Der Rest blieb ihm im wahrsten Sinne des Wortes im Hals stecken. Er war etwas näher an den Spanier herangetreten, um ihn besser erkennen zu können. Jetzt sah er die toten Augen, die blicklos in den Abendhimmel gerichtet waren. Er verschluckte sich und begann zu husten.
„Wie furchtbar das alles ist“, sagte Emile Boussac.
„Nimm es nicht so schwer, Willem“, sagte die Queen mit einem spöttischen Seitenblick auf den Dicken. „Er hat deine Worte nicht mehr gehört. Mal sehen, vielleicht finden wir ja noch jemanden, der ein wenig aufmerksamer ist und dir gegenüber mehr Respekt zeigt.“
Die Kerle lachten, dann packten sie den Toten an den Armen und Beinen und schleppten ihn ins Dickicht. Die Black Queen schritt weiter, erreichte die zerstörte Siedlung und blieb zwischen der ehemaligen spanischen Mission und der Kommandantur stehen. Aus schmalen, mißtrauischen Augen hielt sie nach allen Seiten Ausschau, während Caligula und die Kerle damit begannen, die Trümmer nach Überlebenden abzusuchen.
Willem sank auf die Knie und schlug verzweifelt die Hände zusammen.
„Du lieber Gott“, begann er zu jammern. „Das darf nicht wahr sein! Mein schönes Heim! Meine schöne Brauerei! Alles kaputt! Oh, was habe ich nur verbrochen, daß ich so bestraft werde?“
„Fängst du schon wieder an?“ sagte die Queen verächtlich. „Langsam wird mir das zu bunt. Reiß dich zusammen, Mann. Das Jammern nutzt dir nichts.“
Willem hörte überhaupt nicht hin, ebensowenig vernahm er die höhnischen Äußerungen der Piraten. Er war viel zu sehr mit sich, seinem Kummer und seinem unendlichen Selbstmitleid beschäftigt. Auf den Knien rutschte er zwischen den letzten Steinen der Mission herum und rang die Hände.
Emile Boussac klagte theatralisch und mit südländischem Temperament. „Dieses Elend! Was soll aus mir werden? Alle meine Pläne sind zunichte! Ich werde nie mehr lachen, nie mehr glücklich sein! Meine Schenke, meine Räume, mein Wein – alles dahin! Mon Dieu, was für eine Tragödie!“
„Queen“, sagte Caligula. „Soll ich den beiden das Maul stopfen?“
„Laß es sein“, erwiderte sie. „Sie beruhigen sich von selbst. Wegen des Bieres und des Weines tut es mir ja auch leid, was geschehen ist.“
„Und wegen des Schatzes, der im Keller der Mission lag, nicht wahr?“ sagte er leise und lachte.
Eine Kiste hatten sie ja retten können. Aber davon wußten weder Willem noch Emile etwas. Es war ihnen entgangen, wie die Piraten die Kiste mitgenommen und später an Bord der „Caribian Queen“ gehievt hatten.
Die Piraten hatten ihren ersten Rundgang abgeschlossen und kehrten zu ihrer Anführerin zurück.
„Keine Überlebenden“, meldete einer von ihnen nüchtern.
„Trotzdem richten wir einen Sammelplatz ein“, sagte sie unbeirrt und schritt ein Stück weiter.
Zwischen den Trümmerbergen zeichnete sich immerhin noch der Innenhof des ehemaligen Bürgermeister-Wohnsitzes ab. Hier verharrte sie und ließ ihren Blick erneut herumwandern. Dann deutete sie auf eine der reglosen Gestalten am Boden.
„Wer ist denn das?“ sagte sie. „Den kennen wir doch.“
Caligula beugte sich über den Toten.
„Morrison“, sagte er.
„Und hier drüben liegt Clark!“ stieß Emile Boussac aus. Er konnte ein trockenes Schluchzen nicht unterdrücken.
„O Morrison, o Clark!“ sagte Willem mit Grabesstimme. „Auch eure armen Seelen hat also Gevatter Tod geholt. Und die anderen? Ich mag gar nicht an sie denken. Es ist unsere Pflicht, sie zu bestatten.“
„Ich glaube, daraus wird nichts“, sagte die Black Queen, aber auch diese Worte nahm Willem Tomdijk nicht wahr.
„Ich frage mich, was aus Buisson geworden ist“, sagte Boussac. „Er war mit uns in der ‚Mouche Espagnole‘, und er war auch der erste, der Alarm gab.“
„Er ist tot“, sagte eine Stimme aus dem Dunkeln.
Die Queen, Caligula, Emile und die Piraten fuhren herum und hoben die Waffen. Nur Willem hockte nach wie vor mit abwesendem Blick da.
