Jan Marten versuchte, den Peekhaken an sich zu reißen, doch es war ein aussichtsloses Unterfangen. Der Hai klappte seine Kiefer zu. Der Biß war so kräftig, daß der Stiel des Hakens zerbrach. Dann stürzte sich das Tier ungeachtet der Hiebe, die Finnegan ihm verpaßte, auf den Holländer. Marten schlug wild um sich, doch er hatte keine Chance. Der Hai begrub ihn unter sich und verbiß sich in ihn.
Jack Finnegan hatte schon viel Grausames gesehen, doch jetzt schwanden ihm fast die Sinne. Alles spielte sich in größter Deutlichkeit vor seinen Augen ab, und Martens gräßliche Schreie jagten ihm einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken. Er konnte nichts mehr für Marten tun.
Marten wurde zerfetzt, das Wasser färbte sich rot. Im Nu hatten sich alle Haie an der Unglücksstelle versammelt, zwölf oder noch mehr zählte Jack Finnegan. Sie balgten sich um das Opfer.
Jetzt ging auf der Marsplattform das Grauen um. Piet Reuter schüttelte die Faust gegen die Haie und stieß die übelsten Flüche aus. Dann, als Finnegan langsam in den Webeleinen aufenterte, begann er, diesen zu beschimpfen.
„Du bist ein Mörder, Finnegan!“ schrie er. „Deinetwegen hat es den armen Jan erwischt! Das wirst du noch schwer bereuen! Bezahlen wirst du dafür, das schwöre ich dir!“
„Nimm das zurück“, sagte Paddy Rogers drohend.
Finnegan kroch auf die Plattform zurück und hob in einer abwehrenden Geste die Hand. „Laß ihn, Paddy. Ich kann seine Reaktion verstehen.“ Er gesellte sich zu seinem Freund, und sie standen den beiden Holländern schweigend gegenüber. Kalter Haß glänzte in Reuters und Pravemanns Augen. Paddy Rogers hatte die Hände zu Fäusten geballt, daß das Weiße an den Knöcheln hervortrat. Auch er war kurz davor, überzukochen.
Finnegan jedoch versuchte, gelassen zu bleiben. Dabei bereitete er sich in seinem Inneren selbst die schwersten Vorwürfe. Du hättest den verdammten Haken allein herausfischen sollen, sagte er sich, ohne Marten. Sicher, er hat seinen Tod durch seine eigene Ungeschicklichkeit herbeigeführt, doch er könnte noch leben, wenn du klüger vorgegangen wärst.
Er hütete sich jedoch, dies laut zu äußern, denn seine Selbstbeschuldigungen wären nur Wasser auf Reuters Mühlen gewesen.
Am 23. Mai erreichten die Seewölfe mit ihren beiden Booten und den beiden Kamelen nun endlich den Delta-Arm des Nils, der zum Mensaleh-See floß.
Hasard ließ eine Pause einlegen und sagte: „Wir können jetzt auf die Tiere verzichten, da wir die Schubkraft des Stromes haben, die uns weiterbringt.“
„Na, das ist ja großartig“, sagte Dan O’Flynn und kletterte aus dem Sattel des Kamels, das vorher von Luke Morgan geritten worden war. Batuti, der zu diesem Zeitpunkt das zweite Tier führte, folgte seinem Beispiel. Beide lösten sie die Schlepptaue, dann gaben sie den Vierbeinern noch einen freundschaftlichen Klaps auf die Hinterhand und entließen sie in die Wüste.
„Jetzt kann sich Freund John endlich um seine Else kümmern!“ rief Luke vom Boot aus, und die anderen begannen zu lachen.
Dan und Batuti stiegen in Hasards Jolle. Die Segel wurden wieder gesetzt, und es ging nordostwärts bei einer leichten Brise, die von Norden wehte.
Bald veränderte sich das Bild der Landschaft. Sie segelten durch Schilf- und Papyrusdickichte, und aus der leicht dampfenden Feuchtigkeit der Sümpfe stiegen lärmend Enten, Pelikane, Reiher, Gänse, Schwäne und jede Menge kleinerer Wasservögel auf – Teichhühner, Uferschnepfen, Rohrdommeln und was es sonst noch alles gab.
„Hier ist Leben“, sagte Old O’Flynn zufrieden. „Und hier lacht das Herz des Jägers. Wie wäre es, wenn wir unseren Proviant ein wenig auffrischen würden?“
„Lieber nicht“, sagte Ben Brighton und wies auf das längliche Etwas, das unweit von der Jolle an Backbord vorbeitrieb. Auf den ersten Blick hätte man es wohl für einen morschen, halb verfaulten Baumstamm halten können, doch das war die übliche Täuschung, der man immer wieder erlag.
