Vor allem mit Willem wollte er abrechnen. Eine groteske Situation wie diese hatte es auf der „Caribian Queen“ noch nie gegeben. Ein dicker Mann, der obendrein eine Memme war, störte das Gleichgewicht. Das konnte nach Caligulas Überzeugung noch böse Folgen haben.
„Ich weiß, was du denkst“, sagte die Queen, die ihn nicht aus den Augen ließ. „Aber laß die Finger von Willem.“
„Unser Schiff ist kein Narrenhaus.“
„Natürlich nicht“, sagte sie scharf. „Aber spar dir deine idiotischen Bemerkungen. Ich weiß genau, was ich tue. Laß lieber die leeren Fässer auf die Kuhl mannen. Ich will auf Gran Cayman nicht mehr Zeit verlieren, als unbedingt erforderlich ist. Wir schaffen die Fässer an Land und füllen sie.“
„Ja. Und wer geht auf die Jagd?“
„Sechs Mann, du führst sie an. Im vertrauten Revier stöbert ihr genug Wild auf, das unseren Bedarf an Frischfleisch deckt. Die ‚Estrella‘ und die ‚Vascongadas‘ sind mit Fleisch auch noch ganz gut eingedeckt, es geht in erster Linie darum, unser Schiff und die ‚Aguila‘ zu versorgen.“
Caligula enterte auf die Kuhl ab. Er ließ alle notwendigen Vorkehrungen treffen, und schon kurze Zeit später waren nicht nur die „Caribian Queen“, sondern auch die drei anderen Galeonen zur Proviant- und Trinkwasserübernahme bereit. Jaime Cerrana und die beiden Männer, die als provisorische Kapitäne auf den spanischen Kriegsseglern eingesetzt worden waren, verständigten sich über ihre Toppgasten mit der Queen. Es wurde mit Flaggen signalisiert.
Die Stunden verstrichen jetzt schneller, die bevorstehende Ankunft auf Gran Cayman beschäftigte die Gedanken der Kerle. Man konnte sich ein wenig die Füße vertreten, die Jagd war eine willkommene Abwechslung. Vielleicht spendierte die Queen auch eine Extraration Rum, wie es in solchen Fällen oft geschah. Vielleicht wurde in der Todesbucht – zur Feier des Sieges in El Triunfo – eine rauschende Orgie mit den Siedlern abgehalten.
Emile Boussac erschien blinzelnd auf der Kuhl und trat ans Schanzkleid. Zeigte sich ein Schiff an der Kimm? Er seufzte. Nein, es gab keine Hoffnung. Er konnte die fünfzig Mädchen in den Wind schreiben. Er würde ihnen nicht begegnen, einen solchen gleichsam unerhörten Zufall gab es nicht. Jemand anderes würde die Mädchen kaufen – ein Gedanke, der ihn fast um den Verstand brachte.
Willem Tomdijk hatte sich schlaftrunken bis zum Achterdecksschott geschleppt. Er öffnete es und sah Emile am Schanzkleid stehen.
„Emile!“ rief er. „Komm sofort her!“
Mit leicht verwundertem Blick begab sich der Franzose zu dem Dicken. Dieser führte ihn in die Kapitänskammer, ließ sich ächzend auf seinem Lager nieder und sagte klagend: „Ich warte ständig auf dich, aber du verkriechst dich im Vordeck. Was ist los? Ist dir eine Laus über die Leber gekrochen? Hast du was gegen mich?“
„Natürlich nicht“, erwiderte Emile. „Aber ich muß immer an mein Schiff und die Mädchen denken. Außerdem habe ich jetzt die verantwortungsvolle Aufgabe, dem Koch, diesem Giftmischer, auf die Finger zu schauen.“
„Das heißt – das Essen wird besser?“
„Heute gibt es eine erlesene Bouillabaisse“, entgegnete Emile stolz.
„Endlich. Ich sterbe vor Hunger. Kannst du mir nicht das Frühstück bringen?“
„Ich sorge dafür, daß du es kriegst“, erwiderte der kleine Franzose ernst. Er erkannte, daß sich der Dicke in einem äußerst kritischen Zustand befand. Da war es nur ratsam, ihm gut zuzureden.
„Dieser Caligula führt was gegen mich im Schilde“, sagte Willem mit ärgerlicher, trotziger Miene. „Am liebsten würde er mir die Kehle durchschneiden, glaube ich. Er versucht, die Queen gegen mich aufzuhetzen. Heute nacht wollte sie mich besuchen, hat es aber nicht getan. Das ist alles seine Schuld.“
„Ich werde ein waches Auge auf ihn haben“, versprach Emile. Dabei fürchtete er Caligula noch mehr als die Pest. Nie würde er sich offen mit ihm anlegen – er war nicht lebensmüde.
Ein Ruf, der aus dem Großmars der „Caribian Queen“ ertönte, lenkte sie ab.
