Aber: Würde der Tiger jemals wieder kämpfen?
Die „Isabella“ war trotz ihrer Löcher in der Bordwand, des lädierten Schanzkleides, kaputter Rüsten und einer ziemlich ramponierten Heckgalerie nach wie vor vollauf seetüchtig. Ferris Tucker hatte die Lecks über der Wasserlinie mittlerweile notdürftig abgedichtet und auch festgestellt, daß die Galeone keinerlei Lecks unter der Wasserlinie aus dem Gefecht davongetragen hatte und von Wassereinbruch keine Rede sein konnte. Die in den Frachträumen gehäuften Kostbarkeiten aus vielen Raids lagen also nach wie vor im Trockenen.
Hasard hätte in dieser Hinsicht zufrieden sein können, aber er fühlte sich in einem anderen Punkt niedergeschlagen, fast entmutigt.
Die Rebellen von Malakka waren seine Freunde geworden, und sie hatten sich mit ihm gegen den spanischen Kriegsverband behauptet, nachdem der elende Portugiese, der das Flaggschiff führte, ganz offensichtlich die „Isabella“ identifiziert hatte.
Hasard litt mit den Malaien, die Verluste zu beklagen hatten. Und er fühlte sich verantwortlich für das, was geschehen war.
Sotoro in der Gewalt der Spanier, mit ihm vier seiner besten Kämpfer in Gefangenschaft! Otonedjus Leichnam war nach einiger Suche aus den Trümmern an der Schlachtstätte aufgelesen worden, mit kurzem, ergreifendem Zeremoniell hatte sein Stamm ihn beigesetzt.
Yaira, die wie durch ein Wunder nahezu unversehrt die Explosion überstanden hatte, war tränenlos geblieben, als sie ihren toten Vater erblickt hatte. Aber Hasard wußte, was in ihrem Inneren vorging. Vielleicht hatte nie ein Mensch innigere Rache geschworen, vielleicht verblaßte sogar Sotoros Haß gegen die Spanier neben Yairas Empfindungen.
Das weitere Fazit der Schlacht: vierzehn Männer von dem Praho „Yaira“, Otonedju nicht mitgerechnet, hatten ihr Leben gelassen.
Hasard hatte einem Praho-Führer, der wenigstens ein bißchen Spanisch konnte, verdeutlicht, was er vorhatte, dann hatte er mit der „Isabella“ die Nähe der Insel Rempang verlassen.
Dan O’Flynn war zur Verstärkung Bills, des Ausgucks, in den Vormars aufgeentert. Dan hatte immer noch die besten Augen an Bord der großen Galeone, aber herzaubern konnte auch er die „Candia“ nicht.
Der Viermaster war verschwunden.
Zu allem Überfluß zogen jetzt auch noch feine Nebelschwaden über die Wasseroberfläche. Sie drangen nach Hasards Auffassung von den sumpfigen, parasitenverseuchten Niederungen der Inseln aus herüber. Am Nachmittag würden sie sich verdichten.
Der Nebel der Mangrovensümpfe beeinträchtigte die Sicht immer mehr.
Hasard verspürte ein feines Brennen in der Blessur auf der rechten Schulter. Außer den Striemen, die Bulbas ihm beigebracht hatte, hatte er erstaunlicherweise keine Verwundung mehr davongetragen. Er wußte aber, daß er dem Portugiesen gefolgt wäre, selbst wenn er nicht mehr aufrecht hätte dastehen können.
Die „Isabella“ war in ihrem jetzigen Zustand durchaus in der Lage, wieder ein Gefecht einzugehen. Aber dazu mußte sie die „Candia“ erst einmal vor den Rohren haben.
Hasard blickte zu Yaira. Das Mädchen hatte sich vor der Five-Rail niedergelassen, kauerte mit umschlungenen Knien da und starrte gedankenverloren auf die Planken. Durch den spanisch sprechenden Praho-Führer hatte sie Hasard vor dem Verlassen Rempangs zu verstehen gegeben, daß es ihrer Meinung nach dem Tiger kein Glück gebracht hatte, den Dreimaster nach ihr zu taufen.
Ja, sie war überzeugt davon, daß dies ein schlechtes Omen gewesen war. Hasard hätte ihr gern das Gegenteil eingeredet, aber selbst wenn er sich mit ihr hätte verständigen können – es hätte keinen Zweck gehabt.
Hasard lehnte sich rücklings gegen das Backbordschanzkleid des Achterdecks, stützte die Hände auf, sah zu Ben, Ferris, Shane, Smoky und dem alten O’Flynn, die mit nicht sehr viel weniger düsteren Mienen in seiner Nähe verharrten.
