Emile Boussac war ein Schlafplatz im Logis zugewiesen worden. Die meiste Zeit hielt er sich aber in der Kombüse auf, jammerte dem schmierigen Koch, einem Kreolen, die Ohren voll und kritisierte außerdem ununterbrochen den „abscheulichen Fraß“, den der Kerl seinen Kumpanen unter der hochtrabenden Bezeichnung Essen vorzusetzen pflegte.
Caligula stand auf dem Achterdeck neben der Black Queen. Sein Gesicht war etwas verzerrt. Der Koch hatte sich bereits zweimal beschwert und angedroht, Emile samt den Kombüsenabfällen in Lee der See zu übergeben, wenn der nicht mit seinem Gequengel aufhöre.
„Mit diesem Dicken und seinem Freund, dem Wirt, haben wir uns einen Stein an den Hals gehängt“, brummte Caligula. „Mit denen gibt’s noch Ärger!“
Die Queen ließ das Spektiv sinken, mit dem sie die Kimm nach feindlichen Schiffen abgesucht hatte. Ihr Blick richtete sich auf Caligula. „Wir brauchen sie noch, vergiß das nicht. Ihr Einfluß auf die Siedler ist groß, und ich will jetzt keinen Ärger, schon gar keine Meuterei, die ich blutig niederschlagen müßte. Ich brauche jeden Mann, Caligula.“
„Deswegen können wir dem fetten Sack doch nicht die Füße lecken“, sagte der schwarze Riese aufgebracht.
„Wir brauchen ihm nur ein paar seiner lächerlichen Wünsche zu erfüllen“, sagte sie. „Damit hat sich der Fall. Sei nicht so starrsinnig.“
„Es war nicht richtig, ihm die Kapitänskammer zu überlassen.“
„Er wird deswegen nicht versuchen, das Kommando an sich zu reißen“, sagte sie spöttisch. „Man könnte fast denken, du bist eifersüchtig auf ihn. Aber dazu besteht kein Grund. Willem ist harmlos. Wenn er mich anfaßt, kriegt er was auf die Finger.“
„Und wo schläfst du heute nacht?“
Sie lachte. „Bei dir natürlich. Und was den kleinen Emile betrifft – ich halte es für das beste, ihn dem Koch als Gehilfen zur Seite zu stellen. Vielleicht wird der Fraß dann wirklich besser.“
Damit gab sich Caligula vorerst zufrieden. Er enterte auf das Hauptdeck ab, schritt zum Vorschiff und betrat die Kombüse. Schon als er das Schott öffnete, schlug ihm ein Gemisch von üblen Gerüchen entgegen. Der Koch rührte in seinen Kesseln und fluchte vor sich hin, Emile Boussac stimmte gerade ein neues Lamento über das „Geschäft seines Lebens“ an, das ihm durch die Lappen gegangen wäre.
„Fünf zig Mädchen, Mann“, stöhnte er. „Weißt du überhaupt, was das bedeutet?“
„Verdammt, ich weiß es!“ stieß der Koch hervor. „Fünfzig knackige Täubchen, die jeder von uns gern verspeist hätte! Aber was soll’s! Sie sind nun mal futsch.“
„Vielleicht taucht das Schiff doch noch auf.“
„Wenn es irgendwo in dieser Gegend segelt, kriegen unsere Toppgasten das schon spitz.“
„Oh, was für ein Pechvogel bin ich doch“, begann Emile wieder zu jammern. „Daß mir das auch passieren mußte. Einen Tag länger in El Triunfo, und das Schiff wäre vielleicht doch noch eingetroffen.“
„Hör auf“, sagte Caligula barsch. Sein Erscheinen wurde von den beiden erst jetzt bemerkt. Kombüsendünste umfingen Caligulas mächtige Gestalt, er wirkte wie ein rätselhaftes, unheimliches Wesen der Finsternis. „Du bist ab sofort von der Black Queen zum Kombüsendienst eingeteilt, Emile Boussac. Das ist die richtige Aufgabe für dich.“
„O ja, verdammt, ich werde diesem Haien schon beibringen, wie man eine gute Bouillabaisse zubereitet.“
Der Koch trat drohend auf ihn zu. „Du kannst mir alles an den Kopf werfen und mich ein Arschloch nennen, aber sag so was nie wieder.“
„Was denn?“ fragte Emile erstaunt.
„Laie und Bujabess. Das kann ich nicht leiden.“
„Mein Gott“, sagte Emile. „Wo bin ich nur gelandet? Was hab ich verbrochen, daß ich so bestraft werde? Caligula, gibt es auf diesem Schiff überhaupt jemanden, der lesen und schreiben kann?“
„Die Queen“, erwiderte Caligula, dann drehte er sich wieder um und stapfte ins Freie. Die Gerüche der Kombüse waren unerträglich. Man sollte einen größeren Rauchabzug einbauen, dachte er, ich werde der Queen das vorschlagen.
