Der Kerl erschien wieder auf dem Vorplatz und zerrte eine junge Frau hinter sich her. Er hatte sie an den Haaren gepackt. Sie sträubte sich, aber sie mußte ihm folgen. Der Schmerz am Kopf war zu stark. Der Kerl schob den Querbalken wieder herum. Seinen Griff in die Haare hatte er nicht gelockert.
Jetzt zog er die Frau vom Vorbau und an den Schuppen entlang zu den Büschen am Ostrand der Bucht. Er fluchte und lachte und grunzte.
„Wartet hier!“ zischte Hasard und glitt diagonal den Hügel hinunter, ein huschender Schatten hinter Büschen und Strauchwerk, lautlos, geschmeidig und so tödlich wie ein jagender Tiger.
Die Kerle im Innenhof rissen weiter ihre Witze und soffen aus den Flaschen. Ein paar besprengten auch das Spießschwein mit dem Schnaps. An schräggestellten eisernen Halterungen im Innenhof brannten Fackeln und warfen flackernde Lichter über die Kerle. Ihre Gesichter waren Teufelsfratzen nicht unähnlich.
Der Kerl rutschte mit seinem Opfer einen Dünenhang hinunter und lachte sich halbtot. Unten stieß er die Frau in den Sand und riß ihr das Tuch von den Hüften. Er stand breitbeinig über ihr und stierte auf sie hinunter, und jetzt grunzte er wieder, ein gieriges männliches Tier, ein „macho“, wie es die Spanier nannten.
Da sprang ihn von vorn ein Schatten an, und er prallte rücklings in den Sand. Er sah noch ein steinernes, hartes Gesicht mit eisigen Augen über sich, dann starb er einen schnellen Tod. Das Messer spürte er kaum. Es traf mitten in sein Herz.
Hasard drehte sich rasch um, wechselte das Messer und hob die rechte Hand.
„Igna!“ sagte er nur und deutete nach Norden. „Igna!“
Sie schaute zu ihm hoch, und die Angst verlor sich aus ihren Augen. Er half ihr auf und reichte ihr das Tuch. Sie band es um ihre Hüften, hob den Kopf und blickte ihn wieder an.
Hasard zeigte ihr die fünf Finger der linken und zwei Finger der rechten Hand, drehte sich etwas und wies zu der Blockhütte, von der nur der Giebel zu sehen war. Und wieder richtete er, einzeln hintereinander, die sieben Finger auf.
Da begriff sie und nickte.
Hasard atmete auf. Die Kerle hatten also die acht entführten Frauen in der Blockhütte untergebracht. Wer wollte, konnte sich ihrer bedienen – Freiwild, das man benutzte, wie es einem paßte. Daß man sie in die Hütte eingeschlossen hatte, außerhalb des Kastells, war ein Fehler – und für ihre Befreier ein Glück, das es jetzt zu packen galt, bevor die Kerle merkten, was geschehen war.
Aber sie hatten doch noch Zeit. Wenn der Kerl nicht zu ihnen zurückkehrte, würden sie denken, er triebe es sehr lange oder lege zwischendurch Schlafpausen ein.
Hasard reichte der jungen Frau die Hand, nickte ihr lächelnd zu und deutete mit der anderen Hand hügelwärts. Sie stiegen zwischen dem Buschwerk auf und schlichen geduckt zu Gary Andrews, Don Juan und Batuti zurück.
Alle drei Männer lächelten die junge Frau an und begrüßten sie mit einem Neigen des Kopfes.
„Jetzt sag bloß nichts Verkehrtes“, raunte Hasard Don Juan zu.
Don Juan blitzte Hasard an und rappelte ein paar Worte. Da leuchteten ihre Augen auf. Vielleicht hatte sie doch noch etwas Angst gehabt – oder Mißtrauen.
„Was hast du gesagt?“ fragte Hasard.
„Wir bringen euch zu Igna zurück. Die anderen sind doch auch in der Blockhütte, nicht wahr?“
„So ist es. Aber wo die Fronarbeiter stecken, weiß ich nicht, die ich am liebsten auch gleich befreien würde. Dann könnten wir noch in der Nacht das Kastell zusammenschießen. Die Kerle sind dann sturzbetrunken. Mit Wachposten nehmen sie es auch nicht sehr genau. Sie fühlen sich mächtig sicher in ihrem Bau.“
„Das wird ihnen schon noch vergehen“, sagte Don Juan. Er spähte zum Innenhof. „Jetzt fressen sie erst mal.“
„Zeit für uns, die sieben anderen Frauen zu holen“, sagte Hasard. „Gary, bleibst du bitte bei der Lady?“
„Aye, Sir.“
Die drei Männer huschten davon.
