Die Suchtrupps der Spanier hatten noch einige Opfer gefunden, aber nach den Schätzungen der Queen mußten es immer noch mehr als hundert Männer sein, die sich rund um die zusammengeschossene, niedergebrannte Siedlung versteckt hielten. Auf diese wertvollen Besatzungsmitglieder für ihre Schiffe wollte sie nicht verzichten. Noch blieb sie.
Eine Nacht kann ich noch in El Triunfo verbringen – wenn es sein muß, dachte sie.
Als der neue Morgen anbrach, erreichte die „Le Vengeur III.“ die Insel Cayos Cajones. Der Wind wehte jetzt aus Osten, aber die Galeone lag inzwischen auf Kurs Nordosten und brauchte nicht zu kreuzen – was der Fall gewesen wäre, wenn sich die Windrichtung nicht geändert hätte.
Mit prall gefüllten Segeln lief das Schiff die Insel direkt an. Kommandorufe wehten über die Decks, Barba stand am Ruder und erfüllte souverän seine Aufgabe. Jean Ribault, Siri-Tong, Doc Delon, Marty und Jenkins befanden sich mit ihm auf dem Achterdeck und richteten Kieker auf die näherrückende Insel. Eine geschwungene Bucht öffnete sich an der Südküste und bot sich als Ankerplatz an.
Wenig später ließ Jean Ribault die Marssegel ins Gei hängen, und die „Le Vengeur“ lief mit verringerter Fahrt in die Bucht. Sie ging über Stag und drehte bei, und nun wurden auch das Großsegel, die Fock, das Besansegel und die Blinde aufgegeit. Das Ausloten der Wassertiefe verlief positiv, die Bucht war ein natürlicher, ideal gelegener Hafen.
„Die Insel scheint wirklich ein kleines Paradies zu sein“, sagte Doc Delon. „Marty, du bist ein Teufelskerl. Woher kennst du dich hier aus?“
„Das Schiff, mit dem ich nach El Triunfo segelte, lag hier eine Nacht und einen halben Tag vor Anker“, erwiderte das Kerlchen. „Aber das ist eine Geschichte, die ich dir ausführlich ein andermal erzähle. Es wundert mich, daß wir uns nie darüber unterhalten haben.“
„Mich auch“, sagte der Arzt. „Aber so ist das Leben. Man lebt in einem Nest Haus an Haus beieinander und glaubt, alles über die Vergangenheit der Kameraden zu wissen – und dann gibt es doch Überraschungen wie diese.“
Hinkle stand auf dem Hauptdeck bei Roger Lutz, Eric Winlow und Dave Trooper. Nach einem ausgiebigen Blick durch das Spektiv zum Ufer sagte er: „Ich kann es kaum erwarten, alles auszukundschaften.“
„Überlaß das lieber uns, du Witzbold“, sagte Winlow und fuhr sich mit der Hand über die Glatze. „Du stolperst ja doch gleich dem ersten Kannibalen in die Arme, der aus dem Dickicht springt, und bist der erste, der verspeist wird.“
„Du meinst – hier gibt es Menschenfresser? Aber Marty hat doch von friedlichen, freundlichen Eingeborenen gesprochen!“ stieß der schwerhörige Mann entsetzt hervor.
„Ich habe schon Haie kotzen sehen“, sagte der Koch der „Le Vengeur“ trocken.
„Und ich habe schon so manches paradiesische Eiland betreten, das sich später als Hölle erwiesen hat“, sagte Lutz nicht sonderlich laut.
„Wie bitte?“ rief Hinkle.
„Auf jeder Insel lauern verborgene Gefahren“, sagte Jean Ribault, der das Achterdeck verlassen hatte und zu ihnen trat. Eben rauschte der Anker aus und klatschte ins Wasser. „Männer, fiert das Beiboot ab! Wir sehen uns dieses hübsche Fleckchen Erde genau an, ehe wir unsere Freunde ihrem Schicksal überlassen! Ich will wissen, ob es hier Spanier, Piraten oder mordlustige Wilde gibt!“
Rasch stellte er die Crew für das Beiboot zusammen. Sie bestand aus Barba, Pierre Puchan, Grand Couteau, Tom Coogan, Hinkle, Doc Delon, Marty und ihm. Acht Männer also – sie gingen von Bord und pullten mit der Jolle zum seichten, sandigen Ufer. Siri-Tong übernahm das Kommando an Bord der „Le Vengeur“. Das Schiff war gefechtsklar. Vom Hauptdeck, vom Achterdeck und von der Back aus wurde das Landemanöver der Bootscrew genau verfolgt.