Daß es an Proviant und Trinkwasser schon bald mangeln würde, hatte der Koch schon in El Triunfo gemeldet. Nur wenig Eßbares hatte man in der Siedlung noch bergen und an Bord der Schiffe bringen können. Außer zwei kleinen Fässern Bier und einem Faß Wein, das sie aus der „Mouche Espagnole“, gerettet hatten, gab es kaum noch etwas zu trinken.
Darum steuerte die Queen die Cayman-Inseln an. Es war nur ein kurzer Aufenthalt vorgesehen, der der Versorgung der Schiffe mit frischem Proviant dienen sollte. Auf Gran Cayman, dessen konnten die Piraten sicher sein, waren sie keiner möglichen Bedrohung der Spanier aus Cartagena mehr ausgesetzt.
Caligula überquerte das Hauptdeck und wollte aufs Achterdeck zurückkehren, da eilte einer der Kerle, ein untersetzter, krummbeiniger Schwarzer, auf ihn zu und sagte: „Der Dicke will dich sprechen.“
„Mich? Warum?“
„Irgendwas scheint nicht zu stimmen. Ich habe aber nicht ganz kapiert, was er meint.“
Caligula hätte die Sache lieber ignoriert, aber er ließ seinen Impulsen freien Lauf. Wütend stürmte er ins Achterdeck, rannte den Mittelgang entlang und stieß die Tür zum Kapitänssalon auf. Er blieb wie vom Donner gerührt stehen und mußte den Anblick, der sich seinen Augen bot, erst einmal verarbeiten.
Willem Tomdijk hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes ausgebreitet. Er stand nicht, er saß nicht, er lag auf einem Durcheinander von Kissen, Tüchern und Decken, die er der Koje und den Schapps entnommen und mitten auf dem Boden der Kammer ausgebreitet hatte. Sein mächtiger Rücken wurde von einer Art Keil angehoben, den er mit seinen stämmigen Händen geformt hatte.
Er hielt einen halbvollen Humpen Bier in der Rechten, hatte die Beine weit von sich gestreckt und sah Caligula aus kleinen, listigen Augen an. Schmutziggrau waren diese Augen, sie hatten die Farbe des Nordseewassers daheim in Holland, wo Willem geboren war.
„Mir ist schlecht“, sagte Willem mit ziemlich hoher, gequetschter Stimme. „Läßt sich das nicht ändern?“
Caligula hatte sich halbwegs von seinem Schock erholt und grinste hämisch. „Ich könnte ein paar Kerle abkommandieren und damit beauftragen, der See gut zuzureden. Dann hört der Seegang vielleicht auf.“
„Ja, ja, unser Caligula. Immer zu Scherzen aufgelegt, was?“
„Hat der Herr sonst noch Wünsche?“ fragte Caligula gepreßt.
Er hätte es lieber nicht tun sollen, denn Willem antwortete: „Natürlich. Die Bedienung funktioniert schlecht. Das Essen ist miserabel, ich habe es zurückgehen lassen. Keiner putzt mir die Stiefel. Hier herrscht Unordnung, aber keiner räumt auf. Ich brauche frische Wäsche. Ich will mich rasieren.“
Caligulas Unterkiefer war ein Stück nach unten gesackt, er konnte nichts dagegen tun.
„In El Triunfo hatte ich Diener und Leibwächter“, sagte Willem quengelig. „Wenn mir doch wenigstens Marty geblieben wäre. Auf den konnte ich mich verlassen. Ein Ruf genügte, ein Pfiff, ein Händeklatschen, und Marty war zur Stelle.“
„Die schielende Ratte, der ich gern den Hals umgedreht hätte“, sagte Caligula.
„Wie bitte?“ Willems Stimme wurde schrill. „Was ist denn das für eine Ausdrucksweise? Euch Kerlen muß man erst noch das richtige Benehmen beibringen! Wo ist die Queen? Ich verlange sie zu sprechen.“
„Die Queen ist auf dem Achterdeck. Sie ist unabkömmlich“, erwiderte Caligula grimmig. „Sie ist nämlich der Kapitän auf diesem Schiff.“
„Wo ist Emile? Ich verlange, daß er sein Quartier in der Nachbarkammer bezieht!“
„Die Nachbarkammer gehört mir!“ fuhr Caligula den Dicken an. „Ich schlafe dort – und mit mir die Queen! Emile ist im übrigen beschäftigt! Er hilft dem Koch, damit das Essen besser wird!“
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