„Weshalb eiert das Schiff denn so?“ fragte er den Ersten.
„Bitte, wie belieben Marquess zu fragen?“
„Ich fragte, warum das Schiff so eiert“, wiederholte der Marquess ungnädig.
„Es ist vermutlich aus dem Ruder gelaufen, oder der Druck auf das Ruder ist nicht kräftig genug. Die Kerle dort drüben haben ihre Segel falsch gesetzt. Sie fahren Bramsegel an den Masten, die anderen sind noch nicht gesetzt …“
„Und warum nicht? Was soll das?“
„Das entzieht sich meiner Kenntnis, Marquess. Es soll ja Typen geben, die zwar zur See fahren, aber trotzdem nichts davon verstehen.“
Damit hatte er dem Marquess anständig eine übergebraten, doch der bezog das keinesfalls auf sich. Dieser Gedanke fiel ihm nicht mal im Traum ein.
Inzwischen wurden Musketen ausgegeben und geladen. Das dauerte wieder eine ganze Weile. Die kleinste Galeone war mittlerweile klar, da hatten sie einen Kapitän, der sein Handwerk verstand. Sie schor aus und segelte den ersten Schlag, der sie vor das Schiff des Marquess brachte.
Für die Seesoldaten war das peinlich, denn sie konnten jetzt nicht mit den Musketen schießen, ohne ihre eigenen Leute ins Visier zu kriegen.
„Diesen unfähigen Kerl werde ich mir später vorknöpfen!“ schrie der Marquess in rasender Wut. „Ist der denn wahnsinnig, uns die Sicht zu nehmen? Hier krebst ja jeder so herum, wie es ihm gerade paßt. Rufen Sie hinüber, er soll sofort zurücksegeln.“
Diesmal standen dem Ersten die Haare zu Berge. Er wußte einfach nicht, was er darauf erwidern sollte, und begann den eitlen und dummen Schnösel regelrecht zu hassen. Der blamierte mit seiner seemännischen Kunst nicht nur die Navy, sondern die ganze Seefahrt.
„Er kann das Manöver jetzt nicht mehr unterbrechen, Sir“, sagte der Erste voller Zorn. „Er kann weder halsen, noch wenden, noch zurücksegeln, und er kann auch nicht einfach anhalten, sonst geschieht hier ein Unglück, und ein Schiff kollidiert mit dem anderen. Gestatten Sie daher, daß ich ihm den Befehl nicht gebe, Marquess.“
Die Nerven des Marquess waren nur noch so schwach wie brüchige alte Schoten, und so gestattete er es zähneknirschend. Er begriff einfach nicht, warum hier ein derartiges Chaos herrschte, und er sah erst recht nicht die Unsinnigkeit seiner Befehle ein, die alle zur Hilflosigkeit verdammten.
Dann war endlich die kleine Galeone frei und zog vorbei, fast auf gleicher Höhe mit dem Schwarzen Schiff, das so umständlich und schwerfällig segelte.
„Feuern Sie endlich!“ brüllte der Marquess.
Mehr als zwanzig Mann legten ihre Musketen auf das Schanzkleid und zielten auf das Schwarze Schiff. Jeder der Soldaten wußte auch, daß er das Schiff nicht treffen würde, dafür war die Entfernung zu weit. Und wenn wirklich einer traf, dann kratzte er nicht einmal mehr die Bordwand an, geschweige, er durchschlug sie.
Aufblitzen, Krachen, Rückschlag und Pulverqualm. Fast jedem wehte ein übelriechendes Wölkchen ins Gesicht.
Der Marquess starrte durch das Spektiv. Drüben rührte sich nichts. Es schien, als sei das Schwarze Schiff gar nicht bemannt. Jedenfalls war an Deck nichts zu sehen. Und es dachte auch nicht im Traum daran, jetzt abzusaufen, es segelte einfach so schwerfällig weiter wie zuvor, ziemlich langsam wie eine lahme Ente.
Der Marquess schluckte hart. Jetzt kam „sein“ Schiff in Sicht. Ein stolzer, prächtiger, Neid erregender Segler, der jedes Herz höher schlagen ließ und jetzt unter vollem Preß lief. Auf dem Achterdeck hätte er selbst gern als Geschwaderführer gestanden und dieses herrliche Etwas befehligt. Aber das hatte ihm der Seewolf gründlich verdorben.
„Nachladen, weiterfeuern!“ befahl der Marquess. Diesmal klang seine Stimme sehr schwach, als wäre er krank. „Schießen Sie die Kerle vom Achterdeck, versuchen Sie den Seewolf zu treffen.“
„Aye, aye, Marquess“, sagte der Erste gleichmütig. Sollte dieser eitle Stutzer doch Befehle geben, wie er wollte, vielleicht brach ihm das eines Tages mal den Hals, wenn etwas schiefging.
