Willem Tomdijk hatte Einzelteile seiner Brauerei gefunden und verfiel in einen dumpfen Zustand des Brütens und der Depression. Er hob nur den Kopf, wenn wieder ehemalige Siedler den Hof betraten.
Dann murmelte er: „Marty? Nein, Marty lebt nicht mehr. Der Teufel soll ihn holen.“ Hätte er gewußt, daß sich das Kerlchen blühender Gesundheit erfreute, hätte er ihn wahrscheinlich auf noch schlimmere Weise verwünscht.
Emile Boussac hatte immer noch ein schlechtes Gewissen wegen des Messers, das er Jean Ribault zugesteckt hatte, damit dieser sich befreien konnte. Würde das noch bekannt werden? Er hoffte inständig, daß es sein Geheimnis blieb. Willem wußte es nicht, die Queen und Caligula ahnten nichts davon. Wenn Marty nicht, erschien, blieb der Fall ungeklärt und keiner sprach mehr davon.
Seufzend stocherte Emile mit dem Säbel in den morschen Trümmern herum, die nach wie vor schwelten. Welche Hoffnung gab es noch? Keine. Das Geschäft war zerstört, er würde keinen Silberling mehr verdienen, geschweige denn eine Goldmünze. Alles aus, dachte er, ich bin eben ein Pechvogel.
Die Black Queen hingegen verfiel fast in einen Zustand der Euphorie. An Bord der Schiffe war noch nicht zum zweitenmal geglast worden, seit sie an Land gegangen war, und schon hatte sie fast dreißig Männer zusammen. Mit gönnerhafter, zufriedener, versöhnungswilliger Miene trat sie zwischen Willem und Emile, die mit trübseligen Gesichtern dahockten.
„Kopf hoch, ihr beiden“, sagte sie. „Es wird alles wieder gut. Wir sind die Sieger.“
„Den Eindruck habe ich nicht“, brummte Willem. „Du weißt vielleicht nicht, was die Brauereieinrichtung wert war. Und der Schatz im Kellergewölbe? Darüber will ich lieber gar nicht reden. Das Gewölbe ist eingestürzt, keiner kann mehr an die Truhen und Kisten ’ran.“
„Es würde Wochen dauern, den Keller freizuräumen“, sagte Emile.
Die Queen schüttelte den Kopf und schnalzte leicht mit der Zunge. „Das lohnt sich jetzt für uns nicht. Wir müssen zusehen, daß wir so schnell wie möglich wieder verschwinden, ehe die Spanier aus Cartagena zurückkehren und nachsehen, wo ihre drei Galeonen bleiben. Später können wir immer noch mal hier aufkreuzen und den Schatz ausgraben. Es war ja auch kein sehr großer Schatz, nicht wahr, Willem?“
„Das Wertvollste war meine Brauerei“, sagte der Dicke weinerlich.
Sie grinste. „Beruhige dich endlich. Ich verspreche dir hiermit hoch und heilig, daß du auf Tortuga eine schöne neue Brauerei einrichten wirst.“
Er schaute zu ihr auf. „Ist das – wirklich wahr?“
„Ich habe mein Wort noch nie gebrochen.“
„Die schönste Brauerei in der – ganzen Karibik?“
„Die allerschönste, Willem.“ Die Black Queen hatte keine Ahnung, wie viele Bierbrauereien es in der Karibik gab. Sehr viele konnten es nicht sein. Vielleicht war die Hexenküche in der Missionskirche von El Triunfo sogar die einzige ihrer Art in der Neuen Welt gewesen. In diesen Breiten wurde gewöhnlich Wein getrunken – oder Rum. Aber das vorzügliche Bier des Holländers würde sich bestimmt auch auf Tortuga und Hispaniola durchsetzen.
Sie nahm noch einen kräftigen Schluck davon. Alles in allem betrachtet, sah die Welt nun schon wieder ganz anders aus. Der Seewolf, Ribault, die Rote Korsarin und der Nordmann mit dem lächerlichen Helm, kurz, die ganze Schlangen-Insel-Bande würde sich noch wundern. Bald würde sie sie heimsuchen – und diesmal einen überragenden Sieg erringen.
Emile Boussac sah den dicken Willem an, der vor Rührung feuchte Augen gekriegt hatte.
„Und ich?“ sagte er. „Hilft mir keiner?“
Die Queen blickte ihn verwundert an. In Gedanken hatte sie sich schon als die Herrscherin der Schlangen-Insel gesehen. „Was willst du denn, Emile? Natürlich wirst du auf Tortuga eine Schenke einrichten, obwohl es dort schon eine gibt. Oder aber du läßt dich auf Hispaniola nieder.“
„Nein, nein, mein Problem ist ganz anderer Art“, sagte er unglücklich. „Ich habe es noch keinem erzählt, es ist mein großes Geheimnis.“ Er legte eine Hand aufs Herz. „Ich weiß nicht, ob ich es dir verraten soll.“
Ihre Miene verfinsterte sich. „Ist es eine gute oder eine schlechte Nachricht, Emile? Nimm dich in acht. Was hast du ausgefressen?“
Er biß sich auf die Unterlippe. War er im Begriff, sich zu verplappern? Ahnte sie etwas in bezug auf Ribault und das Messer? Hastig suchte er nach Worten.
