Beim Abstieg zum Ufer strauchelte Bill. Er fiel hin und überschlug sich, krümmte sich aber so geistesgegenwärtig, daß ihm nichts geschah. Mit einem Satz war er wieder auf den Beinen und eilte weiter. Dan war ihm um einige Schritte voraus, aber er holte ihn wieder ein, als sie auf dem schmalen Streifen Sandstrand anlangten.
Sie packten die kleine Jolle an ihren Dollborden, zerrten sie aus dem Gestrüpp, schoben sie ins Wasser, verstauten ihr Gepäck und sprangen hinein. Dann pullten sie, so schnell sie konnten, zur „Isabella“.
Dort war alles klar zum Ankeraufgehen. Der Wikinger wartete auch nur auf Hasards Zeichen. Er saß drüben, auf dem Achterdeck von „Eiliger Drache“, auf seinem „Sesselchen“ und hatte sein „Messerchen“, ein gewaltiges Schwert, gründlich gewetzt.
Dan und Bill enterten an der Jakobsleiter auf. Die Jolle wurde in aller Eile hochgehievt und binnenbords geholt.
„Einen schönen guten Morgen wünsche ich euch“, sagte Dan. „Die Lady ist also da – und wir können uns auf einen heißen Tag gefaßt machen.“
„Laß die Sprüche“, erwiderte der Seewolf. „Sag mir lieber, ob die beiden Galeonen, die sie gekapert hat, den Beschreibungen von Jean und Siri-Tong entsprechen.“
„Aufs Haar“, bestätigte Dan. „Sie sind beide über dreihundert Tonnen groß und – den Stückpforten nach zu urteilen – bestens armiert. Genug Munition haben sie bestimmt auch an Bord, die Spanier haben Cartegena ja sicher mit hervorragend ausgerüsteten Schiffen verlassen, um El Triunfo in Schutt und Asche zu feuern.“
„Wir wissen nur nicht, wer diese beiden Schiffe befehligt“, sagte Bill. „Aber das ist wohl unerheblich. Für uns sind es Fremde.“
„Ja, und wir dürfen auf die Siedler von El Triunfo keine Rücksicht nehmen“, sagte Hasard. „Sie haben sich auf die Seite der Queen geschlagen und sind unsere Feinde. Wir werden fair kämpfen, aber es gibt keine Unterschiede, alle Gegner gehören der gleichen gefährlichen Sorte an. Wir haben gut hundertzwanzig Kanonen gegen uns, allein das ist ausschlaggebend.“
„Sicher ist, daß die Queen inzwischen die ‚Vengeur‘ entdeckt hat“, sagte Ben Brighton. „Wenn sie sich so verhält, wie wir annehmen, brauchen wir nicht mehr lange zu warten.“
„Alle Mann auf Gefechts- und Manöverstation!“ rief der Seewolf. „Ferris, dein Platz ist an der Höllenflaschenabschußkanone! Shane, Batuti – haltet euch mit Pfeil und Bogen bereit!“
„Aye, Sir!“ schrien die Männer.
„Thorfin!“ rief der Seewolf zum Schwarzen Segler hinüber. „Auf mein Zeichen ankerauf gehen und den Feind angreifen!“
„Verstanden!“ brüllte der Wikinger. „Dann laß ihn mal heran, den Feind! Odins Feuerhauch wird ihre Decks aufheizen und sie das Tanzen lehren!“
Grimmig hockte er auf seinem Thron und ließ den Blick prüfend über die Decks seines Viermasters wandern. Jeder Handgriff im Gefecht mußte sitzen, es durfte keine Verzögerungen beim Nachladen der Geschütze geben.
Er war sich darüber im klaren, daß die Black Queen ein harter Brocken sein würde, schwer abzuwehren und noch schwerer zu schlagen. Das hatte er ja selbst bereits erfahren. Er hatte sie zur Genüge kennengelernt, diese schwarze Hexe und Walküre, wie er sie nannte, und er wußte, daß es der größte Fehler war, sie zu unterschätzen.
Ähnliche Überlegungen stellte auch Hasard an, während sie auf das Auftauchen der „Le Vengeur III.“ warteten. Das Gefecht gegen einen starken Verband der Spanier hätte nicht schlimmer sein können. Gegner wie Mardengo, Duvalier oder Arvidson, die er auf der Reise nach Florida und zum Mississippi hatte bekämpfen müssen, verblaßten vor der Erscheinung der Black Queen.
Und Caligula? Nun, er war noch wilder und blutrünstiger als seinerzeit Caligu. Wer ihnen und der Meute von Galgenstricken und Schnapphähnen, die sie um sich geschart hatten, in die Hände fiel, starb unter entsetzlichen Leiden. Arkana und die Schlangenkriegerinnen waren der Queen nur wie durch ein Wunder entkommen, und auch Jean Ribault und Siri-Tong hatten höllisches Glück gehabt.