In Wirklichkeit handelte es sich um ein ausgewachsenes Krokodil, das plötzlich zu beängstigenden Aktivitäten erwachte. Es riß sein Maul auf und zeigte die furchteinflößenden Zähne, schlug mit dem Schwanz, daß das Wasser nur so spritzte, und verschwand dann plötzlich unter der Oberfläche.
„Aufpassen!“ rief Hasard. „Vielleicht greift der Bursche uns an!“
Schon hatten die Männer ihre Musketen und Tromblons bereit und warteten mit entschlossenen Mienen auf die Großechse, die offenbar unter den Booten hindurchtauchte.
Das war auch tatsächlich der Fall, doch das Krokodil traf keinerlei Anstalten, allen Ernstes auf die Jollen und ihre Insassen loszugehen. Es tauchte in einiger Entfernung wieder auf und schwamm träge davon.
Aus dem Ufergestrüpp schoben sich jedoch immer neue Körper ins Wasser und umlauerten die Boote – häßliche Schuppenleiber mit platten Köpfen und heimtückisch funkelnden Augen. Old O’Flynn sah zu einem der Krokodile hinüber. Es war ihm so, als grinse dieses ihn an.
„Warte nur“, sagte er mit gallebitterer Miene. „Schwimm noch ein Stück näher ran, dann kriegst du von mir eins auf den Pelz gebraten.“ Er hatte seine Muskete inzwischen mit grobem Schrot geladen.
Arwenack ging vorsichtshalber bei Batuti und Dan O’Flynn in Sicherheit. Die Krokodile waren seine natürlichen Feinde. Sir John war da frecher: Er kreiste unablässig über den Biestern und beschimpfte sie mit den übelsten Ausdrücken.
Hasard und seine Männer behielten die Krokodile im Auge, denn die Tiere waren unberechenbar und konnten irgendwann vielleicht doch angreifen.
Noch eine andere Gefahr gab es auf diesem Seitenarm des Nils, wenn sie auch ganz anderer Natur war: Sehr leicht konnte man sich verirren und in einen der vielen winzigen Nebenflüsse oder Nebenarme geraten, die alle plötzlich irgendwo zu Ende waren und keinen Ausgang hatten – wie Sackgassen im düsteren Viertel irgendeines Hafens.
Das Schilf versperrte ihnen den Ausblick, es war nicht leicht, sich zu orientieren. Man konnte im Papyrus steckenbleiben, überall waren Untiefen, und in dieser Region war es nun nicht mehr so problemlos wie im Kanal der Pharaonen, ins Wasser zu steigen und die Jollen wieder flottzukriegen. Hier lauerten außer den Krokodilen Blutegel, Zitteraale, giftige Rochen und andere Plagegeister, von den durch winzige Erreger übertragenen Krankheiten ganz zu schweigen. Das Schreckgespenst Sumpffieber zog am Himmel auf und war den Männern stets gegenwärtig.
Nein, ein Genuß war auch dieser Teil der Fahrt nicht, ganz im Gegenteil. Schon bald erschienen die Stechmücken, wie erwartet, sie traten in säulenförmigen Wolken auf, die über den Sümpfen tanzten und sich unaufhaltsam den Booten näherten. Der Geruch des schwarzen Morastes stieg den Männern und den beiden Jungen unangenehm in die Nase, es war schwül und stickig. Der Schweiß trat ihnen aus allen Poren, und bald waren ihre Gesichter und Oberkörper von Stichen übersät.
„Kratzt euch bloß nicht“, sagte der Kutscher. „Dadurch verschlimmert ihr es nur noch.“
„Du Schlauberger“, sagte Carberry wütend. „Glaubst du denn, das wissen wir nicht?“
„Whisky oder Brandy wären das richtige zum Einreiben“, meinte Blacky.
„Ja“, sagte der Seewolf und grinste schwach. „Das könnte dir so passen, wie? Kutscher, achte mir bloß auf unsere Vorräte.“
So verging auch dieser Tag. In der Nacht ankerten sie im Fluß, und jeweils zwei Wachen lösten sich im vierstündigen Turnus in den Booten ab. Am nächsten Tag wurden wieder die Segel gesetzt, die Fahrt ging weiter.
Nur langsam verstrichen die Stunden, und auch jetzt gab es keine Ruhe vor den Störenfrieden und Plagegeistern der Sümpfe. Einmal gerieten sie in einen der Nebenarme und verzettelten sich fast völlig, aber Hasard behielt die Ruhe und Übersicht und ließ gerade noch rechtzeitig wieder umkehren.
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