„Das ist so“, entgegnete er. „Schon vor sechs Monaten bin ich mit einem französischen Händler einig geworden. Ich habe einen Kontrakt mit ihm abgeschlossen, wonach dieser mir – äh, fünfzig erstklassige Huren aus Paris zu liefern hat.“
Caligula horchte auf, und auch die Kerle, die gerade bei ihm standen und alles mitgehört hatten, fuhren mit verblüfften Mienen herum.
„Weiber?“ fragte Caligula. „Wirklich?“
„Straßendirnen“, erwiderte Emile bereitwillig. „Sie werden in Paris auf offener Straße entführt und an Bord von Schiffen verschleppt. Ich habe mich genau informiert, und man hat mir auch so manches bestätigt, was ich über das Leben in Paris vernommen habe.“ Fast war er wieder drauf und dran, Ribault und Rivero zu erwähnen, konnte sich aber rechtzeitig zügeln. „Ich weiß, ich weiß, das ist ein skrupelloses Unternehmen, aber was kann ich daran ändern?“
„Uns ist es doch egal, ob in Paris Huren verschwinden“, sagte die Queen mit spöttischem Lächeln. „Verrate mir lieber etwas Wichtigeres, Emile. Ist der Transport schon unterwegs hierher?“
„Er ist überfällig. Eigentlich müßte er jeden Tag eintreffen.“
„Huren“, sagte Caligula genüßlich. „Nicht schlecht. Wir könnten sie uns schnappen und auf Hispaniola verkaufen. Wie wäre das?“
„Ausgezeichnet“, erwiderte die Queen trocken. „Aber leider läßt sich das nicht in die Tat umsetzen – es sei denn, das Schiff mit den Mädchen trifft morgen früh hier ein.“
„Wenn es doch so wäre“, sagte Emile. „Ich wäre heilfroh, auch wenn ich kein Lokal mehr habe. Ich hätte alles so schön eingerichtet. Die Hinterzimmer wollte ich für die Mädchen in Séparées verwandeln. Verstehst du, Queen?“
„Natürlich. Du würdest auch deine eigene Schwester als Hure verkaufen, Emile.“
Die Piraten lachten grölend.
Emiles Gesicht verwandelte sich wieder in eine Maske der Traurigkeit. „Aber jetzt – was soll jetzt werden? El Triunfo und die ‚Mouche Espagnole‘ existieren nicht mehr.“
„Jeder Kapitän, der sich in der Karibik ein bißchen auskennt, kann zwei und zwei zusammenzählen“, sagte die Queen. „Beim Anblick der zerstörten Siedlung wird ein solcher Kapitän also schleunigst wieder in See gehen und sich auf den Inseln ein wenig umhören. Dann findet er sehr schnell heraus, wo die Leute von El Triunfo abgeblieben sind.“
Emile hob den Kopf. „Glaubst du wirklich? Ich meine, daß mein Kapitän so scharfsinnig vorgehen wird?“
„Ich hoffe doch, daß er kein Dummkopf ist.“
„Bestimmt nicht“, sagte Emile und grinste breit.
„Na also, du siehst, es renkt sich alles wieder ein“, sagte die Black Queen. „Sei kein Narr, hab Hoffnung in die Zukunft. Du kriegst deine Mädchen und eröffnest auf Tortuga oder auf Hispaniola ein großes Etablissement.“
„Einen Bums, den wir als erste ausprobieren!“ rief einer der Kerle, und die anderen stimmten ihm begeistert zu.
Die Gesichter von Willem Tomdijk und Emile Boussac waren jetzt verzückt. Eifrig halfen sie mit, die eintreffenden Siedler zu registrieren. Die Queen sah ihnen zu und lächelte triumphierend. Ja, ihr Einfluß auf diese Kerle war wirklich groß. Das mußte sie auch in Zukunft ausnutzen.
Die Nacht verging schnell. Am Morgen hatten sich über hundertfünfzig Engländer und Franzosen an der Sammelstelle eingefunden. Aber es befanden sich immer noch Versprengte im Dschungel, und deshalb harrte die Black Queen weiterhin an der Hafenbucht von El Triunfo aus. Zweihundert Männer waren von den Spaniern erschossen worden, knapp dreihundert hatten in den Urwald flüchten können.
Читать дальше