Aber die Narben auf Ribaults Rücken zeugten noch von der Behandlung, der Caligula ihn unterzogen hatte. Nie würde der Franzose diese Schmach vergessen, und seine Rache hatte erst begonnen. Er würde nicht eher ruhen, bis sie gemeinsam der Black Queen das blutige Handwerk gelegt hatten.
Die See dünte flach mit langgezogenen Wellen, der Wind wehte frisch aus Osten und trieb weiße Wolken über Gran Cayman hinweg. Sie standen wie zufällige Tupfer am blauen Himmel und verliehen der Szene einen Anflug von Heiterkeit. Alles in allem wirkte der Tag ruhig und beschaulich – ein Hohn der Natur. Denn das Unheil nahm seinen Lauf und ließ sich nicht mehr aufhalten.
Die Black Queen hatte nur kurz mit Caligula beratschlagt. Sie waren sich einig: Sie wollten einen direkten Vorstoß vornehmen und die „Le Vengeur III.“ angreifen. Mit vier Schiffen, die stark armiert und noch besser bemannt waren, waren sie für alle Eventualitäten gerüstet. Daß das Ganze eine Falle sein konnte, vermutete die Queen schon jetzt.
„Die ‚Vengeur‘!“ Caligula hatte das Wort bereits mehrmals wie einen Fluch ausgestoßen. „Ribault, Siri-Tong und Rivero! Wie haben die Hunde es geschafft, so schnell wieder aus El Triunfo abzuhauen? Das geht nicht mit rechten Dingen zu!“
„Sie sind vor uns ausgelaufen“, sagte die Queen. Ihr Gesicht war angespannt, aber sie war eisern darum bemüht, die Ruhe zu bewahren. „Wir hätten uns nach ihrem Schiff umsehen sollen, nachdem wir wußten, daß Ribault und Rivero in der Siedlung waren. Aber im Wirbel der Ereignisse ist es dann unterblieben. Ein Fehler von uns, Caligula.“
„Der Teufel soll diese Hunde holen! Es ist mir immer noch nicht klar, wie Ribault Rivero befreien und es geschehen konnte, daß diese dreckigen Säcke uns nach El Triunfo folgten!“
Sie blickte durch das Spektiv voraus. Die Insel rückte näher, und mit ihr die „Le Vengeur III.“, die scheinbar verlassen im Wasser lag und an ihrer Ankertrosse schwojte.
„Die Antwort darauf ist Rivero selbst“, sagte die Queen. „Streng deinen Geist an, Caligula. Er wußte über alles Bescheid, über den geplanten Angriff auf die Siedlung und den Auftrag der Spanier, alle Bewohner zu töten.“
„Rivero hat sich also mit Ribault und der Hure Siri-Tong verbündet?“
„Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel.“
Caligula spuckte aus. „Verrecken soll er, dieser närrische Bastard. Ich werde ihn mir vor die Klinge holen – und diesmal entwischt er uns nicht.“
„Dann überlasse ich ihn also dir? Und ich nehme mir Ribault vor?“
„Der gehört auch mir!“ stieß der schwarze Riese zornig hervor. „Und auch die Rote Korsarin ist mein! Ich zerhacke sie mit meinem Säbel!“
„Dann bleibt für mich kaum noch jemand übrig“, murmelte die Queen. „Hoffentlich verläuft der Kampf wirklich so, wie du ihn dir vorstellst.“
Daß es zum Gefecht kam, schien unverrückbar festzustehen. Die „Le Vengeur III.“ rührte sich nicht vom Fleck. Kein Mann schien sich an Bord zu befinden.
Die Black Queen grinste hart. Ein alter Trick, dachte sie. Man entert, und aus allen Schotten springen die Kerle hervor. Aber für wie dumm hältst du mich, Ribault? Und du, Siri-Tong? Bildest du dir ein, ich falle darauf herein?
„Klarschiff zum Gefecht!“ rief sie.
Die Geschütze waren geladen, die Stückführer und Ladenummern standen bereit, Munition war auf die Kanonendecks gemannt worden, der Sand war ausgestreut. Jetzt öffneten sich die Stückpforten, und die Männer rannten die Geschütze aus.
Der Ruf der Queen gellte zur „Aguila“, zur „Buena Estrella“ und zur „Vascongadas“, und auch dort bewegten sich rumpelnd die Kanonen. Drohend blickten die Mündungen aus den Stückpforten, auch die Drehbassen auf den Backs und Achterdecks der Galeonen wurden auf den Feind gerichtet.
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