Das Boot taumelte durch die Brandung und lief auf den Strand. Ribault sprang als erster an Land. Die Hand am Säbel, sah er sich nach allen Seiten um. Noch war alles ruhig, aus dem Dickicht hinter den vom Wind gebogenen Palmen ertönten lediglich das Kreischen von Vögeln und das Zetern von Äffchen. Aber die Stille konnte trügerisch sein und täuschen. Die Erfahrung lehrte, daß man dem Frieden nie trauen durfte.
Ribault wartete, bis die Männer ausgestiegen waren, dann teilte er Tom Coogan als Bootswache ein. Zu siebt begaben sich die Männer zu den Palmen, schritten unter ihren mächtigen Wipfeln hindurch und strebten auf das Dickicht zu, das so grün und undurchdringlich war wie das von El Triunfo.
„Achtung“, sagte Ribault plötzlich. „Da regt sich was.“ Er gab seinen Begleitern einen Wink. Sie griffen zu den Waffen und nahmen eine abwehrbereite, abwartende Haltung ein.
Es raschelte im Unterholz. Barba senkte unwillkürlich den Kopf, als gelte es, einen Gegner wie ein Stier anzugreifen. Hinkle stand rechts neben ihm, seine Augen weiteten sich, aber viel vermochte er nicht zu erkennen. Marty drohten die Augen aus den Höhlen zu fallen, er schielte noch stärker als gewöhnlich.
Drei Gestalten lösten sich aus dem Dickicht, ein braunhäutiger Mann und zwei barbusige Mädchen derselben Hautfarbe. Sie lächelten, deuteten etwas an, das wie eine Verbeugung wirkte, und legten dann etwas vor den Füßen der Männer ab, das in Palmenblätter eingewickelt war. Erstaunt nahm Ribault und sein Trupp zur Kenntnis, daß es sich um Kokosnüsse und Datteln handelte.
Der Eingeborene sagte etwas, das niemand verstand. Ribault erwiderte sein Lächeln und hob die Hand zum Zeichen der Freundschaft.
„Doc, es ist mir unverständlich, warum diese Menschen uns Fremden gegenüber so unbekümmert und gastfreundlich sind“, sagte er. „Es kann nur einen Grund dafür geben. Weder die Spanier noch irgendwelche Piraten sind hier jemals gelandet, um zu rauben und zu brandschatzen.“
„Wahrscheinlich gibt es auch nichts zu holen außer Kokosnüssen und Früchten“, sagte der Arzt nüchtern. „Aber diese drei scheinen ihrem Aussehen nach eher einer Südsee-Rasse anzugehören. Sie wirken wie Polynesier.“
„Das stimmt. Vielleicht erfahrt ihr, wie sie hierher geraten sind.“ Ribault folgte dem einladenden Nicken und den Gesten der Mädchen, Barba und Marty schlossen sich ihm spontan an. Die Mädchen kicherten, als sie Marty aus der Nähe betrachteten, aber sie ließen es sich gefallen, daß er sich bei ihnen unterhakte.
„Ich will den Deubel nicht ans Schott malen“, sagte Barba. „Aber das Ganze könnte auch eine raffinierte Falle sein.“
„Natürlich“, sagte Ribault und schenkte dem Eingeborenen ein freundliches Grinsen. „Ihr da hinten, haltet euch ein wenig zurück und paßt auf, was um uns herum vorgeht. Daß mir ja keiner schläft. Ein Mädchenhintern ist noch lange kein Grund, unvorsichtig zu werden.“
„Er wäre ein Grund“, sagte Grand Couteau, der die Mädchen nicht aus den Augen ließ. „Aber irgendwie habe ich mir vorgenommen, nicht auf dieser Insel zu sterben.“
Sie verschwanden im Urwald – und an Bord der „Le Vengeur III.“ sahen die Zurückgebliebenen sich untereinander an.
„Das halt ich im Kopf nicht aus“, stöhnte Roger Lutz. „Wäre ich doch bloß auch an Land gegangen. Diese Mädchen warten nur darauf, mich ein bißchen zu verwöhnen.“
„Du kannst noch hinterherschwimmen“, sagte Sven Nyberg grinsend. „Aber paß auf. Es sind Haie in der Bucht.“
„Ich hatte mal eine Freundin in Le Havre, die hatte genau die gleiche Figur wie eins von den Mädchen“, schwärmte Lutz. Er war nicht mehr zu halten. Und dann begann er, ihre äußerlichen Vorzüge zu beschreiben.
„Das genügt“, unterbrach ihn die Rote Korsarin. Sie war an die Querbalustrade des Achterdecks getreten und stützte sich mit beiden Händen auf. „Wie eine Frau aussieht und beschaffen ist, weiß jeder, Roger, du Schwerenöter. Haltet lieber die Augen offen. Das Ganze gefällt mir nicht. Wenn unsere Männer nicht gleich zurück sind, geben wir einen Signalschuß ab.“
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