„Es bleibt bei unserer Vereinbarung“, sagte er. „Wer die Schiffe der Black Queen als erster sieht, gibt ein Zeichen, bei Dunkelheit mit der Öllampe, bei Tageslicht mit einer Spiegelscherbe.“
„Ich hoffe, daß sie nicht allzulange auf sich warten läßt“, sagte Dan grimmig. „Ich bin nämlich schon gespannt auf ihre neuen Schiffe. Die Siedler von El Triunfo werden sich noch wundern. Sie werden es bereuen, daß sie sich der Bande angeschlossen haben – bei dem heißen Empfang, den wir ihnen bereiten.“
„Nicht zu sehr auf die Pauke hauen, Mister O’Flynn“, sagte Carberry. „Und das Wetter nicht vor dem Sturm loben. Die Queen ist keine blutige Anfängerin, sondern eine höllisch gefährliche Gegnerin, vergiß das nicht.“
„Aber sie ahnt nicht, daß wir hier auf der Lauer liegen“, sagte Dan. „Ich mache mir keine Illusionen. Ich weiß nur, welchen Trumpf wir in den Händen halten.“
„Was ist, wenn sie ohne Bordlaternen segelt?“ fragte Bill.
„Sobald die Schiffe nah genug an der Insel sind, entdecke ich sie auch bei Nacht, keine Angst“, sagte Dan. „Es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn die Queen Gran Cayman ungesehen erreicht.“
„An Bescheidenheit ist bei dir kein Mangel“, sagte der Profos mit wildem Grinsen. „Dann mal los, Mister O’Flynn. Auf was wartest du noch? Ich bin froh, wenn du endlich von Bord bist.“
Dan und Bill enterten in die kleine Jolle ab. Sie waren ausreichend mit Waffen, Proviant und Kiekern versorgt. Eigentlich konnte nichts schiefgehen, was ihren Auftrag betraf. Sie lösten die Bootsleine, legten ab und griffen zu den Riemen. Dann pullten sie kräftig an und steuerten auf das Ufer zu.
Die Brandung hob die Jolle hoch und ließ sie wieder fallen, im Gischt schnellte sie auf den Strand zu. Der Rumpf wurde in seiner Bewegung gebremst, ein Ruck noch, und das Boot saß fest. Sie stiegen aus, zogen es ganz an Land und versteckten es unter Gestrüpp, das nah am Ufer wucherte. Mit wenigen Griffen hatten sie sich ihrer Ausrüstungsgegenstände bemächtigt und begannen den Marsch ins Innere der Insel.
Bald hatten sie die Felsen erreicht und stiegen in ihnen auf. Auf einer winzigen, plateauähnlichen Plattform verharrten sie und drehten sich um. Steil fiel das Gestein unter ihnen ab, die See dehnte sich tintenschwarz bis ins Unendliche aus.
„Kannst du die ‚Isabella‘ und den Schwarzen Segler noch sehen?“ fragte Dan.
„Nein“, erwiderte Bill. „Ich habe ungefähr den Ankerplatz im Kopf, aber ich kann ihre Umrisse nicht sehen, wirklich nicht.“
„Ich erkenne sie noch“, sagte Dan. „Das soll keine Überheblichkeit sein, nur meine ich, daß wir wirklich alle Chancen haben, die vier Schiffe der Queen zu entdecken, wenn sie sich im Dunkeln anpirschen.“
„Sicher. Du hast eben doch die schärfsten Augen.“
Sie setzten ihren Weg fort, er führte sie immer höher in das Felsenland der Insel hinauf. Dan orientierte sich mühelos, es war, als kenne er jeden Yard, jeden Stein, jede Baumwurzel, über die man stolpern konnte. Bald hatten sie das „Auge der Götter“ erreicht. Wie eine Platte aus geschliffenem schwarzem Marmor lag der See im Dunkeln da. In seiner Tiefe schien die Antwort auf viele ungelöste Geheimnisse zu schlummern.
„Hier möchte ich nicht begraben sein“, sagte Bill. „Ein Fluch scheint auf dem See zu lasten.“
„Mit solchen Äußerungen könntest du schon mit meinem Alten konkurrieren“, sagte Dan und grinste. „Aber du hast recht. Der Platz lädt nicht zum Hierbleiben ein. Hörst du das?“
Unterschwellig war ein Rumoren und Vibrieren zu vernehmen, das man weder auf See noch in den tiefergelegenen Bereichen der Insel wahrnehmen konnte. Der Vulkan schien vor sich hin zu murmeln, aber man brauchte nur an seine beängstigenden Aktivitäten zu denken, und schon lief einem ein kalter Schauer über den Rücken.
„Hoffentlich bricht der Vulkan nicht ausgerechnet jetzt aus“, sagte Bill.