„Gran Cayman voraus!“
Bewegung entstand an Deck, das Trappeln von Schritten war zu vernehmen. Die Kerle stürzten auf die Back und ans Schanzkleid der Kuhl, um selbst vorauszuspähen. Jemand stieß einen Pfiff aus, ein anderer johlte. Bald war die Insel mit dem bloßen Auge zu erkennen, ein öder grauer Klotz, der aus der See aufragte.
„Was hat es mit dieser Insel bloß auf sich?“ fragte Willem seinen Gefährten. „Haben diese Piraten dort Schätze vergraben – oder wollen sie uns aussetzen und verhungern lassen?“
„Dir scheint heute morgen wirklich die Petersilie verhagelt zu sein“, sagte Emile. „Aber dagegen weiß ich ein gutes Mittel. Ich hole das Frühstück und bringe einen Krug Wein mit.“
„Trink lieber ein Bier mit mir“, sagte Willem traurig. „Dann sieht die Welt vielleicht schon wieder anders aus. Merkwürdig, ich habe den Eindruck, es war doch ein Fehler von mir, dieser Umsiedlung zuzustimmen. Vielleicht haben wir uns nichts als Ärger eingehandelt.“
„Du vergißt, daß die Queen uns vor den Spaniern gerettet hat.“
„Und was ist, wenn wir vom Regen in die Traufe geraten?“
„Das will ich nicht hoffen.“ Emile hob wieder den Kopf. Noch einmal war die Stimme des Ausgucks zu vernehmen.
„Schiff in Sicht! Es ankert vor der Todesbucht!“
„Was für ein Schiff?“ rief die Black Queen.
„Ein Dreimaster! Eine Galeone!“
Sofort war ihr Mißtrauen geweckt. „Klarschiff zum Gefecht! Signalisiert den anderen! Wir sehen uns das Schiff genauer an!“
„Eine Galeone“, flüsterte Emile Boussac. „Vielleicht habe ich doch noch Glück. Willem, warte hier auf mich.“
Er stürzte an Deck, ließ sich einen Kieker geben und hielt nach dem fremden Schiff Ausschau. Noch konnte er es im Dunst, der über Gran Cayman schwebte, nicht genau erkennen. Aber es war die Black Queen, die es als erste identifizierte.
Sie stieß einen lästerlichen Fluch aus.
„Das ist die ‚Vengeur‘!“ schrie sie. „Caligula, sofort zu mir!“
Caligula enterte von der Kuhl zum Achterdeck auf. Die Kerle fluchten und wetterten, es herrschte Unruhe. Emile verkroch sich in der Kombüse. In der Kapitänskammer des Achterdecks fuhr sich Willem Tomdijk mit beiden Händen durch das schwammige Gesicht.
„Das gibt ein Unheil!“ flüsterte er. „Ein großes Unheil. O Himmel, steh mir bei.“
Dan O’Flynn und Bill hatten den Verband von vier Schiffen ihrerseits längst entdeckt. Dan warf einen letzten prüfenden Blick durch den Kieker, dann ließ er ihn sinken und gab Bill ein Zeichen.
Bill signalisierte zur „Isabella IX.“ und zum Schwarzen Segler. Die kleine Spiegelscherbe in seiner geöffneten rechten Hand reflektierte die Strahlen der Sonne und schickte sie zu den am Ostufer ankernden Schiffen hinunter. Sofort wurden die Blinkzeichen erwidert. Hasard und Thorfin Njal hatten die Nachricht verstanden.
„Los jetzt“, sagte Dan. „Ab nach unten. Wir dürfen keine Zeit verlieren.“
Sie rafften ihre Mitbringsel zusammen und begannen mit dem Abstieg. Ehe sie sich abwandten, warfen sie beide noch rasch einen Blick in die Tiefe. Das Schauspiel war grandios und bedrückend zugleich: Sieben Schiffe bei und vor Gran Cayman – die „Le Vengeur III.“ vor der Todesbucht, die „Isabella IX.“ und der Schwarze Segler am Ostufer, die Galeonen der Black Queen, die sich von Westen näherten und nun auf Kreuzkurs gingen. Höchstens noch fünf Meilen trennten die vier Dreimaster mit den gelohten Segeln von der Insel – es war höchste Zeit, den Ausguckposten zu räumen und zurück an Bord der „Isabella“ zu gehen.
Wieder führte der Weg am Auge der Götter vorbei. Durch das tiefblaue klare Wasser schien man bis auf den Grund blicken zu können – und doch gab der See nichts von seinen Schätzen preis. Verhalten meldete sich der Vulkan auch an diesem Morgen, sein Grollen klang wie eine Beschwerde über die Störenfriede, die sich anschickten, Gran Cayman anzulaufen. Während der Nacht hatte er geschwiegen, jetzt schien er zu neuem Leben zu erwachen.
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