Essen! Traurig verzog Willem sein beleidigtes Jungengesicht. Sein Magen knurrte, das Biertrinken half auch nicht dagegen. Und was er eben vernommen hatte, stimmte ihn nicht glücklicher. Die Queen würde bei Caligula schlafen! Er, Willem, ging also leer aus. Dabei hatte er sich die erste Nacht an Bord der „Caribian Queen“ so schön und romantisch vorgestellt.
„Ich will sofort die Queen sprechen!“ schrie er. „Das ist ein Befehl!“
„Von dir nehme ich keine Befehle entgegen, du fette Qualle!“ brüllte Caligula. „Beweg deinen dicken Hintern doch selber, wenn du die Queen sprechen willst! Ich bin nicht dein Lakai! Und sei froh, daß du an Bord sein darfst!“
„Wie bitte?“ Willem versuchte, sich aufzurichten, aber im ersten Anlauf mißlang das Manöver. „Du frecher Kerl, was nimmst du dir heraus? Ich lasse dich auspeitschen!“
„Umgekehrt!“ brüllte der schwarze Riese. „Ich lasse dir den Speck in Fetzen hauen, und anschließend hänge ich dich unter die Galion, damit du das Schwimmen lernst!“
Willem stieß einen pfeifenden Ächzer aus, knallte den Bierhumpen auf die Planken und ruderte wild mit den Armen. Bedrohlich schwankte er hin und her. Sein Gesicht war jetzt hochrot, er wirkte auf beängstigende Weise vom Schlag gefährdet. Wieder versuchte er aufzustehen, plumpste aber auf sein Kissenlager zurück: „Das ist der Gipfel!“ schrie er. „Das lasse ich mir nicht gefallen!“
Schritte näherten sich, die Black Queen erschien hinter Caligulas Rücken.
„Was ist hier los?“ fragte sie. „Habt ihr euch nun doch in der Wolle?“
„Er will einen Diener haben“, sagte Caligula mit drohend verzerrtem Gesicht. „Ich stecke ihm mein Messer zwischen die Rippen, wenn er nicht aufhört.“
„Dieser Kerl hat mich beleidigt!“ schrie Willem und fuchtelte aufgebracht mit den Armen. „Ich verlange, daß er bestraft wird!“
Die Queen trat auf ihn zu. „Beruhige dich, Willem“, sagte sie mit mühsam erzwungener Geduld. „Ich werde deinen Wunsch erfüllen.“ Sie fuhr zu Caligula herum. „Verzieh dich! Hau ab! Hüte dich, den Salon zu betreten! Wir sprechen uns nachher noch!“
Caligula verstand ihr Augenzwinkern und schritt leise fluchend davon. Die Queen beugte sich zu Willem hinunter und sagte leise: „Ich lasse ihn auspeitschen. Und er wird sich in Zukunft zurückhalten. Wenn du etwas haben willst, brauchst du nur zu rufen, ich stelle dir einen Aufklarer zur Verfügung.“
„Und das Essen?“
„Emile kümmert sich jetzt darum.“
„Gut.“ Willem seufzte. Er schien in sich zusammenzusinken, nichts konnte das Rollen seines Bauches aufhalten. „Aber – schläfst du wirklich bei Caligula?“
„Hat er das erzählt? Er lügt.“ Sie lächelte. „Ich schlafe auf dem Achterdeck, wie es sich für einen Kapitän gehört. Aber heute nacht, wenn alle schlafen, besuche ich dich.“
„Darauf freue ich mich schon“, sagte er friedlich, dann griff er wieder zum Humpen.
In dieser Nacht blieb alles ruhig an Bord der „Caribian Queen“. Der Wind wehte weiterhin aus Osten, der Vierer-Verband lief an die fünf Knoten Fahrt. Die „Caribian Queen“ war ein dunkler, drohender Schemen, der seine Schattenwesen anführte, das grinsende Antlitz des Todes schien sich auf den Flaggen zu bewegen, und am Ziel der Schiffe lauerten Mord und Verderben.
Emile Boussac hielt die ganze Nacht über Ausschau nach dem „Schiff seiner Träume“. Vielleicht konnte er die ersehnte Galeone mit den fünfzig französischen Mädchen herbeisehen? Er gab die Hoffnung nicht auf. Irgendwann würde ein Licht in der Nacht erscheinen – es gehörte dem Schiff, dessen Bestimmungsort El Triunfo war.
Die Black Queen begab sich nach der zweiten Wachablösung ins Achterkastell. Sie lauschte an der Tür der Kapitänskammer. Heftiges Schnarchen verriet ihr, daß Willem Tomdijk tief im Reich der Träume versunken war. Vielleicht träumte er von seiner Brauerei.
