Der Verband fuhr einen Kreuzschlag nach Nordosten und rückte nun fast auf Schußweite an den Gegner heran. Da geschah es: Plötzlich wurde es an Bord der „Le Vengeur III.“ höchst lebendig.
Barba, der häßliche Riese, schien hinter dem Ruderrad der „Le Vengeur III.“ emporzuwachsen. Er grinste und blickte zu Jean Ribault, Siri-Tong, Mister Jenkins und Carlos Rivero, die ebenfalls auf ihren Posten waren. Es konnte losgehen – der Köder hatte funktioniert, der Feind segelte auf.
Fred Finley, der Mann im Großmars, hatte nur ein Zischen ausgestoßen, das vereinbarte Zeichen. Sofort waren die Männer, die sich hinter den Geschützen, im Vor- und Achterkastell verborgen hatten, auf das Hauptdeck gestürzt, und schon wurde der Buganker gelichtet. Wie Affen kletterten ein paar Mann in den Wanten hoch, und auch die Segel lösten sich bereits aus dem Gei.
Im Nu war die Galeone segelbereit und ging auf Kurs Nordosten an den Wind.
Jean Ribault warf einen Blick zum Gegner.
„Die ‚Caribian Queen‘ ist fast auf Schußweite heran“, sagte er. „Gleich läßt die Queen ihre Kanonen sprechen.“
„Ich glaube nicht, daß sie Munition vergeudet“, sagte Siri-Tong. „Erst wenn sie sicher ist, daß ihr Wild in der Falle sitzt, zieht sie sämtliche Register.“
„Und dann läßt Barba die Kuh fliegen!“ rief der bärtige Riese. „Dann hageln die Brocken! Diesmal darf sie uns nicht entwischen.“
„Und was sagst du zu den über hundertzwanzig Kanonen der Galeonen?“ fragte Mister Jenkins.
„Die benutzt Barba als Zahnstocher!“ stieß der Riese hervor. Aber auch er wußte, daß es gegen ein Aufgebot von vier schweren Galeonen wenig zu lachen gab.
Längst war auch an Bord der „Le Vengeur III.“ alles klar zum Gefecht. Die Stückpforten öffneten sich, die Rohre schoben sich übers offene Wasser hinaus. Gran Cayman glitt an Steuerbord achteraus. Das Schiff lag hoch am Wind, krängte über Backbordbug und lief mit zunehmender Fahrt vor dem Gegner nach Nordosten ab.
Die Queen setzte jetzt alles daran, ihren Feind einzuholen und auf offener See zu stellen, aber die „Le Vengeur III.“ war ein schnelles Schiff, das auch ein Segler wie die „Caribian Queen“ nicht zu übertrumpfen vermochte, weder in der Geschwindigkeit noch in der Manövrierfähigkeit.
„Über Stag gehen!“ rief Jean Ribault. „Kurs Südosten!“
Die Männer arbeiteten an den Schoten und Brassen, das Ruderrad drehte sich unter Barbas schwieligen Fäusten. Sanft ging die Galeone mit dem Bug durch den Wind und fiel wieder ab.
Dann folgte der Ruf von Mister Jenkins: „Kurs Südosten liegt an, Sir!“
Die „Le Vengeur III.“ lief jetzt wieder auf die Insel zu. Ribault, Siri-Tong und Rivero beobachteten das Vorgehen des Gegners. Die Queen zog mit. Wie Riesenschwäne drehten sich ihre Schiffe, das Wendemanöver war beispielhaft.
„Auch die Kapitäne der beiden gekaperten Galeonen verstehen ihr Handwerk“, sagte Jean Ribault. „Sie stehen in nichts hinter der Queen und Jaime Cerrana zurück.“
„Du darfst nicht vergessen, daß die Männer von El Triunfo erfahrene Küstenpiraten sind“, sagte Siri-Tong. „Sie haben immer nur kleine Einmaster gehabt, aber ihre seemännische Erfahrung reicht trotzdem aus.“
„Und auch an der nötigen Verwegenheit mangelt es ihnen nicht“, sagte Carlos Rivero. „Sie werden bis zum Letzten kämpfen.“
„Das glaube ich auch“, sagte die Rote Korsarin. „Sie haben sich der Queen mit Haut und Haaren verschrieben. Ihr Einfluß auf die Kerle ist wie Opium.“
Gran Cayman war nah genug herangerückt, Ribault ließ wieder über Stag gehen. Inzwischen war das östliche Ufer nur noch wenige Meilen entfernt. Der Verband der Black Queen hielt mit, holte aber nicht auf. Ribault und die Rote Korsarin hatten allen Grund zu der Annahme, daß ihnen die Queen auf den Leim ging. Nach der mit dem Seewolf festgelegten Taktik sollte die „Le Vengeur III.“ als Köder den Verband der Gegner anlocken, damit dieser direkt in den Überraschungsangriff der „Isabella“ und des Schwarzen Seglers hineinlief. Anschließend sollte auch die „Le Vengeur III.“ in das Gefecht eingreifen.
