Ribault und die Rote Korsarin hatten jetzt endlich wieder Zeit, mögliche weitere Schritte gegen die Black Queen zu erörtern. Sie saßen in der Kapitänskammer zusammen und wälzten Pläne.
„Vier Schiffe“, sagte Ribault. „Sie ist jetzt stark, aber sie hat keine Flotte, der wir mit unserem kompletten Verband nicht gewachsen wären.“
„Auf der Überfahrt nach Tortuga und Hispaniola könnte sie sich weitere Schiffe beschaffen, vergiß das nicht“, sagte Siri-Tong. „Sie hat jetzt genug Männer, um für weitere zwei Galeonen oder drei kleinere Schiffe eine Mannschaft zusammenzustellen. Ich habe überschlagmäßig ausgerechnet, wie viele überlebende Siedler sie aus El Triunfo abgeborgen haben könnte.“
„Mehr als hundert“, meinte Ribault.
„Vielleicht sogar über zweihundert“, sagte sie. „Gerade diese Zahl gibt mir zu denken. Es ist der Grundstock für eine Streitmacht, der wir gegebenenfalls doch unterliegen, Jean.“
„Eine Schlacht um die Schlangen-Insel bahnt sich an“, brummte er. „Viele von uns könnten dabei sterben. Wir müssen das abwenden, um jeden Preis. Es steht außer Frage, daß die Siedler diesem Weib so gut wie hörig sind. Man braucht ja nur daran zu denken, wie hingerissen dieser dicke Bürgermeister und sogar Emile Boussac von ihr sind. Dabei hatte ich von Boussac eigentlich einen ganz vernünftigen Eindruck.“
„Jeder Kerl würde sich gern mit ihr befassen“, sagte Siri-Tong verächtlich. „Ihr Anblick ruft wilde Triebe wach. Ich schlage folgendes vor: Wir statten Gran Cayman nur einen kurzen Kontrollbesuch ab und segeln dann gleich weiter zur Schlangen-Insel. Wir holen Hasard und die anderen und nehmen erneut Kurs auf die Küste von Honduras. Mit ein wenig Glück begegnen wir der Queen und ihrem Verband.“
„Du meinst, es ist besser, sich auf See mit ihr zu schlagen?“ Ribault legte beide Hände auf das Pult und überlegte kurz. „Ja“, sagte er dann. „Ich bin ganz deiner Ansicht. Es ist besser, sie von der Schlangen-Insel abzulenken.“
„Ich glaube, der Bund der Korsaren wird diesem Vorschlag zustimmen“, sagte die Rote Korsarin. „Aber natürlich müssen wir diese Entscheidung erst abwarten. Danach sehen wir weiter.“
Sie verließen die Kapitänskammer und begaben sich auf das Achterdeck, nahmen Jenkins’ und Barbas Meldungen über Kurs und Position entgegen und begannen dann, mit den Spektiven die Kimm abzusuchen.
Kein anderes Schiff zeigte sich in der Umgebung. Sie schienen nicht verfolgt zu werden, und es begegnete ihnen auch kein fremder Segler. Gran Cayman rückte allmählich näher. Auch die Toppgasten begannen, nach der Insel Ausschau zu halten.
Kurz vor Anbruch der, Mittagsstunde dieses Tages stieß Pierre Puchan, der als Ausguck in den Vormars aufgeentert war, den entscheidenden Ruf aus: „Insel Backbord voraus! Gran Cayman in Sicht!“
Der Vorsicht halber ließen Jean Ribault und die Rote Korsarin die Kanonen besetzen und rundeten die Insel erst einmal. Wenig später öffnete sich die Todesbucht vor ihren Augen, und da gab es eine Überraschung, mit der keiner von ihnen gerechnet hatte.
In der Todesbucht ankerten die „Isabella, IX.“ und der Schwarze Segler.
Da kannte der Jubel an Bord der „Le Vengeur III.“ keine Grenzen mehr. Es wurde gepfiffen, gelacht und gejohlt und keiner vermochte die vielen „Hurras“ zu zählen.
Von „Eiliger Drache“ dröhnte Thorfin Njals gewaltiger Baß zurück: „Bei Odin und seinen Raben – es tut gut, euch wiederzusehen.“
„Willkommen auf Gran Cayman!“ schrien die Männer der „Isabella“.
Die „Le Vengeur III.“ ging in den Wind, die Segel wurden aufgegeit und anschließend aufgetucht, der Buganker rauschte an seiner Trosse aus. Jean Ribault ließ die Jolle abfieren und setzte mit Siri-Tong, Carlos Rivero, Barba und Mister Jenkins zur „Isabella“ über, wo gleichzeitig die Wikinger-Delegation eintraf: Thorfin Njal, Eike, Arne, Oleg und der Stör.
