Escribano fiel aus allen Wolken. Gleichzeitig fühlte er unbändigen Haß in sich aufsteigen. Wieder dieser unheimliche Engländer, dieser Teufel von einem Seewolf! Escribanos Verband war von den Korsaren vernichtet worden, und nach dem schmählichen Verlassen von Otonedjus Insel in den Beibooten der drei versenkten Kriegsgaleonen hatte Escribano dann noch von Glück sprechen können, am darauffolgenden Morgen von einer Handelsgaleone entdeckt worden zu sein, deren Besatzung ihn und die anderen Schiffbrüchigen von dem Los befreit hatte, ganz bis Bengkalis pullen zu müssen.
Aber nun dies!
Bleich vor Wut wies er mit dem ausgestreckten Finger auf die fünf malaiischen Freibeuter. „Auf was warten wir noch? Knüpfen wir diese Hunde an der nächsten Rah auf. Sie haben nichts Besseres verdient.“
Do Velho trat vor seinen Kollegen hin und musterte ihn von oben herab. „Bestimmen Sie das, Senor? Ich will diese Kerle noch verhören, bevor ich sie vors Bordgericht stelle. Da die Hunde aber kein Wort Spanisch oder Portugiesisch verstehen, benötige ich dringend einen Dolmetscher. Gibt es hier irgend jemanden, der des Kauderwelsches mächtig ist, mit dem sich die Bastarde untereinander verständigen?“
Arturo Diaz Escribano preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Es widerstrebte ihm erheblich, sich ausgerechnet von einem Portugiesen maßregeln und gängeln zu lassen. Was bildete sich dieser hergelaufene, eingebildete Hidalgo, dieser Parvenü, denn eigentlich ein?
Escribano schwieg.
Der Hafenkapitän und der Stadtkommandant, bislang fast als Statisten in den Hintergrund gedrängt, wurden nun aktiv. Während der Hafenkapitän mit do Velho sprach, ließ der Stadtkommandant nach jenem Atjeh schicken, auf dessen Hinweis hin Escribano vor Tagen mit seiner kleinen Streitmacht ausgelaufen war, um dem Tiger von Malakka den Garaus zu bereiten.
Uwak erschien im Laufschritt, nahm die Gangway von der Pier zur Kuhl der „Candia“ und erklomm das Achterdeck. Er trug die zivile Kleidung spanischer Bürger und hatte im übrigen ganz das Gebaren seiner neuen Herrn angenommen. Er wollte militärisch-zackig grüßen, blieb aber plötzlich drei, vier Schritte von den Gefangenen entfernt wie angewurzelt stehen.
In Spanisch stieß er hervor: „Senores, das – ja, hat denn keiner erkannt, wer das ist? Senor Comandante Escribano, lassen Sie diesen Kerl sofort in Ketten legen!“ Seine Stimme schraubte sich in schrille Höhen hinauf, er begann sehr unkontrolliert zu gestikulieren und deutete auf den schwarzbärtigen Malaien, in dessen Augen wieder ein wildes Feuer loderte.
„Das ist er! Der Tiger von Malakka!“
Escribano, der Sotoro nur aus Beschreibungen von Uwak gekannt hatte, stieß einen ellenlangen Fluch aus.
‚Der Hund kann Spanisch“, brüllte er dann. „Er hat uns hinters Licht geführt und jedes Wort verstanden, das wir gesprochen haben!“
Wutentbrannt wollte er sich auf Sotoro stürzen. Sotoro, der einen Kopfverband trug und dem die Hände auf den Rücken gefesselt worden waren, setzte sich im selben Augenblick in Bewegung. Er stürmte auf den Achterdecksplanken vor, um Uwak, dem Verräter, den Kopf in die Bauchgrube zu rammen.
Escribano und der Tiger prallten zusammen. Escribano erhielt statt des Atjehs den harten Schädel des malaiischen Rebellenführers in den Magen, er stöhnte auf und krümmte sich zusammen. Dann hatte er aber noch genügend Geistesgegenwart, sich auf den zornigen Sotoro zu werfen. Mit zwei Hieben hatte er den Gefesselten niedergeworfen, aber er hörte nicht auf, ihn mit Schlägen und Tritten zu traktieren.
Do Velho stoppte Escribano.
