm war alles andere als wohl zumute. Aber er wußte, daß es keine andere Lösung gab.
„Habt ihr gehört, was Ben und ich gesprochen haben?“ fragte er sie.
„Ja, Sir“, erwiderte Old O’Flynn stellvertretend für alle anderen. „Und ich muß hinzufügen, daß die Küstenfahrt mit der gesamten Mannschaft in nur zwei Booten wirklich viel zu gefährlich wäre – ein seemännischer Unsinn wäre das.“
„Ja, das ist uns allen klar“, sagte nun auch Shane.
„Augenblick“, sagte Dan. „Was ist mit dem Franzosen, den ich vorhin auf der Reede gesichtet habe? Wäre das nicht der richtige Kahn für uns? Wir könnten ihn wenigstens mal wahrschauen und fragen, was er davon hält, uns gegen Bezahlung mitzunehmen.“
„Meinetwegen.“ Hasard fuhr sich mit der Hand über die Stirn und wischte den feinen Schweißfilm ab, der sich gebildet hatte. „Aber bei dem Pech, daß wir haben, glaube ich nicht an einen Erfolg. Überhaupt, ich bin ziemlich mißtrauisch. Damiette ist eigentlich nur ein Hafen für die Araber- und Türkenschiffe, wie ich eben schon sagte. Ich frage mich ernsthaft, ob das ein echter Franzose ist – oder ob man uns wieder eine Falle stellt.“
Sein Argwohn war berechtigt, und dies war nun eben die Lehre, die man aus den Ereignissen in Ägypten ziehen mußte: Keinem Menschen durfte man mehr trauen, auch dem freundlichsten Kerl nicht, denn jeder konnte ein Schauspieler und Blender wie Ali Abdel Rasul sein, einer, der sich der überzeugendsten Masken und Verkleidungen bediente. Nichts war unmöglich, überall lauerten Heimtücken und Fallen. Hasard vergaß dies nicht einen Augenblick, und er war nicht bereit, sich auf neue fragwürdige Abenteuer einzulassen.
„Teilen wir erst mal die Gruppen ein“, sagte er. „Ben, du übernimmst die eine, Ferris, du die andere. Die dritte untersteht meinem Kommando. Wir sind vierundzwanzig Mann, die Zwillinge mitgerechnet, das läßt sich durch drei teilen. Acht Mann in jeder Gruppe also.“
„Dad!“ rief Philip junior. „Wir bleiben doch bei dir, nicht wahr?“
„Natürlich“, erwiderte sein Vater. „Also: Philip junior und Hasard junior, außerdem Dan, Shane, Gary, Batuti und Matt – ihr gehört zu meiner Gruppe. Wir nehmen auch Arwenack mit, er fühlt sich bei Dan und bei Batuti ja am wohlsten. Hat jemand Einwände zu erheben?“
Die hatte keiner anzumelden, Hasard konnte fortfahren. „Ben, du übernimmst Pete, Al, Smoky, Sam Roskill, Bob Grey, Will und Donegal“, sagte er. „Zufrieden?“
„Aye, Sir.“
„Ferris, demnach bleiben in deiner Gruppe noch genau sieben Mann: Ed, Stenmark, der Kutscher, Blacky, Jeff Bowie, Bill und Luke.“
„Richtig, Sir. In Ordnung.“
Der Seewolf nahm nun drei Hölzchen in die Hand, von denen das eine kürzer als die anderen war. Er hielt sie so, daß sie alle dieselbe Länge zu haben schienen, dann ließ er Ben und Ferris je eins davon ziehen. Wer das kürzere Hölzchen erhielt, würde mit seiner Gruppe ohne Boot sein.
Sie verglichen ihre Lose miteinander. Ferris hielt das kürzere zwischen Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand. Er nickte und versuchte zu grinsen. „Gut, das wär’s dann wohl.“ Er drehte sich zu seiner Gruppe um, die sich inzwischen von den beiden anderen Achter-Trupps abgesondert hatte. „Wir bleiben also ohne Boot, Leute, und müssen sehen, wie wir uns weiter durchschlagen.“
Der Profos kratzte sich an seinem mächtigen Kinn. „Das mit dem Franzosen – wir sollten es ruhig mal prüfen, finde ich. Ich denke, der Bursche wird uns nicht gleich einen Schuß vor den Bug setzen, wenn doch, haben wir ja immer noch zwei Höllenflaschen.“
Blacky sagte: „Vielleicht ist das doch eine reelle Chance für uns. Wie ist es, Sir, stellst du uns die eine Jolle noch zur Verfügung, damit wir bis zur Reede segeln können?“
„Das ist doch selbstverständlich“, erwiderte der Seewolf und ihm wurde immer elender zumute.
Ferris Tucker trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. „Ja, also dann – wir verabschieden uns wohl schon mal voneinander, ich meine, das wäre doch das – äh, ach, verdammt, hol’s der Teufel, mir fallen jetzt nicht die richtigen Worte ein.“
Hasard räusperte sich. „Aber mir. Es ist doch wohl Ehrensache, daß wir alle euch zu dem Franzosen begleiten, und das mit dem Abschied können wir also vorläufig noch mal verschieben. Los, auf was wartet ihr noch? Zurück in die Boote!“
Sie stiegen wieder ein und lösten die Leinen, dann legten sie ab und setzten die Segel. Hölle und Teufel, dachte Ben Brighton, während sie Kurs auf die Reede von Damiette nahmen, was ist das bloß für eine beschissene Situation!
Sie waren zwar alle harte Kerle, und es war auch nicht das erste Mal, daß die Crew der „Isabella“ auseinandergerissen wurde, aber die bevorstehende Trennung ging ihnen allen doch sehr nahe.
Schweigend verrichteten die Männer in beiden Jollen die erforderlichen Manöver. Hoch am Wind liegend glitten sie auf den Hafen von Damiette zu, dessen Piers, Kaimauer und Häuser sich nun immer deutlicher vor ihnen abhoben.
Die Silhouette des französischen Schiffes zeichnete sich gestochen scharf im Sonnenlicht vor ihnen ab, und bald vermochten sie den Namen am Heck zu erkennen: „Mercure“.
„Merkur, der Götterbote“, brummte Ben Brighton. „Na, wunderbar. Vielleicht ist das ja ein gutes Omen.“
Читать дальше