„Der Viermaster ist ein solide gebautes und schnelles Schiff, das im Gefecht nicht groß angeknackst worden ist“, sagte der Seewolf. „Dank seines Vorsprungs und der großen Segelfläche, über die er verfügt, hat er uns auf Distanz halten können. Ich sage nicht abhängen – aber es kommt aufs gleiche heraus.“
„Bist du sicher, daß sein Kurs nach Bengkalis führt?“ erkundigte sich Ferris Tucker.
„Bengkalis ist die einzige spanische Niederlassung weit und breit. Ehrgeizig, wie er zu sein scheint, sucht der Portugiese dort Verstärkung. Vielleicht gelingt es ihm ja, einen neuen Verband zusammenzustellen.“
„Verrecken soll der Bastard“, stieß der alte O’Flynn aus. Um seinen Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen, trat er mit seinem Holzbein auf. „Die Pest wünsche ich ihm an den Hals.“
„Ein frommer Segensspruch“, erwiderte Ben Brighton nüchtern. „Aber damit sind wir auch keinen Schritt weiter. Ich schätze, wir müssen bald die Suche nach dem Flaggschiff abbrechen. Erstens wegen des zunehmenden Nebels, zweitens wegen der Gefahr, dem Feind in Bengkalis geradewegs in den Rachen zu segeln.“
„Sehr richtig“, sagte der Seewolf.
Shane horchte auf und zeigte eine verblüffte Miene. „Heißt das etwa, daß wir den Tiger abschreiben?“
„Wir können doch nicht einfach davonsegeln“, entrüstete sich nun auch Smoky. „Und was tun wir mit seinem Mädchen? Das arme Ding hat seinen Vater verloren, aber wenigstens den Tiger sollten wir ihr zurückgeben. Sie liebt Sotoro doch, oder täusche ich mich?“
„Nun mal langsam“, versetzte der Seewolf. „Traut ihr mir so was zu? Ein feiner Haufen seid ihr. Was schlagt ihr eigentlich vor? Wie verhalten wir uns? Na los, Wortmeldungen.“
Old O’Flynn räusperte sich, zog den Mund schief und verengte die Augen zu Schlitzen. „Freunde, wir sollten uns heimlich nach Bengkalis pirschen. Gut möglich, daß der Nebel unser Verbündeter ist. Klopfen wir den Dons auf die Finger und pauken wir Sotoro und die anderen vier ’raus. Das ist meine Meinung.“
„Dem habe ich nichts hinzuzufügen“, meinte Big Old Shane. „Diesmal stehe ich ganz auf Donegals Seite, wenn du meine ehrliche Überzeugung hören willst, Hasard.“
Der Seewolf zeigte den Anflug eines Lächelns. „Ich lege größten Wert darauf. Ben, Ferris, ihr seid mit den eben gesprochenen Worten einverstanden, das sehe ich euch an. Gut so. Ich hätte es bedauert, wenn euch das Schicksal des Tigers und seiner Kameraden gleichgültig gewesen wäre. Folgendes nun. Der Viermaster ist uns durch die Lappen gegangen, aber auch er kann uns – im Fall, daß er Verstärkung erhält und wieder aus dem Hafen von Bengkalis ausläuft – so schnell nicht aufstöbern. Wir tasten uns bis zum Nordwestufer der Insel Rangsang vor und verholen uns in irgendeinen Schlupfwinkel.“
„Und weiter?“ fragte Ben Brighton erstaunt.
„Dort warten wir auf das Eintreffen der Prahos.“
„Wie sollen die uns finden?“ wollte Ferris wissen.
„Ich habe das Nordwestufer der Insel als Treffpunkt mit dem Mann vereinbart, der Spanisch kann. Wir brauchen die Hilfe der Rebellen von Malakka, wenn wir in Bengkalis einen vernichtenden Schlag landen wollen“, sagte der Seewolf.
Der Kriegsschiffskommandant Arturo Diaz Escribano war zur Stelle, als der große Viermaster aus Manila an einer Pier im Hafen von Bengkalis vertäute. Escribano befand sich in Gesellschaft des Hafenkapitäns und des Stadtkommandanten. Obwohl er noch von den Ereignissen, die er hinter sich hatte, körperlich ausgelaugt und nervlich zerrüttet war, wollte Escribano keinesfalls darauf verzichten, als kompetente Persönlichkeit mit dabeizusein, wenn sich herausstellte, welche Bedeutung das unangemeldete Auftauchen dieser Galeone hatte.
Wenig später, auf dem Achterdeck der „Candia“, sah er dann die fünf Gefangenen Lucio do Velhos vor sich und vernahm gemeinsam mit den anderen Autoritäten den Bericht des Portugiesen.
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