„Senor“, sagte der Portugiese rauh. „Es ist eines spanischen Offiziers der oberen Rangklasse unwürdig, auf einen Wehrlosen einzudreschen. Sie töten ihn, wenn Sie so weitermachen. Der Mann ist bereits bewußtlos.“
„Er täuscht das nur vor!“
„Diesmal irren Sie sich.“
„Do Velho!“ brüllte der Kommandant Escribano. „Halten Sie sich da ’raus! Sie wissen ja nicht, wer dieser schwarze Teufel ist.“
Kalt gab der Protugiese zurück: „Der Tiger von Malakka. Und ich habe ihn gefaßt, nicht Sie, Escribano. Treten Sie zurück. Ignazio, der Feldscher soll anrücken, und zwar sofort!“
Escribano wich mit gesenktem Haupt von dem reglos liegenden Sotoro zurück. Er sah wirklich so aus, als wolle er sich auf Lucio do Velho stürzen.
Uwak hatte ein Messer gezückt, um Sotoro den Rest zu geben, aber der Hafenkapitän bremste ihn, indem er ihn am Arm festhielt.
Sotoros vier Männer trafen Anstalten, sich trotz ihrer Fesseln den Todfeinden entgegenzuwerfen, doch auf do Velhos Wink hin legten zehn Soldaten der „Candia“ mit ihren Musketen auf die Rebellen an.
Kurze Zeit darauf stellte der eingetroffene Feldscher des Viermasters nach einer kurzen Untersuchung Sotoros nüchtern fest: „Dieser Mann muß dringend von einem Arzt behandelt werden, denn seine Kopfwunden sind wieder aufgeplatzt, und ich kann die Blutungen nicht aufhalten. Meine Kunst ist hier am Ende.“
„Das macht nichts!“ rief einer der beiden Decksmänner, die zu der Besatzung der explodierenden Kriegsgaleone gehört hatten. Er hatte den Backbordniedergang bestiegen und blickte zu den Offizieren und den Gefangenen. „Soll der Hund doch verrecken! Wollen wir ihm etwa ein Gnadenbrot gewähren?“
Do Velhos Stimme war schneidend. „Wer hat dich um deine Meinung befragt? Was hast du auf dem Achterdeck zu suchen? Verschwinde, oder ich lasse dich trotz deiner Verwundungen auspeitschen!“
Hastig kehrte der Seemann auf die Kuhl zurück. Lucio do Velho wandte sich an die Autoritäten von Bengkalis. „Senores, ich bin sehr stolz darauf, den berüchtigten Tiger von Malakka gefaßt zu haben. Was nach seiner Aburteilung mit ihm zu geschehen hat, was auch das gerechte Schicksal seiner vier Spießgesellen sein wird, darüber gibt es keinerlei Diskussion. Doch bin ich der Ansicht, daß wir nicht voreilig handeln dürfen.“ Er blickte in die Runde und stellte zu seiner Genugtuung fest, daß man ihm nicht nur auf dem Schiff, sondern auch von der Pier aus gespannt lauschte. Wieder hatte er ein Publikum gefunden, und er legte nun all sein mimisches Können in die bühnenreife Rezitation, mit der er die Schlacht von Rempang schilderte.
Am Ende sagte er: „Wenn dieser Malaie also ein gefürchteter Rebell ist, wie ich eben vernommen habe und wie auch in Manila gelegentlich erzählt wurde, so sollten wir ihn eingehend über seine Pläne aushorchen. Ich halte es für wahrscheinlich, daß seine Landsleute, die heil aus dem Gefecht hervorgegangen sind, mit ihrem Verbündeten, dem Seewolf, einen Schlag gegen die spanische Krone, gegen unsere Niederlassungen in Malakka und Sumatra durchführen. Etwas Großes kündigt sich an. Wir müssen dagegen gewappnet sein. Eben deswegen müssen wir um jeden Preis aus dem Tiger, der sogar spanisch spricht, herausholen, was er weiß. Des weiteren kann er uns Hinweise geben, wie wir den Spanienhasser und Schnapphahn Philip Hasard Killigrew am besten greifen können. Dies alles scheint mir von so fundamentaler Bedeutung zu sein, daß es ein Fehler wäre, den Tiger und seine vier Halunken vorschnell hinzurichten – oder gar Selbstjustiz zu üben.“
Er hob sein Kinn ein wenig an und genoß die stumme Anerkennung, die man seinen Worten zollte. Er hatte flüchten müssen, aber die Tatsache, einen nicht minder gefährlichen Gegner wie den Tiger dingfest gesetzt zu haben, verlieh ihm wieder ungeheuren Auftrieb.
Die Chancen, auch den Seewolf noch zur Strecke zu bringen, wuchsen wieder.
„Wir sind einverstanden“, sagte der Stadtkommandant im Einvernehmen mit dem Hafenkapitän und den anderen Honoratioren, die inzwischen eingetroffen waren. „Die Stadtgarde wird die Gefangenen in den Kerker überführen, falls Sie keine Einwände haben, Comandante do Velho.“
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