Nur fünf Minuten später schlichen sie sich von hinten an den Rückseiten der Schuppen und anderen Blockhäuser vorbei an die Gefangenenhütte. Es wurde noch leichter, als Hasard gedacht hatte. Sie brauchten nicht über den Vorplatz einzudringen, der vom Innenhof her einzusehen war. Die Hütte hatte an der Hinterwand ein verschalktes Fenster, abgesichert mit einem Querbalken wie bei der Tür.
„Bestens!“ flüsterte Hasard und hebelte den Balken herum.
Der Laden war nach außen herausnehmbar, dahinter gähnte ein dunkles Quadrat.
„Du bist dran, Juan“, sagte Hasard leise.
Don Juan trat an das Fenster, dessen Unterkante in Höhe seiner Schultern lag, flüsterte „Psst!“ und sagte seinen Satz.
Drinnen wurde aufgeregt gewispert, ein langhaariger Kopf erschien im Fenster.
Don Juan winkte und hielt der jungen Frau beide Hände entgegen. Die Frau zögerte einen kurzen Moment, dann nickte sie entschlossen, flüsterte etwas zurück in die Hütte, stemmte sich hoch und ließ sich von den drei Männern nach draußen helfen.
Es klappte reibungslos, eine nach der anderen schlüpfte durchs Fenster hinaus in die Freiheit. Sie konnten schon wieder lächeln, obwohl sie zerkratzt und zerschunden waren – Spuren dessen, was sie bereits hatten ertragen müssen, von verrohten weißen Männern, die eine Schande für das ferne Land im Westen waren, das man die Alte Welt nannte.
Von dieser Alten Welt war bisher nichts Gutes in die andere Welt gekommen, auch wenn Männer in langen dunklen Gewändern Kreuze vor sich hertrugen und davon kündeten, man solle seinen Nächsten lieben.
Hasard verschalkte das Fenster wieder. Sie zogen sich auf demselben Weg zurück, über den sie hergeschlichen waren, und Batuti verwischte als letzter die Spuren. Hasard sonderte sich weit hinten ab, eilte zu dem toten Mann, lud ihn sich auf die Schulter und brachte ihn weiter ostwärts an ein Kliff, das steil aus der See ragte. Ihr übergab er den Schänder.
Auch er verwischte seine Spuren, bis er wieder bei den Kameraden und den Frauen war.
„Ich schlage vor, Gary und Juan bringen die Ladys jetzt zu den Schaluppen“, sagte er. „Batuti und ich bleiben noch, um weiter zu beobachten. Einverstanden?“
„Du denkst an die anderen Gefangenen?“ fragte Don Juan.
„Ja. Vielleicht ergibt sich eine Chance.“
„Sie sind im Kastell eingeschlossen, offenbar in einem Kellergewölbe“, sagte Don Juan. „Ich habe versucht, die Ladys zu befragen. Mehr wissen sie nicht. Sie sind zu kurz hier.“
„Schon zu lange“, sagte Hasard grimmig. „Macht euch auf die Socken.“
„Und wenn bei euch etwas schiefgeht?“
„Dann betet für uns ein Vaterunser“, knurrte Hasard. „Mann, ich werde nervös. Das hat alles zu gut geklappt, jetzt laß uns hier nicht lange herumpalavern.“
„Paßt auf euch auf“, sagte Don Juan. Und dann zogen sie ab.
„Wenn der mal redet, dann redet er“, murmelte Hasard und spähte zum Innenhof.
Da konnte es einem schlecht werden. Sie fraßen wie die Schweine, und sie grunzten auch dazu, zwischendurch wurde gerülpst, dann war wieder das Schmatzen zu hören. Das Fett tropfte ihnen in die verwilderten Bärte und von dort in die schmutzigen Hemden. Und sie knurrten sich an, wenn einer dem anderen ein besonders schönes Stück vor der Nase wegsäbelte, was der andere selbst hatte haben wollen. Mit dem Schnaps spülten sie nach, und sie soffen unheimliche Mengen.
„Hast du irgendwo einen Posten gesehen?“ fragte Hasard.
Batuti schüttelte den Kopf. „Sie sind ziemlich sorglos – können sie auch sein, wenn man an die paar Soldaten in Davao denkt. Das ist doch der nächste spanische Posten im Umkreis von etwa hundertfünfzig Meilen. Und da sind nur ganze zwei Schaluppen stationiert.“
„Hm, wundert mich, daß sie Davao noch nicht ausgehoben haben“, meinte Hasard.
Читать дальше