Sie lächelte und öffnete die Tür der Nachbarkammer. Caligula wartete schon auf sie. Sie trat ein, drückte die Tür hinter sich zu und entledigte sich ihres Lendenschurzes.
„Hast du die neunschwänzige Katze hier?“ fragte sie leise. „Ich muß dich noch auspeitschen, vergiß das nicht.“
Er lachte dunkel und heiser, dann streckte er die Hände nach ihr aus und zog sie zu sich auf die Koje. Manchmal, wenn sie sehr gute Laune hatte, belohnte sie ihn für all das, was er für sie tat. Und in dieser Nacht hatte die Black Queen ausgezeichnete. Laune – wegen ihrer Zukunftspläne.
Sie wäre etwas weniger optimistisch gewesen, wenn sie geahnt hätte, was zu dieser Stunde auf der Insel Gran Cayman vor sich ging. Die Vorkehrungen, die dort getroffen wurden, galten ihr und ihren Kerlen und dem Eintreffen der „Caribian Queen“, der „Aguila“, der „Buena Estrella“ und der „Vascongadas“.
Es hatte einiger Stunden Zeit bedurft, die recht verwickelten Ereignisse, die sich in El Triunfo vor und nach dem Angriff der Spanier zugetragen hatten, detailgetreu zu berichten. Erst beim Dunkelwerden verließen Siri-Tong und die vier Männer der „Le Vengeur III.“ wieder die „Isabella IX.“ und kehrten an Bord ihres Schiffes zurück. Desgleichen enterten auch die Wikinger in ihre Jolle ab und pullten mit kräftigem, energischem Schlag zum Schwarzen Segler.
Der Plan, von Hasard entwickelt, war noch einmal durchgesprochen worden. Jeder wußte, was er zu tun hatte, es brauchten keine Fragen mehr gestellt, keine unnützen Rufe von Schiff zu Schiff gewechselt zu werden. Die Mannschaften waren auf ihren Posten, die Anker der „Isabella“ und des Schwarzen Seglers wurden gelichtet. Die „Vengeur“ blieb in der Bucht liegen. Alle drei Schiffe waren klar zum Gefecht.
Durch das Auftauchen der „Le Vengeur III.“ hatten sich neue Konstellationen ergeben, die Hasard um jeden Preis ausnutzen wollte. Vorher hatte er vorgehabt, mit der „Isabella“ und „Eiliger Drache“ in der Todesbucht auf das Eintreffen der Black Queen zu warten. Jetzt zog er es vor, die Taktik zu ändern.
Lautlos glitten die „Isabella“ und der Schwarze Segler aus der Bucht. Keine Laternen wurden gesetzt, kein Wort durfte gesprochen werden. Von jetzt an bestand stündlich die Möglichkeit, daß die Queen mit ihrem Verband von Galeonen erschien – und die Seewölfe und ihre Verbündeten durften sich durch nichts verraten.
Die Silhouetten der beiden Schiffe verschmolzen mit der Dunkelheit. Nur eine schmale Mondsichel stand am Nachthimmel und spendete kaum Licht. Die „Le Vengeur III.“ schwojte leicht an ihrer Ankertrosse, letzte Vorkehrungen wurden an Bord getroffen. Alle Mann befanden sich an Deck, es herrschte ununterbrochene Gefechtsbereitschaft.
Ein paar Geschütze wurden noch etwas justiert, Sand auf der Kuhl ausgestreut, Kugeln und Pulverfässer als Reserve aus der Munitionskammer an Deck gemannt. Alles verlief in tiefem Schweigen, nur das Plätschern des Seewassers an den Bordwänden und das Knarren im Rigg waren zu vernehmen. Auch auf der Insel war es totenstill, Gran Cayman schien ein Eiland ohne jegliches Leben zu sein.
Die „Isabella“ und der Schwarze Segler segelten am Wind eine Meile nach Norden, dann kreuzten sie gegen den Wind nach Osten auf. Nach knapp einer Stunde hatten sie ihr Ziel erreicht – die Ostseite der Insel. Sie liefen ein Stück nach Süden ab, langten an der von Hasard vorher festgelegten Position an und drehten eine Kabellänge vom Ufer entfernt bei.
Die Segel wurden ins Gei gehängt, die Anker rauschten aus. Auf der „Isabella“ wurde die kleine Jolle ausgeschwenkt und abgefiert. Jeder Handgriff saß, es war ein Routinemanöver, wie die Männer es Hunderte von Malen durchgeführt hatten.
Der Seewolf trat zu Dan O’Flynn und Bill, die sich anschickten, in die Jolle abzuentern.
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