Aber nun geschah etwas, mit dem weder Ribault noch die Rote Korsarin zu diesem Zeitpunkt noch gerechnet hatten.
„Achtung!“ stieß Mister Jenkins hervor, der gerade wieder einen Blick nach achtern geworfen hatte. „Da tut sich was!“
Siri-Tong und die Männer fuhren auf dem Achterdeck herum. Plötzlich fielen die vier Galeonen zurück. Sie gaben den Kreuzkurs auf und drehten überraschend bei.
„Hol’s der Henker“, sagte Jean Ribault entgeistert. „Die geien die Segel auf.“
„Sie haben uns durchschaut“, sagte Siri-Tong. „Die Queen gibt uns einen neuen Beweis für ihre Gerissenheit. Jetzt ist guter Rat teuer.“
„Wir segeln weiter“, sagte Ribault. „Wir müssen Hasard und den Wikinger sofort unterrichten. Ich nehme an, daß er trotzdem angreifen will. Aber das Überraschungsmoment haben wir jetzt natürlich verspielt.“
„Wir haben immer noch einen Trumpf, Sir“, erklärte Jenkins. „Die Luvposition.“
„Die reicht nicht aus, um eine Teufelin wie die Queen vernichtend zu schlagen“, entgegnete Ribault.
Keiner sah einen Anlaß, ihm zu widersprechen. Die Bedingungen hatten sich erneut verändert, und die Lage wendete sich zu ungunsten der „Le Vengeur III.“, der „Isabella IX.“ und des Schwarzen Seglers.
Ein höhnisches, überlegenes Lächeln beherrschte die Züge der Black Queen. Sie verfolgte die „Le Vengeur III.“ mit ihrem Blick. Das Schiff segelte mit Kreuzschlägen zur Ostseite von Gran Cayman, seine Umrisse wurden allmählich etwas kleiner, dann tauchte es im Morgennebel unter.
„Dreimal darfst du raten, was an der Ostseite der Insel auf uns wartet“, sagte die Queen. „Galeonen, Caligula, vielleicht sogar die ‚Isabella‘. Irgendwie ist es Ribault und Siri-Tong gelungen, Verstärkung zu holen.“
„Aber wie nur, wie?“
„Das darfst du mich nicht fragen“, erwiderte sie. „Und es spielt jetzt auch keine große Rolle. Wichtig ist nur, daß wir die Tricks der Hurensöhne erkennen und uns darauf einstellen.“
Nur zu genau erinnerte sie sich noch an den Fehler, den die Kapitäne ihrer beiden Schiffe begangen hatten, die Jean Ribault bis zur Windward Passage verfolgt hatten. Sie hatten mit dem Leben dafür bezahlt, und die Schiffe waren versenkt worden. Dieses Mal war die Queen nicht bereit, auch nur ein Schiff ihres Verbandes durch Leichtfertigkeit und übertriebene Impulsivität einzubüßen.
„Wir bleiben hier in Warteposition liegen“, sagte sie. „Mal sehen, was Ribault unternimmt. Verdrücken kann er sich nicht, dazu ist er zu stolz. Vielleicht wartet er die Dunkelheit ab, aber bis dahin ist noch viel Zeit. Wir können der Entwicklung gelassen entgegensehen.“
Caligula schwieg. Innerlich bereitete er sich auf das Gefecht vor. Er wollte sich Ribault vor die Klinge holen, er wollte ein Duell. Nicht nur, um der Queen zu imponieren – er hegte seinen persönlichen Haß gegen den Franzosen, und die endgültige Abrechnung stand noch bevor. Was auf Gran Cayman geschehen war, hatte er noch nicht vergessen. Ribault hatte sich an ihm gerächt, aber er würde es ihm heimzahlen.
Ganz anderen Gedanken hing Emile Boussac nach, der auf die Back der „Caribian Queen“ geentert war. Sein kühnster Traum war nicht in Erfüllung gegangen. Nicht das Schiff der fünfzig Mädchen hatte vor Gran Cayman vor Anker gelegen, sondern die Galeone dieses verdammten Jean Ribault, dem er in El Triunfo dummerweise das Messer zugesteckt hatte.
Emile beschloß, seinen Freund Willem aufzusuchen. Er berichtete ihm, was in der Zwischenzeit vorgefallen war, und Willem sah todtraurig zu ihm auf.
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