Die kleine Galeone hatte jetzt bereits Fahrt aufgenommen, eine zweite war ebenfalls klar, nur der ehrenwerte Marquess vertrödelte weiter seine Zeit.
Als die Musketen endlich krachten, griff er gierig zum Spektiv und sah neidvoll aufs Achterdeck. Durch den Kieker erkannte er Gestalten, und dann vermochte er sie auch zu unterscheiden. Da stand der verhaßte Kerl, wild und verwegen mit wehenden schwarzen Haaren, und er scherte sich den Teufel um die Schiffe der Navy, die er überlistet hatte.
Kein Schuß traf, wie der Marquess voller Bestürzung feststellte. Kein einziger dieser vermeintlichen Staatsfeinde fiel um oder griff sich aufschreiend an die Brust. Sie standen da, als hätte es mal kurz geblitzt und weiter wäre nichts passiert.
Dafür aber hörte er etwas, das ihm fast das Herz abdrückte vor Wut. Er hörte sie lachen, laut und hohnvoll klang es herüber. Marquess Henry of Battingham schloß entsetzt die Augen, als er dieses teuflische Gelächter hörte. Zu der Schande seiner Niederlage gesellte sich nun noch der Hohn. Das war die bitterste Pille, die er schlucken mußte.
Sie schossen nicht einmal zurück, vielleicht fühlten sie sich so überlegen, daß ihnen das einfach zu läppisch war.
Der Marquess feuerte den teuren Kieker hart auf die Planken und schüttelte in ohnmächtigem Zorn beide Fäuste.
„Geben Sie mir Ihre Pistole!“ kreischte er zu dem Ersten. „Schnell!“
Kopfschüttelnd griff der Erste ins Bandelier, zog die Reiterpistole hervor und überreichte sie dem Marquess.
Hoffentlich schießt er sich jetzt selbst in seine durchlauchten Knochen, dachte der Erste inbrünstig. Es war heller Wahnsinn, mit einer Pistole darauf zu feuern, was der viel längere Lauf einer Muskete nicht einmal mehr traf.
Aber der Marquess war rasend vor Zorn, ohnmächtig vor hilfloser Wut und von der krankhaften Manie besessen, diesen Seewolf wenigstens symbolisch zu erschießen.
Als sich die Pistole donnernd entlud, stand der schwarzhaarige Satan immer noch an Deck, dafür aber klaffte im Segel der einen Galeone des Marquess ein winziges Dreieck.
Er gab mit zitternden Händen die Pistole zurück und lauschte entnervt dem unbändigen Gelächter, das von der „Isabella“ herübertönte.
„Affenarsch!“ brüllte eine unverkennbar laute Stimme über das Wasser, eine Stimme, die nur dem narbigen Kerl mit den drastischen Flüchen gehören konnte und den Marquess richtig krank werden ließ.
„Wir werden ihn jetzt im Rudel jagen“, gab er bekannt. „Umstellen und dann versenken. Verstanden?“
Der Erste nickte nur und gab ein Räuspern von sich. Er sah dem Marquess nach, dessen Platz zwar auf dem Achterdeck war, der aber jetzt selbst bei dem Ablegemanöver wie ein alter kranker Hund in seine Kammer schlich, um sich von dem Kummer zu erholen.
Erster und Zweiter Offizier sahen sich an. Alle beide nickten.
„Sie haben den Befehl gehört“, sagte der Erste sarkastisch. „Im Rudel angreifen, umstellen und dann versenken. Lassen Sie also noch zwölf Masten an Deck stellen und das nötige Tuch aufpacken. Oder bitten Sie den Windgott darum, daß wir platt vor dem Wind laufen können, und dieser Seewolf kreuzen muß. Wie sollen wir den denn jemals mit diesen alten Krücken einholen? Der läuft doch zehnmal schneller. Im übrigen beglückwünsche ich Sie zu Ihrer im nächsten Monat anstehenden Beförderung zum Ersten Offizier, Mister Hall.“
„Davon weiß ich noch gar nichts“, sagte Hall erstaunt. „Woher haben Sie diese Kenntnis?“
„Weil ich, sobald wir wieder in London sind, mich auf ein anderes Schiff versetzen lassen werde, und dann rücken Sie an meine Stelle. Ich habe keine Lust mehr, unter dem Kommando eines Narren zu fahren.“
„Gilt Ihre Sympathie etwa dem Seewolf?“ fragte Hall.
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