Dan schüttelte den Kopf. „Er grummelt nur vor sich hin, keine Sorge. Er bereitet uns heute nacht bestimmt keine Schwierigkeiten. Das Schlimmste, was uns passieren könnte, wäre, daß das Wasser aus dem Auge der Götter abläuft und wir alle Schätze bergen, die auf seinem Grund liegen.“
Bill mußte lachen. Sie kletterten zu dem Aussichtspunkt hinauf, den der Seewolf bei Tageslicht durch den Kieker ausgewählt hatte, und richteten sich häuslich ein. Die Musketen legten sie auf den Boden, die Fernrohre fanden in einer Gesteinsmulde ihren Platz. Nachdem sie den Sitz ihrer Pistolen, Entermesser und Messer in den Gurten gesichert hatten, ließen Dan und Bill sich nieder und befaßten sich mit ihrer Wegzehrung: Schiffszwieback, Hartwurst, Käse und Wein in zwei mit Korken gut verschlossenen Flaschen.
„Übrigens Flaschen“, sagte Dan, als er die ersten Bissen mit Wein heruntergespült hatte. „Ferris hat wieder einige Sätze Hölleneier gebastelt. Die Queen wird sich wundern, wenn wir sie auf die Decks ihrer Kähne feuern.“
„Aber sie hat auch aus den vergangenen Gefechten gelernt“, sagte Bill. „Wir sollten wirklich nicht zu zuversichtlich, sondern besser auf einen harten Kampf gefaßt sein.“
Dan war ernst geworden. „Das tue ich auch, Bill. Du kennst doch meine Flachserei. Ich ziehe den Teufel gern am Schwanz, aber ich weiß genau, was uns bevorsteht. Die Queen und Caligula gehören zu den gefährlichsten Feinden, die wir je bekämpft haben.“ Er stellte seine Flasche weg und stieß Bill mit dem Ellbogen an. „Siehst du, dort unten?“
„Die Todesbucht, nicht wahr?“
„Ja. Ich kann auch die ‚Vengeur‘ sehen. Teufel, Jean und Siri-Tong hätten sich bestimmt nicht ausgemalt, daß sie als Köder herhalten müssen.“
„Die Frage ist, ob die Black Queen anbeißt“, sagte Bill. „Wenn alles so klappt, wie wir uns das vorstellen, läuft sie genau in die Falle. Und wir haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Hast du dich jemals gefragt, wie es geschehen kann, daß eine Frau so grausam ist?“
„Nein. Es gibt Frauen, die sich schlimmer aufführen als der wildeste und skrupelloseste Kerl.“
„Was würdest du tun, wenn sie dir im Duell gegenüberstehen sollte?“
„Ich würde sie töten“, erwiderte Dan, ohne zu überlegen. „Sie kennt keine Gnade. Ich bin der Ansicht, daß man in diesem Fall gleiches mit gleichem vergelten sollte.“
Während er sprach, hielt er angestrengt nach allen Seiten Ausschau. Nichts konnte seiner Aufmerksamkeit entgehen. Aber noch näherte sich kein Schiff Gran Cayman.
Die Windverhältnisse waren im Heraufziehen des neuen Tages unverändert. Ein zufriedenes Lächeln glitt über die Züge der Black Queen. In aller Frühe stand sie wieder auf dem Achterdeck der „Caribian Queen“, warf einen prüfenden Blick auf den Stand der Segel und überprüfte den Kurs und die Position.
Die Entfernung nach Gran Cayman war auf fünfzig Meilen zusammengeschrumpft. Wenn der Wind nicht einschlief, konnte der Verband die Insel noch am Vormittag erreichen. Sie wandte sich um und warf einen Blick zurück zur „Aguila“, zur „Buena Estrella“ und zur „Vascongadas“. Auch dort schien alles in Ordnung zu sein. Die Schiffe hielten den Kurs und die Geschwindigkeit, es gab keine Verzögerungen.
Caligula enterte das Achterdeck. Die Queen begrüßte ihn mit einem harten Lächeln.
„Was treibt unser Freund Willem?“ fragte sie.
„Schläft.“
„Und Emile?“
„Der schläft in der Kombüse. Er scheint seine neue Aufgabe sehr ernst zu nehmen.“ Caligulas Miene war finster, er betrachtete den Holländer und den Franzosen nach wie vor als Störenfriede an Bord des Schiffes. Am liebsten hätte er sie ins Meer geworfen, aber er hielt sich mit seinen Wutausbrüchen zurück.
Die Queen hatte recht – noch brauchten sie die beiden. Aber was geschah, wenn sie Tortuga erreicht hatten? Vielleicht hatte er dann endlich Gelegenheit, auf seine Weise ein Wörtchen mit Willem Tomdijk und Emile Boussac zu reden.
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