Der Koch lachte hämisch. „Hast du die Hosen schon voll? Warte, bis dir die Kugeln und die Schiffstrümmer um die Ohren fliegen. So heiß ging es bestimmt nicht her, als dir deine Kneipe über dem Kopf zusammenbrach.“
Emile war elend zumute. Er war kein Held, aber ein bißchen zäher als Willem war er doch, jedenfalls bildete er sich das ein. Willem, dessen war er sicher, würde seinen heroischen Entschluß, auf dem Achterdeck zu bleiben, noch bereuen.
Die „Le Vengeur III.“ hatte die „Isabella IX.“ und den Schwarzen Segler erreicht und drehte mit aufgegeiten Segeln auf Rufweite bei.
„Die Queen scheint uns durchschaut zu haben!“ rief Jean Ribault. „Sie denkt nicht daran, uns weiter zu verfolgen! Sie liegt mit ihrem Verband zwei Meilen nördlich querab der Todesbucht und wartet ab!“
„So ein Mist“, sagte der Seewolf. „Auf diese Weise packen wir sie also nicht.“
„Das habe ich mir schon gedacht“, sagte der alte O’Flynn.
„Warum hast du uns dann nicht gewarnt?“ fragte Big Old Shane drohend. Er lag fast ständig mit dem Alten im Streit, vor allem wegen dessen Aberglaubens.
„Ihr hättet ja sowieso nicht auf mich gehört“, erwiderte er störrisch.
Während sich der Disput zwischen ihnen entwickelte, faßte der Seewolf rasch seinen Entschluß. Er mußte erkennen, daß sein Plan nicht geklappt hatte. Die Queen war raffinierter, als er gedacht hatte, sie ging ihm nicht auf den Leim.
„Ruhe!“ rief Hasard, und jedes Gespräch verstummte. „Angriff ist die beste Verteidigung! Wenn wir die Queen noch stellen wollen, ist das unsere einzige Möglichkeit!“
„Dann verfahren wir nach dem Motto!“ brüllte Thorfin Njal von Bord des Schwarzen Seglers. „Auf was warten wir noch? Ich habe mein Messerchen gewetzt, aber wenn wir noch länger hier herumdümpeln, fängt es an zu rosten!“
„Jean, Siri-Tong, seid auch ihr einverstanden?“ rief der Seewolf.
„Ja!“ tönte es zweistimmig zurück.
„Den Anker lichten!“ schrie Hasard. „Wir gehen auf Kurs Norden, fallen nach drei Meilen ab und segeln vor dem Wind auf den Gegner zu!“
„Alle Mann auf Posten!“ brüllte Carberry. „Wird’s bald, ihr Kakerlaken? Bindet euch die Hosenbeine zu und zurrt die Ohren fest, damit sie euch nicht abfallen! Mister Davies, soll ich dir dein dämliches Grinsen aus dem Gesicht wischen? Bewegt euch, ihr Rübenschweine, hopp, hopp, keine Müdigkeit vorschützen! Ihr beiden – bringt die Hündin weg!“ Damit waren die Zwillinge gemeint, die auch sofort Plymmie in die Kombüse führten und einsperrten. „Sir John, du Nebelkrähe, verzieh dich!“ brüllte Carberry, und auch der Aracanga zog es vor, im Achterdeck Deckung zu suchen.
Es wurde ernst. Das Versteckspiel war vorbei, die Karten wurden offen auf den Tisch gelegt. Deswegen brauchten die Männer an Bord der drei Schiffe auch nicht mehr zu schweigen. Die Queen und deren Spießgesellen konnten das Gebrüll ohnehin nicht hören – der Wind trug es ins Innere der Insel.
Die Queen sah ihren Feind erst, als die „Le Vengeur III.“, die „Isabella IX.“ und der Schwarze Segler an der Nordostseite von Gran Cayman aus dem Morgendunst hervorstießen und Kurs auf ihre vier Galeonen nahmen.
Rasch schrumpfte der Abstand zwischen den beiden Parteien zusammen. Die Reichweite der Kanonen war jetzt fast gewährleistet, gut eine Meile lag zwischen den vier Galeonen und den drei Schiffen des Seewolfs. Aber kein Schuß fiel. Eine Nervenprobe begann – wer würde als erster feuern?
Hasard hatte den strikten Befehl gegeben, ohne sein Zeichen nicht das Feuer zu eröffnen. Daran hielten sich die Männer. Sie kauerten an ihren Geschützen und spähten aus zusammengekniffenen Augen zum Gegner, aber noch entzündeten sie nicht die Enden der Lunten in der Glut der bereitstehenden Kupferbecken.
Ferris Tucker stand an seiner Höllenflaschenabschußkanone, Big Old Shane und Batuti hielten sich mit ihren Langbögen aus englischer Eibe bereit. Sie schickten sich an, in den Großmars und Vormars der „Isabella“ aufzuentern, aber auch dazu warteten sie den Befehl des Seewolfes ab.