„Wer da?“ sagte die Queen mit scharfer Stimme. „Gib dich zu erkennen.“
Ein Mann trat in den Innenhof der Mission, und sie sahen, daß er einer der französischen Siedler war. Am Vortag hatte er sich an der Suche nach den „spanischen Spionen“, Jean Ribault und Carlos Rivero, beteiligt, später aber hatten ihn die Queen und Caligula aus den Augen verloren. Der Mann hieß Leroy.
„Buisson und die Männer, die sich ihm angeschlossen hatten, liegen im Dschungel“, sagte er. „Ich habe sie gesehen. Die Spanier haben sie überfallen und getötet. Ich bin den ganzen Tag über ziellos durch den Busch gelaufen und habe mich vor den Hunden versteckt. Ich habe keine Waffe mehr und hätte mich nicht gegen sie verteidigen können.“
Emile eilte zu ihm und drückte ihm einen Säbel in die Hand. „Da, jetzt hast du wieder eine. Wo sind die anderen? Hast du keinen Kameraden getroffen, der noch am Leben ist?“
„Nein. Aber ich bin sicher, daß noch eine ganze Reihe im Urwald umherstreift. Keiner weiß, wie er sich verhalten soll. Was ist hier vorgefallen?“
„Die Spanier sind abgerückt und haben nur drei Galeonen zurückgelassen“, erklärte die Black Queen. „Wir haben diese Schiffe angegriffen und geentert. Die Besatzungen sind tot. Wir konnten den Überfall nicht verhindern, aber wir haben wenigstens noch etwas für euch tun können. Die Spanier hatten den Auftrag, jeden zu erschießen, der nach El Triunfo zurückkehrt, verstehst du?“
„Ja. Hiermit bitte ich dich, mich in deine Mannschaft aufzunehmen.“
„Deinen Wunsch erfülle ich gern“, sagte sie lächelnd. Der verlangende Blick, mit dem er sie musterte, entging ihr natürlich nicht. Ihre provozierenden weiblichen Reize taten wieder einmal ihre Wirkung.
Sie drehte sich zu Caligula um. „Caligula, laß die Fackeln und die Laternen anzünden. Die Männer, die sich noch im Busch befinden, werden das Zeichen richtig deuten. Hier ist unsere Sammelstelle, hier wird jeder Mann, der zu uns stößt, registriert und den einzelnen Schiffen zugewiesen.“
Caligula gab einem der Kerle einen Wink, und dieser sorgte mit einem Feuerstein, den er gegen ein Stück Feuerstahl schlug, für den Funken, der die erste Fackel entfachte. Rötlichgelb flackerte der Schein auf. Auch die übrigen mitgebrachten Pechfackeln wurden angezündet, dann wurden auch die Öllampen aufgehängt.
Der Innenhof der Mission war in Licht getaucht. Im Zentrum stand die Queen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und brauchte jetzt nur zu warten. Sie hatte die ganze Nacht über Zeit und auch noch den folgenden Tag, wenn es erforderlich war. Und sie würde mit komplett bemannten Galeonen El Triunfo verlassen, daran hegte sie nicht den geringsten Zweifel. Früher oder später tauchten die Flüchtlinge einzeln und gruppenweise aus dem Dschungel auf.
Und die Kerle fressen mir aus der Hand, dachte sie. Wenn ich es ihnen befehle, lassen sie sich für mich die Arme, die Beine und den Kopf abschlagen.
Hinkle wäre am liebsten in den Planken der „Le Vengeur III.“ versunken. Er wünschte sich, eine winzige Bordmaus zu sein, die sich in einem Loch verkriechen konnte. Er fürchtete sich vor Carlos Rivero, aber größer noch war seine Angst vor Jean Ribault.
Aber Siri-Tong war es, die den Mann davon überzeugte, daß er nichts mehr zu befürchten hatte.
Sie trat dicht vor ihn hin und sagte: „Ganz ruhig bleiben, Hinkle. Carlos und unser Landtrupp haben dich im Urwald gefunden, aber wir wollen dir nichts antun. Du siehst doch auch, daß Doc Delon, Marty und einige deiner Kameraden aus El Triunfo bei uns sind. Ist das nicht Beweis genug, daß wir keine feindlichen Absichten hegen?“
„Ich weiß nicht. Ich begreife überhaupt nichts mehr.“ Hinkles Blick huschte hin und her. Diese Frau imponierte ihm, sie war von exotischer Schönheit. Aber Rivero und Ribault hatten ihn schließlich dazu gezwungen, von der Pinasse ins Wasser der Hafenbucht zu springen. Und Ribault hatte ihn im Dschungel niedergeschlagen. Noch jetzt spürte Hinkle die Schmerzen, sie schienen von neuem zu erwachen.
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