Nach dem ersten heftigen Begrüßungssturm auf dem Hauptdeck der „Isabella“ ließ der Seewolf eine doppelte Ration Rum austeilen. Der Kutscher und Mac Pellew füllten die Mucks und Becher, die Zwillinge reichten sie herum.
Siri-Tong glaubte, auf den Wangen der beiden Jungen die Spuren von Ohrfeigen zu erkennen und zog verwundert die Augenbrauen hoch. Carberry hatte ein schiefes Grinsen aufgesetzt. Erst später sollte sie erfahren, warum Philip junior und Hasard junior auf der Schlangen-Insel vom Profos höchstpersönlich je eine Ohrfeige und einen Tritt in den Hintern erhalten hatten.
Hasard stand bei Ribault und der Roten Korsarin.
„Wir sind heilfroh, daß ihr unversehrt seid“, sagte er. „Wir haben uns schon einige Sorgen um euch gemacht. Schließlich hat die Black Queen jetzt zwei gut armierte Schiffe.“
„Vier“, sagte Siri-Tong. „Aber darüber berichten wir gleich ausführlich. Was hat euch denn hierher verschlagen?“
„Thorfins Bericht“, erwiderte der Seewolf. „Ich habe auf der Schlangen-Insel den Bund der Korsaren zusammentreten lassen, und wir haben beschlossen, hier auf Gran Cayman ein wenig Blockadedienst zu schieben, um der Queen den Rückzug zu verbauen. Die ‚Tortuga‘ und die ‚Wappen von Kolberg‘ sind zur Bewachung der Schlangen-Insel zurückgeblieben. Ich glaube, so haben wir unsere kleine Streitmacht ganz gut verteilt.“
„Ihr habt also Gran Cayman besetzt“, sagte Ribault. „Ausgezeichnet. Auch eure Berechnung; daß wir über kurz oder lang hier eintreffen müssen, war richtig.“
„Ja“, sagte Thorfin Njal und lachte grollend. „Wir sind ja schließlich nicht auf den Kopf gefallen.“ Bedeutungsvoll klopfte er mit dem Fingerknöchel gegen seinen Kupferhelm. „Und wie ist die Lage nun? Haben wir die Ehre, bald wieder mit der schwarzen Höllenwalküre zusammenzutreffen? Oder müssen wir sie irgendwo suchen?“
„Wir haben El Triunfo vor ihr verlassen“, entgegnete Ribault. „So gesehen, haben wir also einen Vorteil. Aber inzwischen ist es ihr gelungen, zwei hervorragend armierte spanische Kriegs-Galeonen zu kapern. An Besatzungsmitgliedern mangelt es ihr auch nicht – die Siedler von El Triunfo sind bei ihr.“
„Wir sollten von Anfang an berichten, was sich zugetragen hat“, sagte Carlos Rivero.
Hasard, die Männer der „Isabella“, und die fünf Wikinger hatten erst jetzt richtig die Gelegenheit, sich näher mit dem Spanier zu befassen. Ein aufrichtiger, ehrlicher Mann, mutig und geradeheraus – das war der erste Eindruck, den sie von ihm hatten, und er sollte sich durch Riveros beispielhaftes Verhalten nur noch bestätigen.
Reihum gingen die Mucks, der Rum floß, es wurde eifrig erzählt. Mit gespannten Mienen lauschten die Arwenacks und die Wikinger dem Bericht von Ribault, Rivero und der Roten Korsarin. Die Geschehnisse an der Küste von Honduras konnten noch schwerwiegende Folgen für die gesamte Karibik haben, das war ihnen allen auf Anhieb klar.
Galeonen pflügten die nur von einer schwachen Dünung gekräuselte See im Golf von Honduras. Sie segelten auf Kurs Nordosten hoch am Wind und auf Backbordbug liegend in Dwarslinie. Die Führung hatte die „Caribian Queen“ übernommen, es folgten die „Aguila“, die „Buena Estrella“ und die „Vascongadas“. Das Unternehmen El Triunfo war erfolgreich abgeschlossen. Jetzt sollten die Cayman-Inseln angesteuert werden.
Etwas zu voreilig hatte die Black Queen Willem Tomdijk die Benutzung ihrer Kapitänskammer versprochen, als dieser zum erstenmal die „Caribian Queen“ besichtigt hatte. Willem entsann sich selbstverständlich dieses Angebots und hatte den Salon im Achterdeck mit Beschlag belegt, kaum, daß die Schiffe die Hafenbucht von El Triunfo verlassen hatten, und er war nicht bereit, dieses Recht wieder zu räumen.
Sein Kummer war soweit verflogen, er begann sich wieder wohl zu fühlen. Seine Ansprüche stiegen, er erinnerte sich, daß er in El Triunfo Leibwächter und Diener gehabt hatte.
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