Thorfin Njal thronte wie Odin höchstpersönlich auf seinem Achterdecksstuhl und rührte sich nicht. Seine Miene war wie versteinert, kein Muskel zuckte in seinem Gesicht. Gespannt blickten seine Männer voraus, und auch auf dem Schwarzen Segler waren die Kanonen feuerbereit und glomm die Holzkohlenglut in den Metallbecken.
Die „Le Vengeur III.“ segelte am weitesten nach Norden versetzt. Noch hielten die drei Schiffe – die „Isabella“ lag in der Mitte, „Eiliger Drache“ segelte am dichtesten unter Land – auf Parallelkurs auf den Feind zu, aber das sollte sich rasch ändern. Platt lagen sie vor dem Wind, prall waren die Segel gebläht, aber plötzlich, ohne ein vom Gegner erkennbares Zeichen, luvten die „Le Vengeur“ und der Schwarze Segler leicht an, so daß der Dreierverband auseinanderfächerte.
Nun war es doch die Black Queen, die als erste die Nerven verlor. Sie ließ die Segel setzen. Jaime Cerrana und die Kapitäne an Bord der „Vascongadas“ und der „Buena Estrella“ folgten ihrem Beispiel, die Galeonen gingen auf Kurs.
Vom Bug der „Caribian Queen“ löste sich ein Schuß – eine Drehbasse war gezündet worden. Der Schuß raste hoch und senkte sich bogenförmig auf das Wasser, er lag vor dem Bug der „Isabella IX.“. Eine Wasserfontäne stieg auf, bildete eine Schaumkrone und fiel rauschend wieder in sich zusammen. Das war der Auftakt zum Gefecht.
„Anluven!“ schrie die Black Queen. „Kurs Norden! Eine volle Breitseite abgeben!“
Die Rauchwolke, die von der vorderen Drehbasse aufgestiegen war, verpuffte, mit fliegenden Fingern lud der Geschützführer nach. An den Steuerbordkanonen hockten die Piraten bereit zum Schuß. Das Schiff legte sich an den Wind und krängte nach Backbord, eine unsichtbare Macht schien sich gegen die Bordwand zu stemmen. In engem Bogen holte das Schiff herum, und die Mündungen der Kanonen richteten sich auf die „Isabella“, die ihren Kurs nicht geändert hatte und tollkühn auf den Gegner zuhielt.
Willem Tomdijk fuhr sich mit der Hand an den Hemdkragen. Ihm war plötzlich sehr heiß, und er schwitzte am ganzen Körper. Welcher Teufel hatte ihn geritten, als er sich dazu entschlossen hatte, an Deck zu bleiben? Warum floh er nicht?
Er war versucht, das Achterdeck zu räumen, aber irgend etwas hielt ihn fest. Er war unfähig, sich zu rühren. Und dann war es auch schon zu spät, noch etwas zu unternehmen. Das Gefecht begann.
„Feuer!“ schrie die Queen.
Die Geschützführer der Steuerbordseite senkten ihre glühenden Luntenstöcke auf die Bodenstücke der Kanonen. Es zischte und funkte, dann lösten sich die Kugeln mit urweltlichem Donner aus den Rohren. Das ganze Schiff erbebte unter dem Krachen und Grollen, die Kanonen rumpelten auf den Hartholzrädern ihrer Lafetten zurück. Dröhnend raste die Breitseite auf die „Isabella“ zu.
Der Seewolf hielt hartnäckig den Kurs. Die „Isabella“ wandte der „Caribian Queen“ ihre Bugpartie zu und bot eine relativ geringe Angriffsfläche. Wie auf Kommando lagen die Männer bäuchlings auf den Planken – keine Sekunde zu spät, denn die Kugeln waren heran.
Vier, fünf Stück flogen vorbei, an Backbord und an Steuerbord, doch der Rest der Ladung lag im Ziel. Es krachte, prasselte, knackte und barst, und etwas schien von unten her die Galion aufzuschlitzen. Der Bugspriet ruckte hoch, die Blinden flatterten an ihren Rahen, Hämmer schienen gegen die vordere Querwand der Back zu schlagen. Trümmer wirbelten durch die Luft und landeten auf dem Hauptdeck und dem Quarterdeck, so heftig war der Aufprall.
Al Conroy und Smoky rollten auf der Back bis zur achteren Balustrade, rappelten sich fluchend wieder auf und stürzten zurück zu den Drehbassen. Sie waren unverletzt. Auf dem Hauptdeck rieb sich Bob Grey den Hinterkopf, er war von einem Plankenteil getroffen worden. Aber außer einer Beule hatte auch er nichts abbekommen.
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